Zahlreiche Fahrer prägten die Motorrad-Weltmeisterschaft in ihrer über 70-jährigen Geschichte. Giacomo Agostini war der erste Superstar auf zwei Rädern, Barry Sheene schuf das Image des Motorrad-Playboys und 'King' Kenny Roberts machte den Sport jenseits des Atlantiks groß. Doch keiner dieser Piloten veränderte die Motorrad-WM derart nachhaltig wie Valentino Rossi.

Zum 40. Geburtstag von 'Il Dottore' an diesem 16. Februar 2019 nehmen wir Rossis MotoGP-Vermächtnis unter die Lupe:

Die Nummer

383 Rennen hat Valentino Rossi bislang in der Motorrad-Weltmeisterschaft bestritten. Und in jedem einzelnen leuchtete die Nummer 46 von der Front seiner Maschine. Selbst in seinen vielen Jahren als amtierender Weltmeister verzichtete er stets auf die Ehre, die Nummer 1 tragen zu dürfen. Kein anderer Fahrer in der Geschichte der Motorrad-WM arbeitete vor Rossi von Beginn an so konsequent am Aufbau eines Marken-Images. Barry Sheene wurde als erster Fahrer mit einer bestimmten Nummer in Verbindung gebracht, doch auch er legte sich die legendäre 7 erst im Laufe seiner Karriere zu. Wenn heute die Zahl 46 oder der Schriftzug VR46 zu sehen ist, weiß jeder einigermaßen motorsportbegeisterte Mensch sofort, worum es geht. Seither folgen fast alle Piloten Rossis Vorbild und behalten eine Nummer für ihre gesamte Karriere.

Rossi trug die 46 schon im ersten WM-Jahr 1996, Foto: Milagro
Rossi trug die 46 schon im ersten WM-Jahr 1996, Foto: Milagro

Der Leg Dangle

Als Valentino Rossi in der letzten Kurve des Jerez-Rennens 2005 Sete Gibernau von der Strecke rammte, war die Aufregung groß. Nicht nur, weil das Manöver so kontrovers war, sondern auch, weil man die Technik mit der sich Rossi an Gibernau vorbeidrückte, so noch nicht gesehen hatte. Er entfernte beim harten Anbremsen vor der engen Haarnadel das kurveninnere Bein von der Verkleidung und nahm den Fuß komplett von der Raste - der 'Leg Dangle' war geboren. Was diese Technik genau bringt, darüber gibt es mehr als ein Jahrzehnt später immer noch keine Antwort. Von zusätzlicher Bremswirkung durch mehr Angriffsfläche, über eine Stützfunktion beim Einlenken bis hin zur Verunsicherung des Gegners wird vieles angenommen. Fest steht aber, dass der 'Leg Dangle' mittlerweile zum Standardrepertoire aller MotoGP-Piloten gehört. Und wer hat's erfunden? Der Rossi.

Der Leg Dangle ist in der MotoGP mittlerweile absolut üblich, Foto: Yamaha
Der Leg Dangle ist in der MotoGP mittlerweile absolut üblich, Foto: Yamaha

Das Feiern

Faust ballen, Flagge nehmen, Fans grüßen: So simpel fielen die Siegerfeierlichkeiten in der Motorrad-Weltmeisterschaft früher aus. Valentino Rossi machte damit Schluss und ließ sich, zumindest zu seinen erfolgreichsten Zeiten, zusammen mit seinem Fanclub für jeden Sieg eine besondere Aktion einfallen. Die Polizeikontrolle in Mugello 2002, der Toilettengang in Jerez 1999 oder das Steineklopfen mit Sträflingskleidung in Brünn 2003 sind unvergessen. Die nächste Generation ahmte Rossi nach. Jorge Lorenzo sprang einst in den Teich von Jerez oder setzte seine Flagge ins Kiesbett, Marc Marquez feierte seine WM-Titel als Samurai oder mit einem Arcade-Automat. Bilder, die wir auch dem Vorbild Rossis verdanken.

Brünn 2003: Rossi im Strafdienst, Foto: Milagro
Brünn 2003: Rossi im Strafdienst, Foto: Milagro

Der Psychokrieg

Über das fahrerische Talent von Valentino Rossi muss man nicht viele Worte verlieren. Er zählt zu den begnadetsten Motorradpiloten der Geschichte. Mindestens so stark wie beim Fahren ist Rossi aber auch in der psychologischen Kriegsführung. Mentale Spielchen zwischen großen Rivalen gab es schon immer, etwa zu Zeiten von Barry Sheene und Kenny Roberts oder Wayne Rainey und Kevin Schwantz. Rossi beförderte diese aber auf ein ganz neues Niveau. Mit einer Mischung aus skrupellosen Manövern, einem Talent für den Umgang mit Medien und der Gabe, trotz teils grenzwertigem Verhalten stets als 'Good Boy' dazustehen, zermürbte Rossi nacheinander Max Biaggi, Sete Gibernau, Casey Stoner oder Jorge Lorenzo. Erst an Marc Marquez biss er sich langfristig die Zähne aus. Hatte er die Psychospielchen seines großen Idols kopiert?

Max Biaggi war Rossis erstes Opfer in der Königsklasse, Foto: Milagro
Max Biaggi war Rossis erstes Opfer in der Königsklasse, Foto: Milagro

Die Helme

So bedacht Valentino Rossi auf ein gleichbleibendes Corporate-Design ist, hin und wieder braucht auch er definitiv Abwechslung. Im Normalfall passiert das drei Mal pro Saison, wenn Rossi zu seinen Heimrennen in Mugello und Misano sowie zu den Wintertests sein klassisches Helmdesign gegen spezielle Lackierungen tauscht. Etwas, das vor Rossis Ankunft in der Motorrad-Weltmeisterschaft praktisch undenkbar schien, ist seither normal. Auch Fahrer wie Andrea Iannone, Marc Marquez oder Jorge Lorenzo setzen heutzutage immer wieder auf Sondereditionen ihrer Helme.

2013 in Misano erinnerte Rossi an seinen verstorbenen Freund Marco Simoncelli, Foto: Bridgestone
2013 in Misano erinnerte Rossi an seinen verstorbenen Freund Marco Simoncelli, Foto: Bridgestone

Die Academy

Dass MotoGP-Legenden eigene Rennteams gründen, ist nichts Außergewöhnliches. Das Team Roberts oder das Team Yamaha Marlboro Agostini sind die wohl bekanntesten Beispiele. Ungewöhnlich ist aber, dass ein noch aktiver Fahrer bereits die nächste Generation auf die Königsklasse vorbereitet. Valentino Rossi hat aber genau das gemacht. 2014, zur Hochzeit der spanischen WM-Dominanz, gründete er seine VR46 Academy und bot italienischen Talenten so die Möglichkeit, auf höchstem Niveau Fuß zu fassen. Und das mit größtem Erfolg, mittlerweile sind mit Franco Morbidelli und Francesco Bagnaia zwei Academy-Piloten als amtierende Moto2-Champions in die Königsklasse aufgestiegen. Erste Fahrer wie Aleix Espargaro, der sich beim Team Boe in der Moto3 engagiert, wandeln auf den Spuren von Rossi.

Rossi im Kreise seiner Academy-Armada, Foto: VR46 Riders Academy
Rossi im Kreise seiner Academy-Armada, Foto: VR46 Riders Academy

Die Fan-Bindung

Aus Sportarten wie Fußball kennt man organisierte Fanszenen schon seit vielen Jahrzehnten. Im Motorradsport war es Valentino Rossi, der als erster Fahrer auf einen eingeschworenen Anhängerclub vertrauen konnte. Der Official Fanclub Valentino Rossi verfügt bei praktisch allen MotoGP-Rennen über eine exklusive Tribüne. Anhänger, die sich dort positionieren, erhalten vom Fanclub Artikel wie Flaggen oder Kappen - und das geschenkt. Ein System, das seither Schule macht und dem alle großen Stars der Szene folgen, zumindest bei einigen Rennen.

Wer sich über so treue Fans freuen darf, muss diese mit dementsprechendem Merchandise bedienen. Auch hier ist Valentino Rossi Vorreiter. Kappen, Shirts, Pullover, Bademode, Unterwäsche, Replika-Helme, Fahrräder oder Modelle - es gibt nichts, was es im Valentino Rossi Fanshop nicht gibt. Die Konkurrenz hat mittlerweile nachgezogen, viele Fahrer lassen ihr Merchandise aber von Rossis Firma VR/46 Racing Apparel produzieren und vertreiben. So verdient der Geschäftsmann sogar mit den Erfolgen seiner Gegner Geld.

Sogar im fernen Sepang darf sich Rossi über die Unterstützung seiner Fans freuen, Foto: LAT Images
Sogar im fernen Sepang darf sich Rossi über die Unterstützung seiner Fans freuen, Foto: LAT Images

Happy Birthday!

Valentino Rossi wird der MotoGP, zumindest als Fahrer, nicht mehr ewig erhalten bleiben. Sein Vermächtnis im Motorradsport wird aber ewig weiterleben. Dafür gebührt 'Il Dottore' unser Respekt. In diesem Sinne: Tanti auguri, Valentino!