Maximilian Günther hat am vergangenen Rennwochenende beste Eigenwerbung für seine angepeilte Zukunft in der Formel E betrieben. Beim Samstagsrennen in New York sicherte sich der BMW-Pilot mit einem überragenden Doppel-Überholmanöver in der Schlussphase seinen ersten Saisonsieg. Nach Regen-Pech im Sonntags-Qualifying, ergatterte Günther nach einer Aufholjagd von P23 bis auf den zehnten Platz einen weiteren Punkt für die Meisterschaft, in der er mit 54 Punkten den 14. Gesamtrang belegt.

Mit dem dritten Sieg seiner Formel-E-Karriere nach Santiago de Chile und Berlin 2019 mischt Günther - wie gut ein Dutzend Fahrer im Feld - bei noch vier ausstehenden Rennen und 27 Zählern Rückstand auf Spitzenreiter Sam Bird (81 Punkte) um die Meisterschaft mit.

Verblüffend: In der ewigen Statistik der Formel E seit 2014 gibt es nur fünf Fahrer, die mehr Siege auf dem Konto haben als Günther, der Ende 2018 sein Renndebüt beim Hinterbänkler-Team Dragon gab und nach einer Saison als Werksfahrer zu BMW wechselte. Die Champions Sebastien Buemi (13 Siege), Lucas di Grassi (11), Jean-Eric Vergne (10) und Antonio Felix da Costa (6) sowie Formel-E-Pionier Sam Bird (11) konnten häufiger Rennen gewinnen als der 24-Jährige.

Alle Rennsieger der Formel-E-Geschichte seit 2014

FahrerSiegeRennen gesamt
Sebastien Buemi1378 seit 2014
Lucas di Grassi1180 seit 2014
Sam Bird1180 seit 2014
Jean-Eric Vergne1078 seit 2014
Antonio Felix da Costa676 seit 2014
Maximilian Günther345 seit 2014
Nico Prost325 seit 2016
Felix Rosenqvist369 seit 2014
Jerome d'Ambrosio332 seit 2018
Nelson Piquet251 seit 2014
Daniel Abt269 seit 2014
Robin Frijns256 seit 2015
Mitch Evans259 seit 2016
Stoffel Vandoorne235 seit 2018
Nyck de Vries222 seit 2019
Edoardo Mortara243 seit 2017
Alexander Sims135 seit 2018
Oliver Rowland136 seit 2015
Jake Dennis111 seit 2020

Günther sieht Zukunft in Formel E

Günther hatte mehrfach betont, dass er seine sportliche Zukunft in der Formel E sieht - trotz des angekündigten Werksausstieges von BMW-Andretti zum Ende der laufenden Saison, dem er genau wie Neu-Teamkollege Jake Dennis (ebenfalls ein Sieg und 54 Punkte) zum Opfer fällt. Günthers BMW-Vertrag ist an das Formel-E-Programm gebunden, wobei eine Zukunft des bayerischen Lokalmatadors beim Autobauer aus München, etwa beim neuen LMDh-Projekt ab 2023, durchaus möglich erscheint.

"Der Vertrag ist auf die Formel E ausgelegt", sagt Günther zu Motorsport-Magazin.com. "Es war ein langfristiger Vertrag, aber mit dem Ausstieg von BMW endet er eben nach dieser Saison. Ich fühle mich sehr wohl bei BMW. Die Formel E ist ebenso wie die Langstrecken-WM auf jeden Fall sehr erstrebenswert. Ich würde da aktuell nichts ausschließen."

Nach BMW-Aus: Andretti muss sich neu aufstellen

Dass Günther in der Saison 2022 - wie von einigen Medien vermutet - sicher für das ihm bekannte Andretti-Team startet, das nach dem Werksabschied weiter mit von BMW entwickelten Antriebssträngen fährt, ist nach Informationen von Motorsport-Magazin.com noch nicht klar. Wie beim vergangenen Rennwochenende in New York hinter den Kulissen bekannt wurde, arbeitet die US-Truppe von Michael Andretti noch an der Finanzierung und der Aufstellung des Teams, aus dem natürlich zahlreiche BMW-Ingenieure wegbrechen.

Auch deshalb dürfte Andretti großes Interesse daran haben, Günther nach dem BMW-Aus in den eigenen Reihen zu halten. Der Allgäuer ist seit zwei Saisons bestens vertraut mit dem BMW-Motorenpaket, der hochkomplexen Software und den Abläufen während der kompakten Rennwochenenden. Angesichts der anstehenden, großen Umwälzung dürfte dem dann privat engagierten US-Rennstall daran gelegen sein, die wichtigsten Säulen im Team zu erhalten.

Formel E 2022: Silly Season beginnt

Hier könnte es allerdings spannend werden auf dem Fahrermarkt, der erst so langsam und diesmal vergleichsweise spät ins Rollen gerät. Als sicher gilt bisher nur der Wechsel von Oliver Rowland von Nissan e.dams zu Mahindra, wo der talentierte Brite seinen Landsmann Alex Lynn ablösen soll. In der künftigen Nissan-Aufstellung soll es nach dem Tod des langjährigen DAMS-Teamchefs Jean-Paul Driot und der Übernahme seiner Söhne ebenso Fragezeichen geben wie bei Top-Team DS Techeetah.

Gerüchte um einen Wechsel des amtierenden Champions Antonio Felix da Costa in die IndyCar-Serie halten sich hartnäckig. Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com soll der Portugiese im September dieses Jahres einen weiteren Test nach seiner ersten Testfahrt im November 2020 erhalten.

Beim Angebot eines Top-Teams könnte Felix da Costa trotz aktuell gutem Gehalt schwach werden und die US-Formelserie gegenüber der Formel E sowie seinem Arbeitgeber DS Automobiles bevorzugen. Auffällig: Im Gegensatz zu Teamkollege Jean-Eric Vergne zählt der Portugiese nicht zum Hypercar-Aufgebot, mit dem Stellantis-Konzernschwester Peugeot ab 2022 in die WEC und zu den 24 Stunden von Le Mans zurückkehrt.

Mehr Fahrerwechsel als erwartet?

Zwar gilt die kommende Saison 8 beginnend ab Januar 2022 als ein Übergangsjahr, bevor 2023 neben dem Gen3-Reglement vermutlich auch neue Teams an Bord der Formel E kommen, doch die aktuelle Marktsituation könnte früher als gedacht zu prominenten Wechseln führen.

Günther darf sich berechtigte Hoffnungen auf ein Top-Cockpit machen, ebenso Lucas di Grassi, der nach dem Audi-Ausstieg ebenfalls in der Formel E bleiben möchte. Der frühere Champion schloss allerdings auch ein Sabbatjahr nicht aus, falls sich kein Cockpit bei einem namhaften Team ergeben sollte. Noch-Teamkollege Rene Rast sagte hingegen zu Motorsport-Magazin.com, dass seine Zukunft wohl nicht in der Formel E liegt.

Zum Kreis potenzieller Top-Teams - so erzählt man sich im Fahrerlager - könnte sogar Porsche zählen. Falls sich der Sportwagenbauer wie schon im vergangenen Jahr (Pascal Wehrlein für Neel Jani) zu einem Fahrerwechsel entscheiden sollte, stünden mit Günther oder dem 36-jährigen di Grassi etablierte Piloten parat, die ein gehöriges Maß an Erfahrung und Erfolgen in die Waagschale werfen.

Günther: Formel E sehr komplex und speziell

"Man sieht, dass die Formel E sehr komplex und sehr speziell ist", erklärt Günther. "Als Fahrer musst du einen gewissen Erfahrungsschatz in der Meisterschaft mitbringen, weil es nicht so einfach ist, sich zu adaptieren. Ich habe mehrere Jahre Erfahrung, Rennen gewonnen und glaube, dass ich gute Leistungen gezeigt habe. Ich ziehe jetzt weiter mein Ding durch, alles andere wird sich dann ergeben."

Am kommenden Wochenende gastiert die Formel E zum vorletzten Event der Saison in London (im Live-Ticker von Motorsport-Magazin.com), bevor in Berlin (14./15. August 2021) das große Saisonfinale steigt und die engste Meisterschaft der Formel-E-Geschichte entschieden wird. Szene-Kenner erwarten, dass kurz nach dem Saisonabschluss mit dem ersten offiziell kommunizierten Fahrerwechsel der Stein so richtig ins Rollen geraten könnte.