Was für eine Schmach für Sebastian Vettel ausgerechnet beim Ferrari-Heimrennen, dem Italien GP in Monza. Mehr als 30 Sekunden fehlten dem bisher alleinigen WM-Spitzenreiter der Formel-1-Saison 2017 im Ziel auf Lewis Hamilton: In der F1 eine Welt. Der Brite eroberte durch seinen Coup bei einem dominanten Mercedes-Doppelsieg mit Valtteri Bottas zudem die WM-Führung von Vettel, liegt nur erstmals knapp vor seinem schärfsten Titelrivalen aus Deutschland.

Vettel: Bei diesen Fans spielen verlorene Punkte keine Rolle

Immerhin Rang drei rettete Vettel in Monza noch über den Zielstrich - und auch das nur mit Schwerstarbeit in einem in den letzten 20 Runden leicht lädierten Ferrari SF70-H gegen einen auf frischen Supersofts heranpreschenden Daniel Ricciardo im Red Bull. Das Gute: Durch den dritten Platz vermochten Vettel und Ferrari die eigentlich wohl schmerzhafteste Niederlage der Saison perfekt zu kaschieren. Denn: Die Tifosi sorgten einmal mehr für das schönste Podium der F1-Saison, feierten Vettel und Ferrari mit einer fetten Sause auf der Start-Ziel-Geraden.

„Vielen Dank an die Tifosi, ihr seid das beste Publikum der ganzen Welt“, rief Vettel den Heerscharen von Fans entgegen. „Die Pace war heute vielleicht nicht da und was die Performance angeht war es sicherlich kein exzellenter Tag, aber es ist trotzdem fantastisch zu sehen, wie sehr Ferrari und die Legende Ferrari lebt“, berichtete Vettel später auch im Interview noch mehr euphorisiert als geknickt.

Die große Schlappe gegen Mercedes? Verkam angesichts der großen Emotionen dank und mit den Fans zumindest für einen Moment fast zur Randnotiz. „Ich weiß, dass es nur der dritte Platz ist, aber die Auslaufrunde hier und das Podium, da fühlt man sich wie König der Welt“, sagte Vettel sogar. „Punkte hin und her. Das spielt heute keine Rolle. Versteht mich nicht falsch. Wir hatten heute nicht die Pace. Aber wir müssen es für heute akzeptieren“, ergänzte Vettel. Viel wichtiger seien ihm da Leidenschaft und Passion der Fans.

Ferrari-Boss Marchionne stinksauer

Doch einer legte den Finger so richtig in die Wunde - und das war ausgerechnet der wichtigste Mann im roten Land überhaupt: Der Big Boss, Ferrari-Präsident Sergio Marchionne. „Wir haben völlig versagt! Wir haben versagt, das Setup fürs Auto war falsch, wir haben die Strecke unterschätzt“, polterte Marchionne bei RTL. Der Italo-Kanadier schäumte regelrecht, schien sich zu schämen für die deftige Abreibung seines Rennstalls durch den Erzrivalen im eigenen Wohnzimmer. „Von Belgien haben wir das Auto bis hierher irgendwie schlechter gemacht. Wir müssen zurückkommen und schauen woran das gelegen hat“, forderte Marchionne.

Das sieht auch der Teamchef so. „Wir wussten, dass wir hier leiden würden. Aber wir dürfen uns dessen nicht nur bewusst sein. Wir müssen das Maximum geben, um so etwas zu vermeiden. Damit können wir nicht zufrieden sein“, sagte Maurizio Arrivabene. Immerhin: Das Vertrauen in ein schnelles Comeback seiner Truppe hat der Präsident noch allemal. Marchionne: „Wir werden aber in Singapur wieder zurückkommen.“

Genau dieses Grundvertrauen strahlt bei Ferrari durch das ganze Team. „Auch wenn wir heute in Sachen Performance eine auf den Deckel bekommen haben, weiß ich, dass wir ein gutes Auto haben“, sagt Vettel. Offenbar ist genau das der Grund, warum die Laune trotz der krassen Heim-Pleite gar nicht mal so schlecht ist. Bei Ferrari geht jeder davon aus, dass einzig die sehr spezielle Strecke für den gewaltigen Mercedes-Vorteil verantwortlich zeichnete.

Kimi Räikkönen war selbst gegen Daniel Ricciardo wehrlos, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen war selbst gegen Daniel Ricciardo wehrlos, Foto: Sutton

Grip, Lenkrad, Start: Probleme über Probleme für Kimi & Seb

„Es ist ein sehr schwere Frage, denn wir haben uns immer verbessert. Aber das Layout hier macht es vielleicht zu einem der Kurse, die für uns nicht so leicht sind. Es gibt einfach Orte wie diesen, wo wir nicht mit Mercedes mithalten können“, bestätigt etwa Kimi Räikkönen. „Leider ist das unser Heimrennen. Aber das nächste Rennen kann schon eine ganz andere Geschichte sein.“

Der Finne erlebte in Monza wie Vettel ein alles andere als sauberes Rennen, musste sich mit P5 hinter Ricciardo zufrieden geben. Gegen dessen Schlussattacke auf frischen Supersoft war der Finne völlig wehrlos, weshalb er sich entschied gar nicht erst große, aber am Ende doch aussichtslose Gegenwehr zu leisten. „Er konnte mich leicht überholen. Ich hätte ihn vielleicht einmal aufhalten können, aber schon in der nächsten Schikane dann wohl nicht mehr. Sie hatten da einfach den Speed“, sagte Räikkönen.

Dass Ricciardo dem Räikkönen-Ferrari jedoch überhaupt so nahe auf den Leib rücken konnte, dass er noch von einem derartigen Reifen-Vorteil profitieren konnte, lag indessen insbesondere an Räikkönens gewaltigen Problemen zu Rennbeginn. „Ich weiß nicht, wie das Heck des Autos derart schlecht sein konnte. Es war sehr unruhig. Ich habe mich ein paar Mal in der letzten Kurve fast gedreht“, schilderte Räikkönen nach Rennende noch einmal, worüber er sich für alle vernehmbar mehrfach via Boxenfunk beschwert hatte. „Es war kein leichtes Wochenende. Die meiste Zeit mangelte es schlicht an Grip.“

Doch wie bereits angedeutet verlief auch Vettels Rennen (aus Technik-Sicht) alles andere als ideal. „Schon mein Start war nicht so gut, da hatte ich ziemlich durchdrehende Reifen. Es hat dann eine Zeit gedauert bis ich dem Auto richtig vertrauen konnte. Dann ging es gut voran, ich konnte gut überholen. Danach war ich ein bisschen isoliert. Aber wir hatten nicht die Pace der beiden Führenden“, gesteht Vettel. Rund eine halbe Sekunde habe seiner Schätzung nach im Schnitt pro Runde gefehlt.

Vettel: Monster-Rückstand auf Mercedes trügerisch

Doch sei der Zug ohnehin bereits früh abgefahren gewesen. „Wir haben am Anfang viel verloren. Bis wir dann mal dahinter waren, waren sie schon zehn Sekunden voraus. Und danach … da braucht man nicht um den heißen Brei herumreden. Sie waren schneller und haben verdient gewonnen.“ Den gewaltigen Rückstand im Ziel dürfe man allerdings nicht für bare Münze nehmen. „Wir hatten kein rundes Rennen und Mercedes konnte es sich vorne frei einteilen“, sagt Vettel.

Gleichzeitig fürchtet der Deutsche allerdings auch, dass der Rückstand noch größer hätte sein können. „Du kannst es nicht beurteilen, aber vielleicht waren sie einfach nur am Cruisen, weil sie keinen Druck von hinten hatten“, fürchtet Vettel. „Sie bereiten uns gerade sehr, sehr harte Zeiten. Aber warten wir mal ab.

Andererseits vermochte auch Vettel gegen Rennende bei weiten nicht mehr das volle Potential seines Ferraris abzurufen. Der Grund: Erneut spielte ihm die Lenkung einen Streich. „Es war etwa in Runde 40. Ich habe für die erste Kurve angebremst und dann hat es auf einmal Krack gemacht und die Lenkung hing links ein bisschen runter. Ich bin dann in den Notausgang und habe ein bisschen Zeit verloren. Danach hatte ich einfach nicht mehr so das Gefühl für das Auto. Es hat ein bisschen nach Links gezogen beim Bremsen, da hatte ich nicht mehr das Vertrauen. Und wenn man sich auf der Bremse nicht wohlfühlt, dann geht gerade hier doch ein bisschen Zeit flöten“, berichtet Vettel.

Optimismus pur: Monza nur ein Ausrutscher

Daraufhin habe er nur noch darauf geachtet, sich keinen weiteren Ausrutscher zu leisten und den Vorsprung auf Ricciardo zu managen. Daher müsse man schon etwas zwischen den Zeilen lesen, um den wirklichen Speed Ferraris in Monza herauszufinden, so Vettel. „Trotzdem hat es natürlich an Speed gefehlt. Aber wir müssen jetzt keine Panik verbreiten. Ende des Rennens waren wir auf den gebrauchten Reifen außerdem wieder ganz gut glaube ich“, sagt Vettel.

„Klar, es gibt auf jeden Fall viel zu tun für uns, aber insgesamt haben wir die richtigen Leute und wissen was zu tun ist. Außerdem mag ich die Strecken, die jetzt kommen sehr gerne.“ An Gründen für Zuversicht mangelt es Vettel und Ferrari trotz der großen Heim-Pleite samt Verlusts der WM-Spitze also weiter nicht. Etwas anderes würde gerade in Monza jedoch auch niemand den leidenschaftlichen Tifosi erzählen wollen …