Das Qualifying ist gefahren, die Startpositionen sind bezogen - und damit ist alles angerichtet für einen dieses Mal besonders prickelnden Österreich GP. Ohnehin gilt der Red Bull Ring in Spielberg nicht gerade als Garant für Langweiler, lässt sich auf der Berg-und-Tal-Bahn in den steirischen Bergen dank vieler Geraden an mindestens zwei guten Stellen doch exzellent überholen. So sind selbst große Aufholjagden möglich.

Genau das könnte auch in dieser Saison in Sachen Renngeschehen und Kampf um die Spitzenplätze eine Schlüsselrolle spielen: Blickt man auf die Favoriten, so reicht es diesmal nicht, nur die üblichen Startreihen eins und zwei zu betrachten. Gleich zwei Brandherde tun sich vor dem Rennstart in Spielberg auf:

Zunächst der gewohnte Kampf unmittelbar an der Spitze. Valtteri Bottas nimmt den Österreich GP von der Pole Position in Angriff, direkt dahinter lauern die nicht minder angriffslustigen Ferrari von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen als Top-Favoriten. Unmittelbar darauf folgen die beiden Red Bull, in der Qualifikation eigener Einschätzung nach unter Wert geschlagen.

Aufholjäger Hamilton auf dem Papier mit bester Strategie

Wer in dieser vertrauten Aufzählung fehlt? Na klar: Lewis Hamilton. Durch einen unplanmäßigen und zu frühen Getriebewechsel wurde der Brite vom dritten Startplatz um fünf Positionen strafversetzt, muss den Österreich GP also vom achten Startplatz aufnehmen, eine Aufholjagd hinlegen.

Allein das bringt Würze, doch hat Mercedes die Suppe zusätzlich gesalzen. Schon vor Rennstart steht fest: Hamilton wird eine alternative Strategie fahren. Durch die Reifenwahl in Q2 ist er verpflichtet auf Supersoft zu beginnen während alle vor ihm die ultrasofte Mischung aufziehen.

Spannend: Damit erfüllt Hamilton als einziger Fahrer in den Top-10 die Strategie-Empfehlung Pirellis: Ein Stint auf Supersoft von 26 Runden, dann ein Stint auf Soft bis ins Ziel - das sei die schnellste Variante die 70 Runden von Spielberg zu bestreiten. Allerdings komme dem die Variante Ultrasoft (18 Runden), dann erneut mit Soft bis zum Ende sehr nahe. Genau das können alle anderen machen. Deutlich langsamer sei dagegen ein Wechsel auf Supersoft nach 29 Runden Ultrasoft.

Schnellste Rennstrategien laut Pirelli

  • 1. Einstopp: Stint SS (26 R), Stint S (44 R)
  • 2. Einstopp: Stint US (18 R), Stint S (52 R)
  • 3. Einstopp: Stint US (29 R), Stint SS (41 R)

Lewis Hamilton selbst will darin jedoch keinen Vorteil sehen. "Ich denke nicht, dass das einen großen Unterschied machen wird. Wenn ich ehrlich bin, ist das ja der langsamere Reifen", sagt der Mercedes-Fahrer. "Im ersten Stint wird es nur um die Länge gehen", ergänzt Hamilton allerdings. Das deutet bereits auf die Idee dahinter hin: Am Ende mit einem kürzeren Ultrasoft-Stint und leichtem Auto gegen die Supersoft- oder Soft-Konkurrenz den Stich setzen. Damit nicht genug, bringt ein langer erster Stint auch stets einen zweiten Vorteil: "Viel kann passieren, Safety Cars, Regen, wer weiß ...", erinnert Hamilton. Und das nicht zu Unrecht: Zum Rennstart liegt die Regenwahrscheinlichkeit nach Prognosen von Samstagabend bei rund 80 Prozent.

Vettel vs. Hamilton: So lief das Wiedersehen in Österreich (04:10 Min.)

Ein Bremsklotz namens Bottas?

Sogar ein dritter möglicher Vorteil könnte sich für Hamilton ergeben: Behauptet sich Valtteri Bottas am Start vor den Ferrari könnte der Finne das Feld einbremsen, Hamilton den Nachteil der etwas langsameren Pneus verlieren. Doch davon hält nicht einmal der Brite selbst etwas. "Es ergibt für Valtteri keinen Sinn, langsamer zu machen. Es macht Sinn für ihn, hart zu pushen und das Rennen zu gewinnen", sagt Hamilton. Denn so würde Bottas Vettel sieben wertvolle Punkte wegschnappen.

Die eigenen Gesichter, sollte Vettel einen Bremsklotz Bottas austricksen, der dann auch noch als zusätzlicher Puffer neben Räikkönen vor Hamilton liegen, will sich bei Mercedes wohl niemand vorstellen. Neben Hamilton am Wenigsten Bottas. Er habe davon auch in allen Strategie-Überlegungen nichts gesehen. "Wir müssen uns einfach darauf fokussieren, einen guten Start zu haben - und wir müssen das Rennen gewinnen", sagt der Finne.

"Lewis kann sich von da, wo er startet zurückkämpfen. Aber wenn du anfängst Spielchen zu spielen, dann wird es heikel, etwa wenn das Auto hinter dir DRS bekommt und Windschatten. Dann kann er bei nur einem Fehler den Sieg bekommen. Ich konzentriere mich auf mein eigenes Rennen und blicke nicht nach hinten", ergänzt Bottas. Zumindest nicht bis auf P8, wo Hamilton startet. Ferrari hat der Polemann dagegen voll auf der Rechnung. "Natürlich werden wir Ferrari nicht unterschätzen. Es wird eng und sollte ein interessantes Duell werden", sagt Bottas.

Hamilton: Sieg gegen Longrun-König Bottas ausgeschlossen?

Zweifel, als Sieger daraus hervorzugehen hegt der Finne allerdings nicht im Ansatz. "Das Auto fühlt sich großartig an, besonders mit viel Sprit an Bord", sagt Bottas. Tatsächlich hatte Mercedes die Longruns am Freitag klar dominiert, war auf Ultrasoft vier Zehntel vor Ferrari, auf Supersoft gar mehr als fünf. "Ich bin bereit für den Sieg. Das ist mein einziges Ziel. Russland liegt schon zulange zurück", sagt ein entsprechend zuversichtlicher Bottas.

Longruns auf Ultrasoft-Reifen

Fahrer Durchschnittliche RundenzeitAbstandSession
Lewis Hamilton1:08,807 MinutenFP2
Sebastian Vettel1:09,221 Minuten+ 0,404 SekundenFP2
Valtteri Bottas1:09,211 Minuten+ 0,414 SekundenFP2
Kimi Räikkönen1:09,283 Minuten+ 0,476 SekundenFP2
Max Verstappen1:10,026 Minuten+ 1,219 SekundenFP2

Hamilton dagegen schließt genau deshalb - wegen des gut aufgelegten Bottas - einen eigenen Sieg fast schon aus. "Valtteri war das ganze Wochenende der schnellste, also spielt das für mich momentan keine Rolle", sagt Hamilton. Etwas mehr trauen ihm da schon die Vorgesetzten und Verantwortlichen bei Mercedes zu. "Die Performance von Lewis im Q2 zeigte, dass er morgen noch jede Menge an Rennpace nachlegen kann", meint etwa James Allison, Technischer Direktor bei Mercedes. "Seine Pace auf den superweichen Reifen im Q2 hat gezeigt, dass er für morgen in einer guten Form ist", bestätigt Motorsportchef Toto Wolff. "Er startet auf den superweichen Reifen, was ihm Optionen für das Rennen bietet."

Longruns auf Supersoft-Reifen

Fahrer Durchschnittliche RundenzeitAbstandSession
Valtteri Bottas1:08,638 MinutenFP2
Sebastian Vettel1:09,180 Minuten+ 0,542 SekundenFP2
Daniel Ricciardo1:09,842 Minuten+ 1,204 SekundenFP1

Von Pessimismus kann allerdings auch bei Hamilton nicht die Rede sein. Vor Ferrari landen zu können, glaubt er dann doch. "Ich werde den besten Job machen, den ich abliefern kann. Ich will da hoch und einen Doppelsieg mit Valtteri holen. Wir haben immer noch eine großartige Pace und das Auto war hier bislang fantastisch. Ich weiß also, dass ich ein Auto habe, um es zu schaffen", sagt er. Anders als 2014, als ihm eine solche Aufholjagd in Spielberg gar von P9 gelang, werde das am Sonntag allerdings nicht einfach. Damals sei das Delta zur gesamten Konkurrenz schlicht viel größer gewesen. "Ich glaube, dass es schwierig wird, morgen nach vorne zu kommen."

Nachtarbeiter Vettel: Ferrari seit Freitag viel besser geworden

Letztere Meinung teilt indessen jemand mit drastisch kürzeren Weg nach vorne: Sebastian Vettel. Nur auf Ergebnis fahren, Hauptsache vor Hamilton ankommen, will der Ferrari-Pilot trotz der sehr unterschiedlichen Ausgangslage nicht. Im Gegenteil: Den Sieg nimmt Vettel voll ins Visier. "Wir fahren alles, was geht", entgegnet Vettel allen Fragen, ob er sich zurückhalten werde. "Und ich glaube, dass der Sieg morgen machbar ist. Aber es wird kein Zuckerschlecken. Es wird schwer gegen den Valtteri, er war das ganze Wochenende sehr schnell und die Longruns sahen gestern gut aus bei ihnen", erinnert Vettel.

Allerdings sei Ferrari über Nacht ein großer Schritt nach vorne gelungen. Weil noch dazu die Rennpace Ferraris im Vergleich mit Mercedes gegenüber dem Qualifying in dieser Saison stets zugenommen habe, rechnet sich Vettel dennoch sehr gute Chancen auf den Rennsieg aus. "Das sollte uns auch morgen helfen. Wir hoffen, das wir auch morgen dann dran sind", sagt Vettel. "Es wird aber ein enges Rennen. Aber wir sind auf der Jagd und werden alles versuchen, um zu gewinnen. Das ist das Ziel. Wir haben ein gutes Auto, ein gutes Paket."

Zustimmung erntet Vettel dafür in der anderen Ferrari-Garage. Auch Kimi Räikkönen geht davon aus, dass Ferrari am Sonntag ein klares Wort mitreden wird. "Normalerweise hat Mercedes im Qualifying einen kleinen Vorteil, aber nicht heute. Morgen müssen wir sehen. Normalerweise sind wir im Rennen etwas stärker verglichen mit ihnen", sagt der Finne, dem nach Problemen am Freitag über Nacht ein sogar noch größerer Sprung nach vorne gelungen war. Garantien könne er allerdings nicht geben. Dafür eine Andeutung: Ferrari habe durchaus erwartet, in Spielberg wieder viel besser aufgelegt zu sein als zuletzt ...

Fazit: Der Österreich GP 2017 dürfte von der Spannung an gleich zwei Orten leben: Drei Top-Favoriten werden es sich in einem wohl superengen und kaum vorhersehbaren Kampf an der Spitze richtig geben, dürfen dabei jedoch nicht den Fehler machen, Aufholjäger Hamilton mit deutlich mehr Strategie-Assen im Ärmel zu vergessen. Früher oder später wird der Dreikampf an der Spitze aber sicherlich ohnehin zum Vierkampf, passiert nichts Unvorhergesehenes. Dafür ist Hamilton als Aufholjagd-Experte viel zu berüchtigt und abgebrüht. Kommt allerdings der nicht unwahrscheinliche Regen, können wir sowieso alles vergessen und müssen dann auf einmal auch Red Bull ganz weit nach oben auf den Favoritenzettel bei deren Heimrennen schreiben.