Die Formel 1 musste am Samstagabend in China einmal mehr stundenlang warten, ehe das Qualifying-Ergebnis offiziell war. Grund war ein Protest von Aston Martin. Die Briten waren gegen das Qualifying des siebtplatzierten Carlos Sainz vorgegangen. Es ging um Sainz' Unfall im zweiten Segment des Qualifyings, welcher eine rote Flagge ausgelöst hatte. Nach 3 Stunden und 20 Minuten wurde der Protest abgewiesen.

Es war ein bizarrer Regel-Disput um eine Formulierung im sportlichen Reglement der Formel 1 gewesen. "Jeder Fahrer, dessen Auto während einer Qualifying-Session oder Sprint-Qualifying-Session auf der Strecke stehenbleibt, darf nicht mehr weiter an der Session teilnehmen", heißt es nämlich in Artikel 39.6 des Sportlichen Reglements.

Aston Martin argumentierte, dass das auf Sainz zutraf. Der war 77 Sekunden stillgestanden, ehe er seinen beschädigten Ferrari wieder startete und an die Box schleppte. Nach Reparaturen griff er in Q2 nicht nur erneut ein, sondern stieg auch in Q3 auf und holte sich am Ende Platz sieben.

Langes Sainz-Warten nach Crash öffnet Tür für Regel-Disput

Warum der Zwischenfall sich überhaupt so aufgebauscht hat? Weil der Ablauf ungewöhnlich lange war. Üblicherweise gibt es bei einem Unfall zwei Szenarien. Auto kaputt, oder Auto noch fahrbar. Bei Sainz war es nicht so einfach. Als er in den Reifenstapel einschlug, schien er erst aufgegeben zu haben. "Sorry, Jungs", funkte er nach nur acht Sekunden.

Beim Bandenkontakt war das Auto abgestorben. Nach 18 Sekunden forderte ihn die Box - wohl ebenfalls im Glauben, es sei vorbei - auf, auch die Zündung abzustellen. Doch geparkt auf dem Grasstreifen begann Sainz' Gehirn nach dem ersten Einschlag wieder so richtig zu arbeiten. So schlimm war es gar nicht gewesen. "Im letzten Moment, bevor ich die Mauer berührt habe, schaffte ich es, das Lenkrad ein bisschen zu drehen und in einem besseren Winkel einzuschlagen", analysierte er später.

Ferrari-Fahrer Carlos Sainz Jr. mit Crash in Q2
Der kaputte Sainz auf dem Weg zurück an die Box, Foto: LAT Images

28 Sekunden nach dem Einschlag meldete sich Sainz am Funk: "Ist das Heck sehr beschädigt?" Während die Box noch überlegte, unternahm er nach 47 Sekunden den ersten Versuch, den SF-24 neu zu starten. Dann schaltete sich die Box nach 53 Sekunden ein: "Versuch zurückzukommen, wenn du kannst." Das abgestorbene Auto verzögerte den Prozess weiter. Sainz war mit dem Starten überfragt, bat nach 58 Sekunden um Hilfe, bekam nach 63 Sekunden Anweisungen. Als der SF-24 sich wieder bewegte, waren 77 Sekunden vergangen.

In der Rennleitung arbeitete man währenddessen das übliche Protokoll ab. Ungefähr eine Minute nach dem Abflug erschien auf dem Feed der Rennleitung die Nachricht "Auto 55 (SAI) steht auf Start/Ziel-Geraden". Das ist gängiges Verfahren. Man wartet, ob ein Auto noch einmal losfährt. Ist das nicht der Fall, kommt diese Meldung, um allen zu signalisieren, wer wo steht und für die rote Flagge verantwortlich ist.

Stewards schmettern Aston-Martin-Protest mit Nachdruck ab

Ab wann "steht" also ein Auto? Steht ein Auto erst dann, wenn es aus eigener Kraft nicht mehr an die Box kann, der Fahrer aussteigt, ein Abschleppwagen kommt und so weiter? Gibt es einen Standard-Zeitrahmen, wie etwa 30 Sekunden, den die Rennleitung anwendet? Steht ein Auto dann, wenn es die Rennleitung per einer so vermeintlich achtlosen Nachricht für die Allgemeinheit auf dem Zeitnahme-Monitor als stehend bezeichnet?

Mehrere unbeteiligte Teammanager waren in der Anhörung vertreten und lieferten Beweise gegen Aston Martins simple Argumentation, dass Sainz zu lange gestanden sei und die FIA-Nachricht das obendrauf belege. Auch die FIA-Vertreter verwiesen auf den stets pragmatischen Ansatz der Vergangenheit: "Solange ein Auto sich innerhalb einer vernünftigen Zeit starten und anfahren lässt, wäre das üblicherweise erlaubt." Man nennt 30 Sekunden als vernünftigen Zeitrahmen: "Aber das variierte je nach Umstand."

2022 stand Alex Albon in Kanada ungefähr 40 Sekunden, es gab auch die oben angeführte Nachricht, aber damals beschwerte sich niemand. In Übereinstimmung mit anderen Teammanagern wurde festgehalten, dass Versuche, "gestoppt" mit einer konkreten Zeitangabe im Reglement zu definieren, wiederholt gescheitert waren. Für den pragmatischen Ansatz der FIA wurde daher folgender Faktor entscheidend: Erhält das Auto Hilfe von außen, um wieder anzufahren? Also etwa durch Anschieben von Streckenposten? Im Fall Sainz klar nicht der Fall.

Die verbleibende Frage war daraufhin, ob 77 Sekunden zu lange waren. Mangels konkreter Richtlinien im Reglement verbleibt man dabei, dass diese Einschätzung der Rennleitung allein obliegt. Diesbezüglich wird auch festgehalten: Die Nachricht auf dem Zeitnahme-Monitor ist Standard-Prozedere und hat nichts mit einer rechtsgültigen Einschätzung zu tun, ob ein Auto weiterfahren darf oder nicht.

"Es gibt daher ein klares Muster an vergangenem Verhalten im Sport", folgern die Stewards. "Demnach wurde die Regel so ausgelegt, dass man ein Auto neu starten und anfahren darf, solange man dabei nicht Hilfe von außen erhält." Kuriosum am Rande: Man einigte sich 2023 bei einem Treffen der F1-Komission, "Hilfe von außen" im relevanten Paragrafen auch festzuschreiben. Das wurde aber vergessen.