An und für sich war es eine klare Sache in Monza. Zwei Red Bull vor zwei Ferrari vor zwei Mercedes. Das Kräfteverhältnis war im Rennen in Stein gemeißelt. Trotzdem ist die Renn-Analyse vom Italien-GP sehr interessant. Denn sie unterstreicht: Ein Patchwork-RB19 gewann gegen einen perfekten Ferrari SF-23. Warum selbst der nicht reicht, um Red Bull 2023 zu besiegen - und was das für den Rest der Saison bedeutet.

Ferrari hat in Monza nämlich alle Register gezogen. Nicht nur fahrerisch, wie die erbarmungslosen Blocks von Carlos Sainz und Charles Leclerc gegen Max Verstappen und Sergio Perez zeigten. Auf dem Papier war der Ferrari das perfekt auf dieses Rennen zugeschnittene Auto.

Ferrari investiert in Monza mehr als Red Bull

Das Low-Downforce-Paket von Ferrari wurde perfekt auf Monza zugeschnitten. Damit war die Scuderia im Spitzenfeld Ausreißer. Die Konkurrenz nahm ihre davor kleinsten Heckflügel und trimmte die oberen Elemente mit Ausschnitten. Eine billige Lösung, in Zeiten der Budget-Obergrenze sinnvoll. Schließlich gibt es nur mehr eine Highspeed-Strecke, auf der so ein Paket Sinn macht.

Ferrari findet die Investition gerechtfertigt. Natürlich, es ist Italien, räumt Ingenieur Jock Clear ein: "Ein Ferrari auf Pole ist uns allen sehr viel wert." Aber Clear will viel lieber die Performance-Seite hervorheben: "Uns war sehr früh in der Saison klar, dass wenig Abtrieb uns besser passt. Von einem Performance-Standpunkt aus war das richtig."

Der SF-23 ist bekannt dafür, besonders mit viel Abtrieb in allen Kurven bissig und unberechenbar zu sein. Nimmt man aber über das ganze Design gleichmäßig Abtrieb weg, verbessert sich die Balance der ganzen Plattform deutlich. "Schaut euch Österreich oder Kanada an", meint Clear. "Da waren wir nicht nur auf den Geraden schnell, auch in den Kurven." Wenn also das ganze Feld Abtrieb wegnimmt, rückt der SF-23 relativ zur Konkurrenz im Kräfteverhältnis vor.

Die Heckflügel von Ferrari und Red Bull in Monza im Vergleich
Die Heckflügel von Ferrari und Red Bull in Monza, Foto: LAT Images

Mit den Mini-Flügeln von Monza war das Auto sogar in schnellen Kurven wettbewerbsfähig, hält Clear fest: "Sogar in Kurve 11, wo wir sonst richtig Probleme hätten." Diese Chance musste Ferrari einfach ergreifen.

Man baute beiden Fahrern obendrauf noch die letzten frischen Power Units ein. "Ich denke, die haben sie hart rangenommen", mutmaßt Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Der Verdacht der Konkurrenz: Ferrari drehte die Leistung für das Heimpublikum zusätzlich auf. Die Scuderia verneint, die Lebensdauer der Power Units sei durch Monza nicht über Gebühr verkürzt geworden.

Ferrari-Traum von Monza hält ein Qualifying und 12 Runden

Der perfekte Ferrari war am Freitag aus dem Stand das schnellste Auto. Anders der RB19, der mit seinem Low-Downforce-Paket zwei Trainingsstunden lang nicht in ein gutes Setup-Fenster zu bekommen war. Im Angesicht der starken Ferrari ließ Red Bull daher früh die Pole fallen und konzentrierte sich primär auf das Rennen.

Carlos Sainz holte den ersten Startplatz. Probleme lagen da schon in der Luft: Der Renn-Red-Bull war bis auf 13 Tausendstel dran. Selbst der ausbalancierte Ferrari war in den schnellen Kurven nicht gut genug. Max Verstappen gewann dort ungefähr zwei Zehntel, der Ferrari schlug nur unter Traktion und auf den Geraden zurück.

Was das bedeutete, zeigte das Rennen sofort. Verstappen verschwendete keine Zeit und drückte hemmungslos hinter Sainz im DRS-Fenster. Der führende Ferrari musste in der Parabolica aggressiver zu Werke gehen. Nur so konnte er verhindern, dass Verstappen sich hin zur ersten Kurve für ein sauberes Überholmanöver ausreichend danebensetzte. Verstappen registrierte die Probleme des Gegners schnell und adaptierte seinen Druck entsprechend. Gerade genug, um Sainz zu zwingen, so weiterzumachen.

Mit seiner Alles-oder-Nichts-Fahrt belastete Sainz durch die Parabolica Runde um Runde den linken Hinterreifen unverhältnismäßig stark. In Runde 12 begann der zu rutschen. Die gefürchtete Spirale in den Reifentod begann: Man rutscht, der Reifen gibt nach, man rutscht noch mehr, der Reifen gibt noch mehr nach. In Runde 15 wuchs Sainz die Lage über den Kopf, er verbremste sich vor der ersten Kurve. Verstappen ging vorbei.

Was Monza für die restliche Red-Bull-Saison bedeutet

Was Ferrari nach Runde 15 trieb, war für den Sieg irrelevant. Sainz oder Leclerc zu einem vorgezogenen Boxenstopp zu holen hätte Red Bull nicht beeindruckt. Es war offensichtlich, dass ein so früher Stopp einen Ferrari in eine Zweistopp zwingen würde. Sainz hatte schon Probleme, von Runde 19 an auf dem Hard durchzufahren.

Hätte Verstappen am Ende pushen müssen, dann hätte er wohl ungefähr 18 statt 11 Sekunden Vorsprung auf Ferrari herausfahren können. In den letzten Runden rollte er praktisch nur mehr um den Kurs, um einen Pulk an Überrundeten nicht einzuholen und so das Auto besser zu kühlen. Für Ferrari scheint damit die Chance, 2023 einen Sieg nach Pace einzufahren, verstrichen. Genauer gesagt gab es sie nie. Der SF-23 ist selbst an seinem besten Wochenende nicht auf RB19-Level.

Red Bull hat wiederum eine kritische Hürde geschafft. "Sie haben uns auf jeden Fall auf diesem einzigartigen Kurs harte Gegenwehr geliefert", urteilt Christian Horner. "Es war ein hartes Rennen, und sie zu überholen war schwierig. Sie haben sich robust verteidigt, waren schnell auf den Geraden, und in Monza zu überholen ist nicht einfach."

Doch es reichte für Red Bull. Damit hat das Team einen signifikanten Schritt in Richtung perfekter Saison mit Siegen in allen Rennen gemacht. Die Low-Downforce-Bedrohung durch Ferrari wurde abgewendet. Es folgt Singapur, das genaue Gegenteil von Monza. Scheitern dort die High-Downforce-Spezialisten von Mercedes und Aston Martin, dann ist die Tür zur perfekten Saison schon sehr weit offen.