Jacques Villeneuve zählt zu den schillerndsten Persönlichkeiten im Formel-1-Fahrerlager. Seit der Corona-Pandemie ist der meinungsstarke Weltmeister von 1997 aber nur noch selten an der Strecke anzutreffen. Als TV-Experte arbeitet er meist aus Paris. Für Monaco machte Villeneuve eine Ausnahme. Im erstmals vollständig für Medien geöffneten Fahrerlager traf Motorsport-Magazin.com den Chefkritiker der Formel 1 und sprach mit ihm über die brennendsten Themen.

Wer ist der bessere Fahrer? Wer hat fahrerisch die besseren Chance auf den WM-Titel: Lewis Hamilton oder Max Verstappen?
Jacques Villeneuve: Ich weiß es nicht. Max ist es gewohnt, das Auto zu überfahren, um die Ergebnisse zu holen, Lewis nicht. Es wird davon abhängen, wie die Saison verläuft: Wenn es nur darum geht, den Vorsprung zu verwalten oder ob er kämpfen muss wie mit Nico. Er ist nicht mehr daran gewöhnt. Auf der anderen Seite ist Red Bull nicht mehr daran gewöhnt, um Titel zu kämpfen. Sie haben deshalb schon Fehler bei Strategie-Entscheidungen gemacht. Es ist eine lange Saison, das wird sich alles ausgleichen.

Wir haben schon gesehen, dass Max im Zweikampf gegen Lewis viel aggressiver ist
Jacques Villeneuve [unterbricht]: Nein, das finde ich nicht. Lewis ist ziemlich gut, aber er hält es normalerweise sauber. Er geht genau ans Limit. Es sieht gelassen aus, ist es aber nicht. Sie sind beide sehr gut darin.

Max war in T1 in Imola oder Barcelona nicht viel aggressiver?
Jacques Villeneuve: Lewis hat in der Vergangenheit das gleiche mit Nico gemacht. Abgesehen davon, dass er es immer bis genau zu diesem Punkt gemacht hat, an dem die Leute geglaubt hätten, er würde es absichtlich machen. Das war damals der kleine Unterschied zwischen ihm und Nico. Bei Nico war es offensichtlich, bei Lewis nicht. Jetzt wird das erwartet von Max. Deshalb sieht man es so, weil man es erwartet.

Max Verstappen vs. Lewis Hamilton: Bislang gingen die Zweikämpfe glimpflich aus, Foto: LAT Images
Max Verstappen vs. Lewis Hamilton: Bislang gingen die Zweikämpfe glimpflich aus, Foto: LAT Images

Hat Lewis die Kollisionen vermieden?
Jacques Villeneuve: Das kommt mit der Erfahrung. Du musst wissen, welche Schlachten du schlägst und welche nicht. Er hat dabei die richtigen Entscheidungen getroffen.

Wird seine Erfahrung ein großer Vorteil im Titelkampf sein?
Jacques Villeneuve: Ja. Denn er hat sich mit der Erfahrung sehr stark verbessert. Er ist als Fahrer definitiv gereift. Er kann das auch die ganze Saison durchhalten, was früher in seiner Karriere ein kleines Problem war.

Ist Max auf der anderen Seite schon bereit für den Titel?
Jacques Villeneuve: Er ist schon lange genug da! Wenn er jetzt nicht bereit ist, wird er nie bereit sein.

Kommen wir auf Red Bull zurück. Du sagst, sie sind es nicht gewohnt
Jacques Villeneuve [unterbricht]: Sie sind es nicht mehr gewohnt! Sie haben dort unglaubliche Leute, das wird schon. Aber jetzt ist das größere Problem, dass Perez nicht im Fight war. Er war schnell aber irgendwie sind die Dinge schiefgegangen. Wie in Imola, als er sich vorne qualifiziert hat. Mercedes hat zwei Autos und sie können Bottas bei der Strategie nutzen. Wenn du zwei Autos hast, macht es das um einiges leichter, die richtige Strategie hinzubekommen.

Ist es Lewis' größter Vorteil, Valtteri an seiner Seite zu haben?
Jacques Villeneuve: Im Moment ja. Aber Perez ist fahrerisch mindestens auf dem Level von Valtteri. An einem Punkt wird sich das drehen. Wenn du dir Imola ansiehst: Da war Valtteri nicht im Rennen. Hier war Lewis nicht im Rennen. Es ist eine lange Saison. Es wird sich alles noch verändern. Aber die Teams haben nicht viel Zeit, darauf mit technischen Änderungen zu reagieren, weil einfach Rennen nach Rennen kommt. Das verkompliziert das ganze. Es sollte keine großen Verbesserungen geben. Was wir jetzt sehen, ist das, was wir haben sollten: Autos, die auf manchen Strecken schnell sind und auf manchen nicht. Das würfelt alles durcheinander. Was sehr spannend wird: Zwei Rennen auf dem Red Bull Ring. Normalerweise ist das keine schlechte Strecke für Red Bull…

Abgesehen von Monaco fahren Max und Lewis in ihrer eigenen Liga. Manche vergleichen ihren Kampf schon mit Senna gegen Prost.
Jacques Villeneuve: Nein! Wenn man sich Senna gegen Prost ansieht, dann ist da viel außerhalb des Autos passiert. Senna vs. Prost hätte passieren können, als es Nico war. Als es richtige Feindschaft gab, die es jetzt nicht gibt. Die Gladiatoren-Seite, der Groll außerhalb des Autos ist nicht da. Lass uns abwarten. Senna und Prost hatten gemeinsam sieben Titel!

Die haben Lewis und Max auch…
Jacques Villeneuve: Leclerc kann auch im Kampf sein, wenn das Auto funktioniert. Es ist nicht so wie damals. Außerdem waren Prost und Senna Teamkollegen.

Neben der Strecke kämpfen Lewis Hamilton und Max Verstappen noch nicht mit harten Bandagen, Foto: LAT Images
Neben der Strecke kämpfen Lewis Hamilton und Max Verstappen noch nicht mit harten Bandagen, Foto: LAT Images

Glaubst du die Teams werden andere Wege bei der Entwicklung einschlagen? Dass sich ein Team mehr auf 2021 als auf 2022 konzentriert?
Jacques Villeneuve: Ja, ich kann mir vorstellen, dass Red Bull sich darauf fokussiert, den Titel zu gewinnen.

Wie schlägt sich Sebastian Vettel in dieser Saison?
Jacques Villeneuve: Dieses Wochenende war gut, zuvor war es einfach ein Weitermachen der letzten beiden Ferrari-Jahre. Das war traurig zu sehen. Dieses Wochenende hat er den Unterschied gemacht. Das Auto ist nicht, was sie erwartet hatten. Der alte Mercedes funktioniert mit den neuen Regeln nicht. Als Team können sie das nicht entwickeln.

Denkst du, Sebastian hätte nach Ferrari aufhören sollen?
Jacques Villeneuve: Warum? Er fährt in der Formel 1 und er verdient viel Geld.

Aber er ist ein viermaliger Formel-1-Weltmeister. Geht es da noch darum?
Jacques Villeneuve: Das ist egal. Die Leute sagen immer: 'Oh, er gewinnt nicht nicht, er sollte zurücktreten.' Es ist wie mit allem im Leben: Es ist auch ein Job. Es macht Spaß, Rennen zu fahren, aber es ist auch ein Job. Damit bezahlst du die Ausbildung deiner Kinder. Damit bezahlst du alles. Wenn du noch immer in der Formel 1 fahren kannst, so etwas wie konkurrenzfähig bist, Spaß dabei hast, ein Auto zu fahren und dabei Millionen verdienst, warum solltest du da zurücktreten? Außer du hättest Angst davor zu sterben oder so etwas. Das ist immer die verrückteste Frage, die mir gestellt wird.

Ist Lance Stroll der Maßstab für Sebastian Vettel?, Foto: LAT Images
Ist Lance Stroll der Maßstab für Sebastian Vettel?, Foto: LAT Images

Du warst nie ein großer Fan von Lance Stroll. Aber hat er sich gesteigert und ist jetzt die Benchmark für Sebastian oder denkst du, Sebastian sollte ihn recht deutlich schlagen?
Jacques Villeneuve: Ich weiß nicht… Lance kennt das Auto gut. Er ist lange beim Team und es ist sein Team. Wer weiß schon, wie es politisch dort ist. Aber Lance ist kein schlechter Fahrer. Er hat letztes Jahr im Regen eine Pole geholt.

Also ist er eine Benchmark für einen vierfachen Weltmeister?
Jacques Villeneuve: Der Weltmeister ist immer der Maßstab. Nicht andersrum.

Was können wir noch von Sebastian erwarten?
Jacques Villeneuve: Ich weiß es nicht. Vielleicht braucht er einfach nur ein gutes Wochenende wie dieses, um wieder in Fahrt zu kommen. Es ist sehr schwierig, das einzuschätzen. Aber wenn die Dinge härter werden, wie bei Ferrari, dann kann man sehen, dass die Last für ihn zu groß ist. Dann überdenkt er die Dinge.

Kannst du bei ihm das Feuer noch sehen?
Jacques Villeneuve: Du fährst kein gutes Qualifying in Monaco, wenn du das Feuer oder die Leidenschaft nicht mehr hast.

Rookies machen Fehler: Mick Schumacher am Monaco GP gleich zwei, Foto: LAT Images
Rookies machen Fehler: Mick Schumacher am Monaco GP gleich zwei, Foto: LAT Images

Was hältst du von Mick Schumacher?
Jacques Villeneuve: Es freut mich zu sehen, dass er performt. Er schlägt seinen Teamkollegen. Aber er macht dabei ein paar Fehler. Das ist aber normal. Er ist ein Rookie und es ist ein schwieriges Auto zu fahren. Er hat Ferrari hinter sich.

Hattest du erwartet, dass er bei der Performance so gut sein würde?
Jacques Villeneuve: Wir wissen nicht, wie gut er ist. Denn Mazepin ist nicht der beste Fahrer. Wer weiß, wie schnell er ist oder nicht. Das ist unmöglich zu sagen.

Ist das ein Problem für ihn? Jeder erwartet, dass er Mazepin schlägt. Er kann nichts gewinnen.
Jacques Villeneuve: Er schlägt ihn klar, er fährt für ein Team, in dem es keinen Druck gibt. Er ist da, um zu lernen. Für ihn ist es eine perfekte Situation.

Aber wie lange ist das eine perfekte Situation?
Jacques Villeneuve: Für ein Jahr. Aber das ist okay, er ist noch Teil der Ferrari-Gruppe. Sie können sich ansehen, was dann passiert.