Turbulente Zeiten für Williams in der Formel 1: Ohnehin finanziell nicht auf Rosen gebettet, nötigte die Corona-Krise das Traditionsteam der Königsklasse Anfang 2020 dazu, sich nach Investoren umzusehen. Letztlich kam es zu einem Szenario, das Williams von vornherein nicht ausschloss. Das 1977 von Sir Frank Williams gegründete Team wechselte vollständig den Besitzer. Jetzt gehört Williams der US-Investmentfirma Dorilton Capital. Damit nicht genug. Im Rahmen des Italien GP verkündete die Familie Williams ihren vollständigen Rückzug mit nahezu sofortiger Wirkung.

Am Montag nach dem F1-Rennen in Monza befand sich der Rennstall aus Grove somit erstmals seit 43 Jahren weder auf Eigner- noch auf Teamchef-Seite in Hand der Williams-Familie. Nur einen Tag später war die Nachfolge geregelt. Der erst Anfang des Jahres als Operationsleiter von McLaren in neuer Rolle als Managing Director zu Williams gestoßene Simon Roberts fungiert seitdem übergangsweise als Teamchef.

Williams will Management stabil halten

Gleichzeitig nutzte Geschäftsführer Mike O'Driscoll die Gelegenheit, um sich in den Ruhestand zu verabschieden. Der 64-Jährige wird Williams 2020 allerdings weiter beratend unterstützen - bis die neue Führungsstruktur abschließend in klare Bahnen gelenkt ist. Auch Finanzchef Doug Lafferty verlässt das Team. Alles umstürzen wollen die neuen Eigentümer des Rennstalls allerdings genauso wenig wie Interims-Teamchef Roberts, berichtete der 58-Jährige nun vor dem Russland GP - bei seinem ersten Auftritt in einer offiziellen Pressekonferenz der FIA. Das zeige schon seine Beförderung.

„Ich bin sehr stolz und fühle mich geehrt, dass ich gebeten wurde, es zu machen. Es gibt in der Fabrik so viel zu tun. Wir versuchen sicherzustellen, dass wir das Management-Team unter den neuen Besitzern stabil halten. Das ist wichtig für sie und den Rest des Teams. Indem ich aufsteige, ist es uns möglich“, sagte Roberts.

Langfristige Lösung statt Schnellreparatur

Aktuell befindet sich das Williams-Team gemeinsam mit den neuen Eignern von Dorilton Capital rund um deren CEO Matthew Savage in einer gründlichen Analyse, was genau verbessert werden muss und in welchen Bereichen investiert werden soll. Dorilton soll langfristig planen, heißt es vonseiten aller Beteiligter. „Es gibt keine Schnellreparatur. Wir sind mit langem Atem hier, genauso ist es Dorilton“, sagte Roberts.

Simon Roberts hat übergangsweise Claire Williams als Teamchef beerbt, Foto: Williams
Simon Roberts hat übergangsweise Claire Williams als Teamchef beerbt, Foto: Williams

Noch müssten die US-Amerikaner das Business ohnehin vollständig durchblicken, wenngleich sich mit Doriltons James Matthews nun auch ein Mann mit Motorsport-Biografie, 1994 wurde Matthews britischer Formel-Renault-Champion, im Vorstand von Williams Grand Prix Engineering befindet. Die Rennsparte von Williams wurde im Zuge der Übernahme aus der übergeordneten und nun abzuwickelnden Holding ausgegliedert.

Wer ist Dorilton? Roberts: "Sie verstecken sich nicht"

Als Nachfolger der Familie habe Williams mit Dorilton jedenfalls die richtigen gefunden, meint Roberts. „Sie sind super schlau und echt angenehme Leute, mit denen man sehr leicht zusammenarbeiten kann. Sie versuchen überall mitzuwirken, wo sie können“, sagte der Brite.

In Mugello war Dorilton mit Matthews, Savage und Rechtsbeistand Stephanie Dattilo erstmals persönlich vor Ort. Das verpasste der bis dahin weitgehend namenlosen Firma - samt interessanter Gerüchte rund um einen gewissen Bernie Ecclestone - ein Gesicht. „Sie waren da. Sie haben keine Interviews gegeben, aber es war ihr erster Tag in der Formel 1 und ich erwarte, dass wir sie in Zukunft sehen werden. Sie verstecken sich nicht“, versicherte Roberts.

Bleibt Roberts Teamchef?

Auf der Seite des Teamchefs bleibt unterdessen offen, ob Roberts letztlich langfristig auf dem Posten bleibt. „Darauf haben wir uns noch nicht fokussiert, ehrlich gesagt. Der gesamte Verkaufsprozess lief viel schneller als wir alle erwartet hatten und dann traf Claire ihre Entscheidung, die ein Schock für alle war. Deshalb war es das Wichtigste, eine gewisse Kontinuität zu erhalten“, erklärte Roberts in Sotschi auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. Vorstellen kann sich der gelernte Ingenieur den Posten jedenfalls. „Hoffentlich kann ich es noch länger machen, aber wir haben das noch nicht besprochen“, sagte Roberts. Erst einmal gebe es noch andere Prioritäten, um Williams auf Kurs zu bringen.

Das gilt nicht nur für die lange Sicht. „Wir wollen 2021 nicht aufgeben“, betonte Roberts. Die neuen sportlichen, wie finanziellen Regeln der Formel 1 ab 2022 liefern zwar auch für Williams die Chance schlechthin, auf einen Schlag einen Sprung zu schaffen, doch dürfe man 2021 deshalb nicht opfern. „Es ist wichtig, das Team lebendig, aktiv und im Wettbewerb zu halten - deshalb versuchen wir, auch einen Plan für die nahe Zukunft auszufertigen, um - wenn wir es können - den Schritt zu wiederholen, der dem Team von 2019 auf 2020 gelungen ist. Wenn wir das schaffen, sind wir für nächstes Jahr in einer guten Position“, schilderte Roberts.

Williams: Finanzielle Entspannung kein Freifahrtschein

Hoffnungsvoll stimmt Williams dabei vor allem, dass dank Dorilton das dafür nötige Geld nun vorhanden ist. Mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird in Grove deshalb allerdings nicht gleich. „Wir werden Geld nur da ausgeben und nur dort investieren, wo es auch Sinn ergibt“, betonte Roberts. „Es gibt keinen Freifahrtschein. Sie sitzen hier nicht mit einem großen Topf voller Geld, den sie investieren wollen. Das ist absolut nicht der Fall“, ergänzte Roberts bei den Kollegen von ‚racefans.net’. „Wir investieren nur langfristig und müssen jedes Pfund oder jeden einzelnen Dollar, den wir ausgeben, rechtfertigen.“

Ohnehin - so schlecht sei es bei Williams mitnichten. Die internen Möglichkeiten schätzt Roberts sogar als größer ein als bei seinem vorherigen Arbeitsgeber McLaren. „Wir haben auch mehr Angestellte [rund 700]. Das ist etwas, das über viele Jahre aufgebaut wurde. Das ist ein Teil des Vermächtnisses von Frank [Williams] und Patrick [Head]“, sagte Roberts. „Auch die Maschinen sind relativ neu. [...] Wir haben großartige Anlagen, vielleicht seit zehn Jahren etwas unterinvestiert, aber sie sind nicht hinüber. [...] Mit dem Team ist fundamental nichts falsch.“ Deshalb gehe es um zielgerichtete Investitionen, um alles zu optimieren: Bei den Grundlagen in der Fabrik, beim Team an der Strecke, sodass Infrastruktur und Abläufe zuverlässig und auf dem richtigen Niveau funktionierten, so Roberts.

Williams könnte aufstocken: Weit unter Budgetgrenze

Aktuell operiert Williams noch weit unter der bevorstehende Budgetobergrenze von 145 Millionen US-Dollar, könnte - unter den ebenfalls geltenden Regeln zu Investionen von nicht mehr als 36 Millionen Dollar über vier Jahre - also noch aufstocken, etwa Personal. Ein zweischneidiges Schwert sei das, so der Brite. „Auch die Homologationsregeln für nächstes Jahr bremsen uns etwas, weil es Dinge gibt, die ich gerne machen würde“, sagte Roberts. „Aber ich will mich nicht beklagen, denn wir mögen das Konzept mit einem hohen Level an Homologation, wir mögen, dass die Ausgaben angeglichen werden.“

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Investieren um des Investierens Willen würde Williams ohnehin nicht, beteuerte Roberts mehrfach. Alles nur zielgerichtet. Gleichzeitig müsse man überlegen, was sich womöglich auslagern lasse - die Bereiche, in den Williams sich anpassen und optimieren will, sind vielfältig. Kurzum: Noch befindet sich Williams mit den neuen Besitzern ganz klar in der Planungsphase. Das Ziel allerdings steht: Es soll aufwärts gehen. Langfristig. Idealerweise mit keinem geringeren Ziel als der absoluten Spitze.

„Dorilton ist da sehr realistisch“, sagte Roberts. Sie haben viel recherchiert und sich den Ablauf angeschaut, wie es bei anderen gelaufen ist, die vor zehn oder zwölf Jahren Teams gekauft haben - von der Übernahme bis zum WM-Kampf, zu Rennsiegen oder was auch immer. Sie sehen es als Reise.“