Die virtuelle Formel 1 und andere Simracing-Events sind und bleiben auf absehbare Zeit die einzige Form, in der Fans, Journalisten und Fahrer in der gegenwärtigen Corona-Krise noch Motorsport erleben oder betreiben können. Selbst die größten Stars der Szene mischen mit. Ob Charles Leclerc, Max Verstappen, Lando Norris oder selbst der langjährige Sim-Verweigerer Sebastian Vettel - nahezu jeder ist irgendwo aktiv.

Der international sicherlich größte Name jedoch beteiligt sich an den umfangreichen eSports- und Simracing-Programmen der Gegenwart nicht. Den Namen von Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton sucht man in den virtuellen Starterlisten vergeblich. Einzig Bruder Nicolas Hamilton taucht dort auf, zuletzt erst am Sonntagabend beim virtuellen Spanien GP in Barcelona.

Lewis Hamilton: Simracing gibt mir nichts

Dabei vermisst der sechsfache Champion den Wettbewerb extrem. "Es war schon hart, das erste Mal in meiner 14. Saison, sich auf den Saisonstart vorzubereiten und dann kommt man nicht zum Fahren. Es waren ein paar schwierige Tage in Melbourne. Wenn einem etwas, das man so sehr liebt, weggenommen wird, dann ist das immer schwer zu verkraften", sagte Hamilton am Wochenende in einem Video des Mercedes-Teams.

Doch warum das nicht zumindest virtuell kompensieren? „Es ist einfach nicht dasselbe wie in Wirklichkeit. Man bekommt nicht dasselbe Feedback um einen herum und man müsste seine Instinkte überschreiben. Das bereitet mir einfach keine Freude“, erklärte Hamilton. Möglicherweise ein fataler Fehler. Das zumindest fürchtet Nico Rosberg.

Nico Rosberg: Zwei Herausforderungen für Fahrer

Im Interview mit RTL/n-tv schildert der TV-Experte, warum sein ehemaliger Stallrivale bei Mercedes womöglich einen vielleicht entscheidenden neuen Trend verpasst. Zwei Dinge seien in der aktuell lange Pause herausfordernd für die Fahrer, so Rosberg. „Einmal sind das die Muskeln und gerade die Nackenmuskeln. Es ist unmöglich, diese Kräfte in deinem Fitnessstudio zu trainieren“, sagt der Weltmeister von 2016.

Rosberg weiter: „Die Autos sind so sauschnell heutzutage. Die werden richtig Probleme mit dem Nacken haben wenn es wieder losgeht. Das ist sicher. Das hat auch gerade schon der Carlos Sainz gesagt, dass er sich da ein bisschen Sorgen macht. Umso spannender ist es dann für uns, wenn die Fahrer da ein bisschen am physischen Limit sind.“

Rosberg: Lange Pause lässt Feinmotorik leiden

Dann gebe es noch einen anderen Aspekt - und hier wird es in Sachen Hamilton interessant. „Das zweite Thema, das noch komplizierter ist, ist, dass ich glaube, dass sie die Perfektion des Autofahrens verlernen“, meint Rosberg. Sein Vergleich: „Stellen wir uns mal vor, der Roger Federer geht jetzt fünf Monate nicht auf den Tennisplatz zum Trainieren. Da können wir uns mal vorstellen, wie das danach bei ihm aussieht nach fünf Monaten. Da ist er definitiv weit weg von seinem besten Performance-Level.“

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So sei es bei Rennfahrern auch. Rosberg: „Das ist so eine Präzisionsarbeit, die da gefordert ist. Die können ja nicht wirklich trainieren. Ich bin mir sicher, dass die da teilweise abbauen werden.“ Die Frage sein nun, in welchem Maß Simracing diesen Abbau der Feinmotorik kompensieren könne. Das würden sich auch andere Fragen, wie für Rosberg das Beispiel Sebastian Vettel belegt.

Rosberg: Wenn sogar Vettel virtuell fährt ...

„Ich bin mir sicher, dass ist auch ein Grund, warum der Sebastian jetzt über seinen Schatten springt und auf einmal auch im Virtuellen unterwegs ist, was er zuhause ja fast noch nie gemacht hat. Weil er einfach gesehen hat: ‚Hey die Konkurrenz ist am Fahren, stundenlang jeden Tag. Das ist gefährlich, das muss ich jetzt auch anfangen!’“, sagt der 34-Jährige.

Ob sein alter Rivale aus Großbritannien hingegen diese Bedeutung erkennt, das hegt Rosberg gewisse Zweifel. „Da sehe ich beim Lewis Hamilton jetzt ... da habe ich Fragezeichen, weil ich nicht glaube, dass er das macht. Ich glaube nicht, dass er da dran denkt oder überzeugt davon ist, dass Simulatorfahren ihm vielleicht helfen könnte“, sagt Rosberg und bestätigt damit, was Hamilton selbst bereits erklärt hatte. „Vielleicht wird das ein Nachteil für ihn wenn es dann losgeht.“

Rosberg zweifelt: Unterschätzt Hamilton körperlichen Abbau?

Abseits davon setzte Hamilton auf jeden Fall alles daran, WM-Titel Nummer sieben zu erstreiten. "Ich habe die Zeit genutzt, um an einigen Schwächen von mit zu arbeiten, etwa an meiner Wadenmuskulatur“, sagte Hamilton in dem Mercedes-Video etwa dazu. Nur der Verzicht auf Simracing könne sich negativ auswirken, moniert Rosberg.

„Ich bin mir nicht sicher, ob er das versteht, wie der Körper abbaut in Sachen Präzisionsgefühl und Fahrkönnen innerhalb von fünf Monaten. Fünf Monate sind eine sehr, sehr lange Zeit ohne zu fahren, ich weiß es ja von mir“, schildert Rosberg.

„Wir haben früher drei Monate Winterpause gehabt und als ich dann das erste Mal wieder im Auto saß, kam mit alles viel schneller vor und ich hatte gar nicht mehr so viel Kapazität. Ich war komplett überfordert mit dem schnellen Autofahren, dass ich überhaupt keine Kapazität mehr hatte, um an andere Sachen zu denken - wie Setup oder was jetzt die nächste Kurve von mir fahrerisch erfordert. Das weiß ich noch ganz genau. [...] Ich glaube nicht, dass der Lewis das versteht.“

Danner widerspricht: Rennfahrer rosten nicht

Aber: Bereits nach ein paar Tagen sei er wieder voll drin gewesen. „Und alles war wieder entspannter. Das ist das Training vom Gehirn“, so Rosberg. Also alles nicht der Rede wert? Gilt der alte Spruch 'Wer rastet, der rostet' für Rennfahrer nicht? So sieht es jedenfalls Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. „Es dauert genau zwei Runden und es kommt wieder. Ich bin mal zehn Jahre nicht gefahren. Das dauert zwei Runden und ich war wieder im Thema. Das ist nicht schwierig“, sagt Danner im MSM-Videointerview.

Höchstens die letzte Perfektion auf eine Qualifying-Runde fehle vielleicht. „Aber da geht es allen gleich. Vielleicht gibt es leichte Unterschiede, aber ein Rennauto zu fahren, ist ein Rennauto zu fahren. Und das kann man. Als Profi in der Klasse schon gleich gar“, betont Danner.

Klartext mit Christian Danner: Vettel-Zukunft & Audi-Ausstieg (41:22 Min.)

Der ehemalige Formel-1-Pilote weiter: „Was man sich immer so vorstellt - das amerikanische System ‚The guy needs more seat time, lass ihn nur lang genug fahren, dann wird das schon’, was ich in der Indycar-Serie immer gehört habe, ist völliger Blödsinn. Entweder man kann es oder man kann es nicht. Das ist in jeder Klasse und Formel, auch in der Formel 1, immer Tatsache. Das ist nicht das Problem.“

Simracing sei derweil kein adäquater Ersatz. „Simulator ist gut, damit kann man natürlich Abläufe sehr gut lernen. Gerade in der Formel 1 mit den ganzen Knöpfen am Lenkrad und Handhabung“, meint Danner zwar. Aber: „Simulator ist Simulator.“ Noch dazu sei - auf andere Weise - Simulator eben nicht gleich Simulator. Danner: „Was in Milton Keynes oder Brackley an Simulatoren steht, hat mit dem, was die da mit dem F1 Spiel machen, nichts zu tun. Das ist eine andere Liga.“