22 Rennen und doch klafft im Formel-1-Rennkalender 2020 eine Lücke. 1950, 1955, 1960, 2015, 2017 - und nun auch 2020. Das ist kein neuer WM-Song der Sportfreunde Stiller, sondern die Jahre, in denen in Deutschland kein Formel 1 Grand Prix stattfand. Seit Oktober gibt es offiziell Gewissheit. Die FIA bestätigte einen neuen Rekordrennkalender mit 22 Rennen, aber ohne einen Grand Prix im Geburtsland des Automobils. "Das kam aufgrund der Situation, dass zwei neue Rennstrecken hinzugekommen sind nicht besonders überraschend", sagte Jorn Teske im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Teske übernahm Anfang September die Geschäftsführung des Hockenheimrings gemeinsam mit Jochen Nerpel von Georg Seiler. Die Formel 1 gastiert 2020 erstmals im vietnamesischen Hanoi, wo Streckenarchitekt Hermann Tilke derzeit einen halbpermanenten Kurs durch die Hauptstadt baut. Mit Zandvoort feiert nach 35 Jahren ein wahrer Klassiker ein Comeback. Entgegen der eigentlichen Ankündigung von Liberty Media wird der Rennkalender von 21 auf 22 Grands Prix aufgestockt.

Bei zwei Neulingen war also für ein Rennen kein Platz mehr für Deutschland. Doch warum gastiert die Formel 1 in neuen Märkten wie Vietnam und warum ist ein Comeback auf einer Strecke möglich, die für die Königsklasse umfangreich umgebaut werden muss, während ausgerechnet Deutschland das Rennen verliert? Und: Ist 2020 nur eine weitere Pause oder ist es der Anfang vom Ende?

An Pausen mussten sich die Fans schon gewöhnen. 2015 und 2017 fanden zuletzt in der jüngeren Formel-1-Geschichte keine Rennen in Deutschland statt. Zu Hochzeiten des Schumacher-Booms fanden noch jedes Jahr zwei Rennen statt. Während am Hockenheimring der Deutschland GP ausgetragen wurde, zelebrierten zehntausende Schumacher-Fans am Nürburgring den Europa GP oder wie 1997 und 1998 den Großen Preis von Luxemburg. 2007 gab es erstmals nach 1994 wieder nur ein Rennen.

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Nürburgring und Hockenheimring wollten sich jährlich mit der Austragung abwechseln. Während der Vertrag mit Hockenheim bis einschließlich 2018 geschlossen wurde, ging der Vertrag des Nürburgrings nur bis 2013. Nach dem Skandal um das Großprojekt Nürburgring 2009 hatte die Formel 1 in der Eifel nicht mehr oberste Priorität, der Vertrag wurde nicht verlängert. Für 2014, 2016 und 2018 hatte der Hockenheimring noch einen Vertrag. Und so kam es, dass 2015 und 2017 das alternierende Konzept nicht mehr funktionierte. Der Hockenheimring wollte einspringen, konnte aber nicht.

Nächste Formel-1-Pause auf dem Hockenheimring

Vom Formel-1-Boom der Schumacher-Jahre war längst nichts mehr zu spüren. Die langfristigen Verträge waren aber noch unter den Vorzeichen des Hypes geschlossen worden. Die Niederlande erlebt einen solchen Hype gerade durch Max Verstappen. Für die Rennstrecken in Deutschland war die Austragung aber längst nicht mehr so lukrativ, teilweise sogar ein großes Minusgeschäft. Wenn man schon für den Nürburgring einspringen würde, dann wollte man wenigstens keine Verluste machen, lautete die Prämisse des langjährigen Hockenheimring Geschäftsführers Georg Seiler. Und so gab es 2015 und 2017 keinen Deutschland Grand Prix.

Georg Seiler wurde 2019 als Chef des Hockenheimrings abgelöst, Foto: Sutton
Georg Seiler wurde 2019 als Chef des Hockenheimrings abgelöst, Foto: Sutton

Der Grand Prix 2019 war eine Zugabe. "Wir sind froh, dass wir die Formel 1 dieses Jahr bei uns hatten, das sah sehr lange nicht danach aus", gesteht Teske und erklärt: "Wir haben kurzfristig nach den Maßgaben, die für uns wichtig waren - nämlich die risikofreie Austragung - einen Vertrag schließen können." In letzter Sekunde sprang Mercedes ein und sorgte mit Millionensubventionen dafür, dass das Rennen finanziert war.

Eine weitere Zugabe wird es 2020 in Hockenheim nicht geben. Der große Formel-1-Boom in Deutschland ist vorbei. Obwohl die Rennen 2018 und 2019 gut besucht waren, Zusatztribünen wie zu Schumacher-Zeiten mussten nicht mehr aufgebaut werden. Nachdem die Zuschauerkapazität durch den Umbau 2001 erhöht wurde, wird inzwischen wieder zurückgerüstet. Die Innentribüne wurde tei0lweise abgerissen, dort wurde im Oktober ein neues Porsche Experience Center eröffnet. "

Hockenheimring erarbeitet sich neue Geschäftsfelder

Wir müssen zusehen, dass wir bei all den spannenden Themen, die wir auf der Strecke haben, am Ende auch wirtschaftlich so dastehen, dass wir zukunftsorientiert arbeiten können", erklärt Teske. Neue Geschäftsführer, neue Geschäftsfelder - der Hockenheimring befindet sich im Umbruch. Geht der Fokus weg vom Motorsport?

"Ich bin ein absoluter Rennsportfreund", stellt Mit-Geschäftsführer Jochen Nerpel klar. Bevor er beim Hockenheimring als Leiter Strecke und Technik einstieg, war Nerpel selbst Rennfahrer, wurde 2002 sogar Meister in der Formel König. Nerpel kennt die aktuellen Piloten teilweise noch als Konkurrenten: "Wenn man sich an der Rennstrecke trifft, dann tauscht man sich über Kart- oder Formel-Zeiten von damals aus." Bedenken, aus den Umbauten könnte ein Debakel wie Nürburgring 2009 werden, teilen beide Geschäftsführer nicht.

Auf dem Gelände des Hockenheimrings ist ein neues Porsche Experience Center entstanden, Foto: LAT Images
Auf dem Gelände des Hockenheimrings ist ein neues Porsche Experience Center entstanden, Foto: LAT Images

"Der große Unterschied ist, dass es privat finanziert ist", erklärt Nerpel. Teske versichert: "Alles ist über eine Partnerfirma von uns, der emodrom bau + grund GmbH komplett privat finanziert, da werden keine Steuermittel verschwendet. Alle Schritte werden nur dann passieren, wenn sie sauber durchfinanziert sind."

Auch Teske hat den Motorsport noch nicht abgeschrieben, selbst wenn Popstar Ed Sheeran inzwischen ähnlich viele Fans an den Hockenheimring lockt wie Formel 1 und DTM zusammen: "Das Freizeitverhalten der Leute hat sich grundsätzlich geändert, sie können nun aus viel mehr Möglichkeiten wählen. Man kann nicht bestreiten, dass Motorsport im klassischen Sinne stagniert. In meinen Augen werden jene Serien aber weiterhin erfolgreich sein, die schon auf einen gewissen Ruf aufbauen können und dann einen packenden Motorsport bieten.

Wenn das Produkt, auf das wir keinen Einfluss haben, wieder besser und spannender wird, dann wird das Interesse auch wieder kommen." Trotz alternativen Geschäftsfeldern will der Hockenheimring die Formel 1: "Für mich bedeutet 2020 nicht das endgültige und ultimative Aus der Formel 1 in Deutschland und am Hockenheimring. Die Formel 1 beteuert immer wieder - und ich nehme es den Kollegen auch ab - wie wichtig der Standort Deutschland ist. Wir hingegen haben auch ein großes Interesse, die Königsklasse hier zu behalten und insofern sollte unser Ziel sein, für die Zukunft über 2020 hinaus eine Lösung zu finden, die dann hoffentlich eine mittelfristige Lösung bietet."

Doch was muss sich bis dahin ändern? "Die Formel 1 muss für sich definieren, wie wichtig ihnen aus strategischer Sicht die Traditionsrennstrecken sind und inwieweit sie dafür bereit sind, Kompromisse in der Antrittsgebühr zu machen", erklärt Teske. "Auf der anderen Seite müssen wir, das Motorsportland Deutschland, gemeinsam mit Partnern aus Politik, Wirtschaft, Verbänden und Automobilclubs zusehen, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die uns wettbewerbsfähiger machen." Denn kaum ein anderes Rennen ist bei der Finanzierung ausschließlich auf Ticketverkäufe angewiesen. Mancherorts stopfen Öl-Millionen die Finanzlöcher, andernorts investieren Länder und Städte für die Imagepolitur.

Mick Schumacher könnte nächsten Formel-1-Boom auslösen

Dabei fordert der Hockenheimring nicht einmal sofort Millionen. "Es muss nicht zwangsläufig zu Zuschüssen kommen", erklärt Teske. "Je nachdem, wie erfolgreich das Rennen ist, kann so etwas ja durchaus aufgehen. Aber es kann nicht sein, dass das Risiko allein auf unseren Schultern lastet und wir diejenigen sind, die mit Millionenverlusten leben müssen, wenn es nicht gutgeht. Die Frage ist, ob es neben uns auch weitere Interessensgruppen gibt, die wirklich bemüht sind, eine Lösung zu finden und uns nicht nur mit warmen Worten zu bedienen." Ob in Deutschland in Zukunft tatsächlich jemand bereit ist, ein Millionenrisiko für die Formel 1 tragen, ist fraglich.

Auch bei der Zugabe 2019 stellten sich Politiker in der Öffentlichkeit als Retter dar, waren aber in der Realität maximal geringfügig daran beteiligt. Die größeren Hoffnungen für Deutschland und Hockenheim sind anderer Natur. Einerseits will Liberty Media den Rennkalender auf bis zu 25 Rennen erweitern. Dann könnte man eventuell auf die eine oder andere Million von Traditionsrennstrecken verzichten. Auf der anderen Seite tun sich zwar mit Saudi-Arabien, zusätzlichen Rennen in China und den USA weitere Möglichkeiten auf, allerdings sind die Subventionen für konkurrierende Rennen auch nicht in Stein gemeißelt. Mexiko beispielsweise musste um die Vertragsverlängerung 2020 lange zittern. Und mit Mick Schumacher hat Deutschland immerhin noch einen Hype-Hoffnungsträger in der Hinterhand.

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