Sergio Perez zählt seit Jahren zu den besten Formel-1-Piloten - doch der Traum vom Topteam ist tot. Der Mexikaner gesteht: ihm läuft langsam die Zeit davon. Warum die Stroll-Millionen und der Umbruch 2021 seine letzte große Hoffnung sind.

Arm aber sexy - so könnte man Force India in den vergangenen Jahren beschreiben. Wobei sich 'sexy' eher auf die Ergebnisse auf der Strecke bezieht als auf das Image des Rennstalls. Obwohl Paradiesvogel Vijay Mallya an dieser Stelle wohl widersprechen würde. Aber: Force India ist Geschichte. Der Rennstall, der aus Jordan, Spyker und Midland hervorgegangen ist, gehört nun selbst der Vergangenheit an. Statt Force India heißt das Team nun Racing Point. Es grenzt an ein Wunder, dass die Mannschaft überhaupt noch existiert.

Dem Rennstall von Vijay Mallya ging es nie besonders gut. Zu spät gezahlte Fahrergehälter gehörten schon zum guten Ton, Zulieferer mussten oftmals genauso lange auf ihr Geld warten. 2018 lief das Fass endgültig über. Während sich Mallya in Großbritannien gegen seine Auslieferung nach Indien wehrte, kämpfte sein Team ums nackte Überleben. Die Millionen des einstigen Milliardärs wanderten nicht mehr ins Auto, sondern in die andere Richtung. So blutete das Team nach und nach finanziell aus.

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Lawrence Stroll, Milliardär, Vater von Lance Stroll und Formel-1-Investor, roch den Braten früh. Sein Investment bei Williams erwies sich in der zweiten Saison nicht als besonders gewinnbringend. Das Team befand sich am absteigenden Ast und fuhr hoffnungslos hinterher, während Force India für wesentlich weniger Geld wesentlich bessere Ergebnisse lieferte. Das Problem: Mallya wollte das Team weder offiziell zum Kauf anbieten, noch in eine kontrollierte Insolvenz führen. Der einstige Bierbaron hätte das Geld viel lieber über andere Kanäle erhalten, damit das eingefrorene Vermögen nicht noch größer wird. Hätte Mallya das Team auf seine Weise abgewickelt, wäre es heute wohl tot. Und genau hier kommt Sergio Perez ins Spiel. Der eigene Pilot war es, der die Insolvenz letztendlich mit seinen Forderungen mitanstieß.

"Dieses Jahr war sehr schwer. Ich glaube, es war das schwerste in meiner ganzen Formel-1-Karriere", sagte der Mexikaner im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Und ich hatte schon einige schwierige Jahre. Aber das letzte Jahr war sehr anspruchsvoll für mich. In solche Prozesse involviert zu sein, war mental sehr fordernd. Und gleichzeitig musste ich mich ja auch noch aufs Rennfahren konzentrieren. Das ist keine Situation, in der irgendjemand jemals wieder sein möchte." Doch das Martyrium scheint sich gelohnt zu haben: Das Team überlebte, Perez bekam sein Geld - und noch viel wichtiger, auch ein Cockpit für die Saison 2019.

Mehrere Bieter interessierten sich für den Kauf von Force India

Das Interesse am insolventen Team war groß. Gleich mehrere ernsthafte Bieter mussten die Insolvenzverwalter in Erwägung ziehen. Dimitry Mazepin, ebenfalls Milliardär und Rennfahrer-Vater, ist heute noch verärgert darüber, dass nicht er den Zuschlag erhielt, sondern ein von Lawrence Stroll angeführtes Konsortium. Stroll beglich nicht nur alle Schulden umgehend, sondern versorgte das Team auch sofort mit frischem Kapital. "Wir haben nun sogar die neuesten Windows-Versionen", freut sich Technik-Chef Andrew Green. Es klingt banal, aber an solchen Dingen fehlte es. Green ist in den vergangenen Jahren zum Zyniker mutiert. Nach dem nicht eingeschlagenen Update beim Spanien GP meinte er: "Immerhin haben wir neue Teile. Letztes Jahr hätte es das gar nicht gegeben."

Das Team, das stets am effizientesten arbeitete und - mit Ausnahme von Haas vielleicht - mit dem geringsten Budget operierte, hat plötzlich Geld. Doch sportlich läuft es trotzdem nicht besser. Die große Gefahr ist, dass das Geld nicht mehr so effizient ausgegeben wird wie in der Vergangenheit, der Effekt also verpufft. Genau das will Teamchef Otmar Szafnauer aber verhindern. Dass es noch nicht sofort läuft, ist entschuldbar. Wie Renault in den letzten Lotus-Jahren haben sich die Investitionen aufgestaut. Ein Formel-1-Team, dem heute das Geld ausgeht, ist heute noch schnell. Der Preis dafür wird morgen bezahlt, wenn eigentlich die neuen Teile kommen sollen. Deshalb ist die aktuelle Performance noch kein Desaster.

Otmat Szafnauer im Gespräch mit Lawrence Stroll, Foto: LAT Images
Otmat Szafnauer im Gespräch mit Lawrence Stroll, Foto: LAT Images

Die Pläne von Lawrence Stroll sind groß. Geld wird nicht nur in Material und Leute gesteckt, sondern auch in eine neue Fabrik. Unfern der aktuellen Fabrik in Silverstone soll ein komplett neues Gebäude nach den Bedürfnissen des gewachsenen Teams entstehen. Als Eddie Jordan die Fabrik einst baute, war die Formel 1 noch eine andere. In den vergangenen Jahren wagten Szafnauer und Green nicht einmal von einer neuen Fabrik zu träumen. "Das Team war nie in stabileren und besseren Händen", freut sich Szafnauer heute.

Doch wofür das alles? Der Masterplan trägt den Titel: 2021. Die Formel 1 soll dann eine andere werden, ihr Gesicht verändern. Aktuell macht es wenig Sinn, so viel Geld für ein Mittelfeldteam auszugeben. Renault, McLaren, Haas & Co. kämpfen allesamt nur um den Titel Best of the Rest. Obwohl Racing Point mit BWT einen großen Sponsor halten und mit SportPesa einen weiteren hinzugewinnen konnte, geht die Rechnung für ein Mittelfeldteam, das viel Geld ausgibt, finanziell nicht auf. Force India überlebte nur so lange, weil es so effizient war.

Trotz geringerer Kosten: Racing Point wird nicht im Konzert der Großen mitspielen

2021 sollen nicht nur vermehrt Standardteile kommen, sondern auch eine Budgetobergrenze. Selbst mit den Stroll-Millionen könnte Racing Point nie im Konzert der Großen mitspielen. Mercedes, Ferrari und Red Bull spielen in einer anderen Liga. 2021 sollen die Regeln diese Zweiklassengesellschaft beenden. Dann möchte Racing Point das Mittelfeld anführen und einen Angriff auf die drei Großen wagen.

Die Regeländerungen und das Stroll-Investment sind für Sergio Perez die letzte große Hoffnung. "Um ehrlich zu sein, sehe ich es genau so", gesteht der Mexikaner. Perez weiß selbst, dass er bei den Topteams keine Chance mehr hat. Die hatte er einst, als er bei Sauber für Furore sorgte. Doch statt ein Jahr länger auf das Ferrari-Cockpit zu warten, entschied er sich 2013 für einen schnellen Wechsel zu McLaren. Es war jene Saison, in der McLaren in die Krise rutschte, in der sich der Traditionsrennstall einige Jahre befand. Erst in der Saison 2019 schaffte McLaren Schritt für Schritt den Sprung aus dem Mittelfeld. Perez' Ruf litt unter der McLaren-Zeit, sein Weg führte ihn zu Force India. Ferrari, Red Bull und Mercedes setzen auf ihre eigenen Leute. Obwohl der inzwischen 29-Jährige seit Jahren Top-Leistungen abliefert, hat er keine Chance.

Aktuell kann sich Perez mit Einzelerfolgen motivieren - langfristig nicht mehr. "Das ist natürlich nicht so befriedigend wie wenn ich Lewis wäre und - wenn ich den Job gut mache - das Rennen gewinne. Aber das ist es, wo wir im Moment sind und in einer gewissen Weise macht es mich auch glücklich, das Potential zu maximieren. Ich hoffe, dass die Möglichkeit an irgendeinem Punkt kommen wird. Aber mir läuft im Moment die Zeit davon. Wir werden sehen, was in naher Zukunft passiert. Und ich habe die große Hoffnung, dass wir mit diesem Team auf die nächste Stufe kommen können. Die Regeländerungen sind meine Hoffnung, das ist meine große Chance."

Zukunft des Teams an Lance Strolls Karriere geknüpft?

Die Chance ist da, das Risiko aber auch. Denn auch mit Stroll ist längst nicht alles so rosarot wie die Lackierung des Boliden. Mit dem kanadischen Milliardär hat jener Rennstall auch einen Klotz am Bein: seinen Sohn. Denn mit Lawrence wechselte auch Lance Stroll von Williams zu Racing Point. Mit dem Youngster handelt es sich letztendlich um ein Einmann-Team. Während der Rennstall in der Vergangenheit trotz schmalen Budgets stets Wert auf eine gute Fahrerpaarung gelegt hatte, hakt es heute daran. Die Frage, was mit Racing Point passiert, wenn das Projekt Lance Stroll scheitert, ist noch ungeklärt.

Racing Point rückte 2019 mit einem neuen Motorhome an, Foto: LAT Images
Racing Point rückte 2019 mit einem neuen Motorhome an, Foto: LAT Images

Außerdem ist nicht nur die Effizienz des Rennstalls in Gefahr, sondern auch seine DNS. Jahrelang hielt das Team trotz der finanziellen Probleme zusammen, ging auch Mal ohne Lohn seiner Arbeit nach. Das Racer-Herz ließ alle an einem Strang ziehen. Vater Stroll ist kein Kind von Traurigkeit und so hört man, dass ihm die aktuellen Ergebnisse nicht genug sind. Der Druck steigt intern bereits. Das millionenschwere neue Motorhome kann die Stimmung auf Dauer nicht hochhalten.

Doch Perez sieht es gelassen: "Einer der Gründe, warum wir in der Vergangenheit so erfolgreich waren, ist, dass wir sehr intelligente Leute haben, die dem Racing sehr verbunden sind. Das wird jetzt nicht davon beeinträchtigt, dass wir ein schönes Motorhome oder eine große Fabrik haben. Auf eine gewisse Art ist es schon sehr anders. Aber es ist schön, ich mag die Veränderung. Die Energie im Team ist eine andere." Das muss Perez auch sagen. Nicht nur, weil Stroll sein Chef ist, sondern auch, weil er seine letzte große Hoffnung darstellt.

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