Abu Dhabi ist für vieles bekannt, nicht aber unbedingt für spektakuläre Formel-1-Rennen. Das WM-Finale 2010 war nur spannend, weil der Yas Marina Circuit eine katastrophale Rennstrecke für Zweikämpfe ist. Wird das Saisonfinale 2019 eine Ausnahme? Motorsport-Magazin.com liefert den letzten Favoritencheck des Jahres.

Lewis Hamilton hat es wieder geschafft: Pole Position. Es ist die 88. seiner Karriere. Auf die Schnapszahl musste der Mercedes-Pilot lang genug warten. Zuletzt stand er in Hockenheim ganz vorne. Die Qualifikation ist 2019 nicht die Paradedisziplin des Rekordpolesetters der Formel 1. Im Rennen sah die Welt dann schon oft ganz anders aus.

Vor Abu Dhabi standen vier Poles zehn Siegen gegenüber. Wer oder was soll Lewis Hamilton da noch schlagen? Teamkollege Valtteri Bottas jedenfalls nicht. Er qualifizierte sich zwar auf Rang zwei, bezahlt aber den Preis für den Motorschaden in Brasilien. Der Finne geht deshalb vom letzten Startplatz aus ins Saisonfinale.

"Wir haben schon verrückte Rennen in diesem Jahr gesehen - man muss nur zwei Wochen nach Brasilien zurückblick. Alles ist möglich", macht sich Bottas selbst Mut. Doch Abu Dhabi ist nicht der richtige Ort für verrückte Rennen.

Wie viel geht noch für Bottas?

Mercedes stimmte den Silberpfeil mit der Startnummer 77 speziell für die Aufholjagd ab. Bäume wird Bottas trotzdem nicht ausreißen können. Sein Topspeed war lediglich 3,0 Stundenkilometer besser als jener von Lewis Hamilton. "Platz vier oder fünf wäre ein gutes Ergebnis", meint Teamchef Toto Wolff. Damit müsste er aber mindestens ein anderes Top-Auto hinter sich lassen. Aus eigener Kraft eher unwahrscheinlich. Mehr als Platz sechs dürfte unter normalen Umständen nicht drinnen sein.

Des einen Freud ist des anderen Leid, oder in diesem Fall umgekehrt: Max Verstappen rückt damit auf Platz zwei nach vorne, darf also neben Hamilton aus der ersten Reihe starten. Red Bull ist auch 2019 dafür bekannt, vor allem ein gutes Auto im Rennen zu haben. Aber reicht das gegen Mercedes?

Knapp vier Zehntelsekunden fehlten Verstappen auf Pole. "Uns fehlt einfach Grip", konstatierte der Niederländer und erklärt: "Mercedes ist im letzten Sektor besser. Die nach außen abfallenden Kurven kommen uns nicht entgegen."

Kann er das im Rennen wettmachen? Die Longruns vom Freitag sind wenig aussagekräftig. Eine rote Flagge unterbrach die Session zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Riesige Unterschiede zwischen Mercedes und Red Bull waren aber nicht zu erkennen. Die wären aber nötig, um auch nur annährend eine Chance zu haben, aus eigener Kraft überholen zu können.

Verstappen mit ähnlicher Pace, aber schwachem Topspeed

Mit Topspeed wird es Verstappen ebenfalls nicht gelingen. Sein Red Bull wurde mit maximal 322,6 Stundenkilometer gemessen. Damit rangiert er zwar vor Lewis Hamilton - aber in dieser Wertung ist das Duell Red Bull gegen Mercedes Not gegen Elend. Verstappen belegt Rang 18, Hamilton Rang 19.

Dazu scheint es bei der Strategie nicht besonders viele Variablen zu geben. Beide starten auf den Medium-Pneus. Mehr als einen Reifenwechsel wird es ohne Safety-Car-Phase nach den Kalkulationen der Ingenieure nicht geben.

"Das hört sich doch positiv an", sagt Verstappen selbst ironisch mit Blick auf seine Chancen. "Ich werde nicht lügen: Es wir hart. Aber wir werden alles geben." Oder sollte der Youngster lieber nach hinten schauen? Sebastian Vettel und Charles Leclerc rücken nach dem taktisch verpatzten Qualifying auf die Ränge drei und vier auf.

"Darüber mache ich mir nicht zu viel Sorgen, das finden wir im Rennen raus", winkt Verstappen ab. "Jetzt heißt es: Ins Bett gehen, gut schlafen und morgen Spaß haben." Hört sich nicht danach an, als hätte er Ferrari auf seiner Rechnung.

Sebastian Vettel fürchtet: Einfach keine Ferrari-Strecke

Ist Ferrari in Abu Dhabi wirklich so chancenlos? "Ich glaube, es wäre heute mehr drinnen gewesen", sagte Charles Leclerc nach dem Qualifying. Nach einem Qualifying, in dem die Strategie beide Piloten um einen letzten Versuch gebracht hatte. Vettels Reifen waren nicht auf Temperatur, als es zählte, Leclerc konnte seine letzte Runde gar nicht erst starten.

Doch Ferrari ging schon vor der Zeitenjagd von einer schwierigen Session aus. "Es ist wahrscheinlich nicht die richtige Strecke für uns", meint Sebastian Vettel. Noch nie konnte Ferrari in Abu Dhabi gewinnen.

Ferraris Problem ist der kurvenreiche letzte Sektor. In den ersten beiden Sektoren führen Vettel und Leclerc sogar die Zeitenliste an. Bis Anfang Sektor drei liegt Vettel in Addition der besten Sektorzeiten zwei Zehntel vor Hamilton. Allein der letzte Sektor kostet ihn aber mehr als sieben Zehntelsekunden.

"Wir sind in den Kurven einfach nicht schnell genug", bringt es Vettel auf den Punkt. Es ist das alte Ferrari-Leiden der Saison 2019. Das macht für die Rennpace nicht unbedingt Mut. Die ist ohnehin nicht die Stärke des SF90. Im Qualifying kaschieren die frischen Reifen das Downforce-Defizit noch etwas.

Ferrari dank Topspeed zumindest mit einer Waffe

Zwei Lichtblicke gibt es trotzdem: Sollte Ferrari in die Position kommen, einen Angriff starten zu können, sieht es immerhin beim Topspeed wieder gut aus. Mit 329,0 Stundenkilometer führt Vettel die Liste an. Leclerc belegt immerhin Rang drei.

Der zweite Lichtblick ist Q2. "Sein Run auf den Mediums war stark, sie haben offenbar eine gute Pace", sagte Hamilton über Leclerc. "Ich glaube, es wird ein enges Rennen zwischen uns allen." Tatsächlich fuhr Leclerc im zweiten Qualifyingabschnitt sogar Bestzeit. "Aber natürlich war es beim zweiten Versuch", schränkte Verstappen ein. Er fuhr die Zeit erst am Ende von Q2, als sich Hamilton und Co. schon auf den Soft-Reifen für Q3 einschossen.

Charles Leclerc on a Mission

Leclerc jedenfalls hat sich viel vorgenommen und schickt eine Kampfansage Richtung Verstappen: "Es ist das letzte Rennen des Jahres und es gibt die Chance, den dritten Platz in der Weltmeisterschaft zurückzuholen. Das wird nicht einfach, dafür muss ich am Start Risiko gehen und alles geben." Eine ähnliche Kampfansage machte Leclerc nach seinem verpatzten Monaco-Qualifying - mit bekanntem Ausgang.

Vettel auf Startplatz vier geht als einziger Top-Pilot mit den Soft-Reifen ins Rennen. "Die Entscheidung bei den Startreifen war sehr eng und wir haben uns für unterschiedliche Strategien entschieden, damit wir morgen möglichst viele Möglichkeiten haben", erklärt Ferrari Teamchef Mattia Binotto. Auf dem Papier ist der weiche Reifen am Start jedoch ein Nachteil. Allerdings könnte Ferrari damit einen aggressiven Undercut wagen - möglicherweise aber nur gegen sich selbst...