Vettels Singapur-Crash: Wer trägt die Schuld? (03:38 Min.)

WOW! Oder besser gesagt: BOOOOM! Was für ein Start in das erste Flutlicht-Regenrennen der Formel-1-Geschichte... Nach dem großen Crash vor der ersten Kurve gab es natürlich viele Meinungen unter den Experten, Beteiligten und Fans. Bei vielen Zuschauern sah die erste Reaktion überraschend so aus: Max Verstappen trägt die Schuld an der Kollision zwischen ihm, Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen! Um dies zu erkennen, reichte nur ein kurzer Blick in die Kommentare unter unseren Artikeln oder auf unserer Motorsport-Magazin.com Facebook-Seite. Verstappen war der Bösewicht und Buhmann.

Der Grund für diese weit verbreitete öffentliche Meinung ist klar ersichtlich: Verstappen haftet nach den Vorfällen des vergangenen Jahres ein gewisses Crash-Kid-Image an, das auch Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve in seiner Kritik immer wieder gerne hervorholt. Doch in diesem Fall war Verstappen unschuldig. Er bremste sogar, um einer drohenden Kollision zu entgehen - leider war die Kettenreaktion zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr aufzuhalten.

Ungewollt geschürt wurde die Anti-Max-Reaktion wohl durch einen ungeschickten Tweet von Ferrari (der Verstappen die Schuld zuschob) sowie von Lewis Hamilton, der schon am Samstag nach dem Qualifying gesagt hatte: "Vettel startet neben Verstappen, es kann also alles passieren." Hamilton meinte das natürlich im Sinne von: Verstappen könnte seinem Titelrivalen die Führung wegschnappen - aber so war es dem Briten im Nachhinein wahrscheinlich noch lieber...

Aber zurück zum Unfall: Wenn nicht Verstappen, wer ist denn dann meiner Meinung nach Schuld? Ich wage es, eine unpopuläre Meinung zu vertreten, die selbst einige meiner Redaktionskollegen nicht teilen - aber das ist ja das Schöne am Rennsport: man kann vorzüglich darüber diskutieren. So steht für einige Kollegen fest: Vettel ist selbst am Unfall schuld. Und ganz ehrlich: in diesem speziellen Fall gibt es höchstwahrscheinlich noch nicht einmal ein "Richtig" oder "Falsch".

Was also nun? Für mich war es ganz einfach ein stinknormaler Rennunfall. Okay, vielleicht nicht stinknormal. Das wäre wenn Jolyon Palmer in Runde 35 eines x-beliebigen Grand Prix mit dem sich verbremsenden Romain Grosjean kollidiert. Aber dennoch ein handelsüblicher Rennzwischenfall. Räikkönen erwischte einen super Start und stach innen rein. Völlig in Ordnung. Verstappen hatte einen guten Start und wurde in die Zange genommen. Ein rotes Sandwich so zu sagen. Und dann war da noch Vettel.

Der Ferrari-Star hatte keinen so guten Start und zog nach links herüber, um Verstappen die Tür vor der ersten Kurve rigoros zuzuschmeißen. Dabei übersah er seinen Teamkollegen ganz links, der verhinderte, dass Verstappen ausweichen konnte. In der Hitze des Gefechts und der Gischt am Start kann so etwas passieren. Somit ist Vettel eindeutig der Auslöser des Unfalls, der diesen ohne Probleme hätte verhindern können. Eine Strafe oder gar eine Schuldzuweisung verdient er deswegen aber nicht.

Vielmehr hat er sich selbst damit am meisten geschadet. Immerhin kostete es ihn 25 wertvolle Punkte im Titelkampf, die nur sehr schwer zurückzuerobern sein werden. Wie Max Verstappen es treffend nach seinem Ausfall sagte: Vettel hätte als WM-Kandidat vorsichtiger und weniger riskant fahren müssen. Seine typische, eiskalte Fahrweise war der Anfang vom Ende für ihn. Etwas mehr Weitsicht - was einfacher geschrieben als getan ist - und er könnte jetzt die WM anführen.

Für mich steht fest: Verstappen und Räikkönen haben nichts falsch gemacht, beide dürfen und sollen Rennen fahren - das wollen wir sehen. Und der Rest lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:

  • Vettel war Auslöser der Kettenreaktion
  • Die folgende Kollision war ein normaler Rennunfall
  • Vettels Fahrweise war für einen WM-Anwärter zu riskant

Dies ist meine Meinung, die niemand teilen muss, aber jeder gerne darf. Deshalb jetzt noch einmal: Wie beurteilst du die Schuldfrage mit etwas Abstand zur Hitze des Renngeschehens am Sonntagnachmittag?