Lewis Hamilton reist als großer Gewinner vom Formel-1-Rennen in Singapur ab. Damit hatte niemand bei Mercedes gerechnet. Weder vor dem Wochenende noch währenddessen. Erst recht nicht mehr nach dem Qualifying: Nur P5 für Hamilton, P6 für Valtteri Bottas. Sowohl Ferrari als auch Red Bull waren ein gutes Eck schneller.

"Als wir heute Morgen aufgewacht sind, sprachen wir über nicht mehr als Schadensbegrenzung", erinnert sich Toto Wolff. "Jetzt verlassen wir Singapur heute Nacht mit einer ausgebauten Führung in beiden Weltmeisterschaften", sagt Mercedes' Motorsportchef.

Hamilton mit größtem WM-Vorsprung der F1-Saison 2017

"Wir kamen hier auf eine Strecke, die potentiell zu unseren schwächsten gehört, und wir verlassen sie mit so einem Sieg und sehr vielen Punkten - das ist ein äußerst glückliches Szenario für uns", bestätigt Hamilton. "Mit dem Gedanken an Schadensbegrenzung hierher zu kommen, zu denken 'ich werde hier wieder in der WM hinten liegend abreisen', und jetzt noch weiter vorne zu sein ...", schwärmt der Brite.

Und das nicht zu knapp: Durch seinen Sieg in Singapur und Sebastian Vettels Ausfall durch einen Crash gleich am Start vergrößerte Hamilton seine gerade erst knapp eroberte WM-Führung um massive 25 Punkte. 28 Zähler beträgt sein Vorsprung auf Vettel nun während Bottas dem Deutschen dank Platz drei bis auf 23 Punkte auf den Leib gerückt ist. In der Konstrukteurswertung hat Mercedes sich sogar um 102 Punkte von Ferrari abgesetzt - das ist sogar fast schon eine Vorentscheidung.

Singapur ging für Mercedes also nicht als erwartetes Debakel aus, sondern will mehr als Big Point, als regelrechter Game Changer im WM-Kampf. "Was für ein Tag! Ich kann es kaum glauben, ich bin überglücklich!", jubelt Hamilton. Bereits bei den ersten Regentropfen am Abend vor dem Rennen habe er plötzlich seine Chance gewittert: "Ich habe für kein Wunder gebetet oder dass etwas passieren möge. Aber als es geregnet hat, habe ich direkt gedacht 'das ist es, ich kann von P5 gewinnen'!"

Wie Crash & Regen Mercedes in Singapur retteten

"Ich liebe es, im Regen Rennen zu fahren - und dann entfaltete sich alles gleich zu Beginn. Ich war sicher, dass ich etwas ausrichten konnte und dann sind alle verschwunden ...", deutet Hamilton mit Blick auf den Start an, bei dem sich mit Vettel, Max Verstappen und Kimi Räikkönen fast alle Gegner per Unfall verabschiedeten. Den verbleibenden Daniel Ricciardo überlistet Hamilton selbst.

Daraufhin fuhr der dreifache Weltmeister den Sieg kontrolliert ins Ziel - ohne sich großen Angriffen des letzten Red Bull erwehren zu müssen. Dabei waren die roten Stiere am Freitag in den Longruns doch klar schneller, der haushohe Favorit gegenüber Mercedes gewesen. Doch alles kam anders, genauer gesagt: Das Wetter kam anders.

"Aus irgendeinem Grund sind Ferrari und Red Bull viel stärker, wenn es wärmer ist und mehr Grip gibt. Aber dieser Regen war ein schöner Reset. Das hat den Grid-level reduziert glaube ich", berichtet Hamilton. Damit kam Mercedes plötzlich wesentlich besser zurecht, selbst Valtteri Bottas. "Das Gefühl, dass ich im Trockenen hatte, war viel besser als bisher an diesem Wochenende. Die kühleren Bedingungen haben uns und mir geholfen", sagt Bottas. "Ja, es lag am Wetter", bestätigt Wolff. "Wir hatten die Reifentemperatur heute immer unter Kontrolle."

Deshalb habe sich Mercedes das große Glück am Start mit der späteren Pace auch verdient, so James Allison. "Es war eine Erleichterung, zu sehen, dass wir eine gute Rennpace hatten, die unser Glück rechtfertigte", sagt Mercedes' Technischer Direktor. "Wir könnten nicht glücklicher darüber sein, wie Lewis und Valtteri daraus das Beste gemacht haben. Dies ist ein brillantes Ergebnis für beide Weltmeisterschaften und natürlich verlassen wir Singapur beflügelt davon."

Hamilton setzt feine Nadelstiche gegen Vettel

"Perfekter könnte es gar nicht sein", legt Hamilton nach. "Ich habe echt gedacht, dass es nur um Schadensbegrenzung gehen würde. Nur darum, den Verlust irgendwie zu minimieren. Dass es jetzt genau in die andere Richtung gelaufen ist, ist natürlich ein Schock!" Seinen Ansatz im WM-Kampf will Hamilton beibehalten. Es gebe nichts zu ändern - trotz des größten Vorsprungs den in der laufenden Saison je jemand gehabt hat.

"Ich werde definitiv nichts ändern. Denn es funktioniert ja. Was auch immer es ist mit meinem Ansatz, es gibt keinen Grund etwas zu ändern. Es ist eine perfekte Balance, aggressiv und vorsichtig zur gleichen Zeit zu sein", sagt Hamilton. Durchaus ein kleiner Seitenhieb auf Sebastian Vettel, der es am Start ohne Not mit eben jener Aggressivität übertrieb und einen hohen Preis zahlte.

Einmal in Fahrt folgt gleich der nächste: "Ich weiß nicht, ob es Karma (für Baku, Anm. d. Red.) ist, aber was es auch immer ist, ich nehme es mit. Das ist unser schwächster Kurs, sodass ich nicht glücklicher sein könnte als hier mit einem Sieg davonzukommen." Zurücklehnen könne er sich deshalb aber nicht. "Ich denke, es wird die nächsten Rennen sehr eng, es ist schwer vorherzusagen", so der Mercedes-Pilot.

Valtteri Bottas plötzlich wieder im Rennen

"Er wird nicht nachlassen", versichert auch Toto Wolff. "Man muss weitermachen. Es sind noch sechs Rennen zu fahren, sechs Mal 25 Punkte zu holen. Das kann auch bedeuten, dass es sechsmal gegen uns laufen kann, auf ähnliche Weise wie heute gegen Ferrari. Man hat heute ja gesehen wie schnell es im Motorsport gehen kann. Aber natürlich hat man den Abstand von 28 Punkten lieber als ihn nicht zu haben", gesteht Wolff.

Tatsächlich sei er nach dem Rennen selbst zu James Allison gegangen, habe gesagt 28 Punkte seien schon eine gute Basis. "Aber er meinte auch, wir dürfen nicht nachlassen", berichtet Wolff. "Es ist genug Zeit zum Feiern wenn es vorbei ist." Vorbei schienen zuletzt auch die WM-Hoffnungen von Valtteri Bottas zu sein.

Doch der Finne hat sich nun zumindest gegenüber Vettel wieder in eine deutliche bessere Position gebracht. "Er ist jetzt das nächste Ziel für mich", sagt Bottas ermutigt. "Ich werde mich jetzt darauf fokussieren, Sebastian abzufangen und das ist absolut möglich. Das Team steht hinter mir." Doch das steht auch hinter Hamilton. Entsprechend ist sich Bottas umso mehr der Schwere der Aufgabe bewusst, auch seinen Teamkollegen noch einmal fordern zu können.

"Ich denke aber nicht zu sehr an den Abstand auf Lewis, der ist jetzt recht groß. Ich denke Rennen für Rennen jetzt und vielleicht wird es dann am Ende ja noch mal enger", hofft Bottas. "Aber gerade hat er einen guten Run. Ich muss mich etwas steigern - dann ist noch alles offen!"