Nur eine Woche nach dem nervenaufreibenden Rennen in Österreich geht es beim Grand Prix von Großbritannien mit dem knallharten Kampf um die Formel-1-Weltmeisterschaft 2017 weiter. Während Lewis Hamilton zuletzt auf dem Red Bull Ring den zweiten Technik-Rückschlag in zwei Rennen hinnehmen musste, verzweifelte Sebastian Vettel an dessen 'übermenschlichen' Silberpfeil-Teamkollegen Valtteri Bottas. In Silverstone steht jeder der drei WM-Kandidaten vor seiner ganz eigenen Mission. Nur das Ziel ist stets dasselbe.

1. Vettels Gier: Siegeshunger seit Wochen ungestillt

WM-Leader Vettels letzter Triumph liegt mittlerweile stramme anderthalb Monate zurück. Im Fürstentum von Monaco konnte der Ferrari-Pilot am 28. Mai zuletzt von der obersten Stufe des Treppchens lächeln. Danach waren es die Herren Hamilton, Ricciardo und Bottas, die in Montreal, Bak und Spielberg jeweils als siegreich waren. Wohl auch deshalb war Vettel nach seiner knappen Niederlage gegen Bottas in Österreich besonders unzufrieden. "Ich wollte diesen Sieg. Heute bin ich ein bisschen stinkig, dass es nicht gereicht hat", ärgerte sich Vettel, obwohl er mit seinem zweiten Platz den Vorsprung auf Hamilton um sechs weitere Punkte ausgebaut hatte.

Doch kein Wunder: Angesichts Mercedes' momentaner Form war die Startplatzstrafe für Hamilton ein wahres Geschenk für Vettel, um wie schon in Monaco einen Sieg inklusive fettem Bonus fürs Punktekonto einzufahren. Dass Bottas obendrein mit einem umstrittenen Zocker-Start davonkam, tat sein Übriges. "Die üblichen Reaktionszeiten sind einfach länger als das. Ich bin noch immer davon überzeugt, dass seine Reaktionszeit ... sagen wir mal ein wenig übermenschlich gewesen ist", haderte Vettel.

Der viermalige Weltmeister behauptet zwar, nicht auf den Punktestand zu schauen, doch die Jagd nach Einzelerfolgen dient letztendlich nur einem Ziel: Dem WM-Titel. Sieben Zähler mehr für den Sieg hätten ihm dem Erfolg schon jetzt ein kleines Stückchen näher gebracht. "Von außen kann man jetzt sagen, das sei gierig. Aber ich glaube, darum geht es ja im Sport - gierig zu sein", so Vettel, der den Kampf mit dem zweiten Mercedes-Boliden jedoch auch zu schätzen weiß: "Je mehr da vorne sind, desto besser. Das macht uns auch mehr Spaß!"

Spaß hat ihm Silverstone bisher noch nicht allzu oft gemacht - zumindest nicht, wenn es um die Resultate geht. Vettel konnte auf dem britischen Traditionskurs lediglich 2009 in Diensten von Red Bull gewinnen. Vergangenes Jahr erlebten er und Ferrari ein Debakel. Vettel landete im Qualifying über zwei Sekunden hinter der Pole-Zeit von Hamilton, im Rennen wurde er fast überrundet. Die aktuellen 20 Punkte Vorsprung auf den Briten dürften im Normalfall bis zur Sommerpause reichen, doch die Gier mit einem weiteren Sieg in Hamiltons Wohnzimmer zu stillen, dürfte größer sein. Vettel wird sich wohl kaum freiwillig hinter einem der Silberpfeile anstellen.

2. Hamiltons Fluch: Angepisst nach Silverstone

Lewis Hamilton hat es 2017 nicht leicht: Nachdem er schon im vergangenen Jahr häufig genug von der Technik im Stich gelassen wurde, dass ihm schlussendlich die WM durch die Lappen ging, hat ihm sein Mercedes auch in dieser Saison zuletzt mehrfach wichtige Punkte gekostet. In Baku war es ein sicherer Sieg, in Spielberg jegliche Chance auf einen Kampf an der Spitze. Platz vier hinter Ricciardo war dem ehrgeizigen Hamilton alles andere als genug. "Du kannst nicht immer happy sein mit einem Ergebnis wie Platz zwei, Platz fünf oder so. Irgendwann bist du angepisst, weil du so viel reingesteckt hast", maulte der Silberpfeil-Pilot.

Im Juli vergangenen Jahres gewann Hamilton im Zeitraum von nur einem Monat vier Grands Prix - Rekord. Dabei drehte er einen Rückstand von 24 Punkten auf Nico Rosberg in einen Vorsprung von 19 Zählern. Sein letzter Sieg liegt zwar noch nicht so lange zurück wie der von Vettel, doch immerhin auch schon einen Monat. Das Pech in Aserbaidschan und in Österreich geht dem 32-Jährigen somit doppelt an die Nieren: "Ich will die Weltmeisterschaft gewinnen und jetzt liege ich 20 Punkte zurück. Ich habe keine Kristallkugel, aber im Moment sieht es nicht so toll aus. Und je größer der Abstand wird, desto mehr baut sich Druck auf."

Gerade die Aufholjagd von 2016 spricht hingegen für die Nehmerqualitäten Hamiltons, der angesichts von Rückschlägen einerseits sehr impulsiv und wehmütig reagiert, diese andererseits aber auch schnell verdauen kann. "An manchen Tagen fühlt es sich schmerzhafter an als an anderen, wo du nach vorne blickst", beschrieb er seine Gefühlsachterbahn. Mit Silverstone folgt für Hamilton wohl eine der besten Möglichkeiten, im Titelkampf wieder Boden auf Vettel gutzumachen und für die in seinen Augen richtigen Verhältnisse in der Mercedes-Garage zu sorgen.

Mit vier Siegen ist der Lokalmatador der mit Abstand erfolgreichste Pilot im 'Home of British Motor Racing'. 2016 ließ er sich nach seinem Sieg vor Max Verstappen und Nico Rosberg von den Fans wie ein Rockstar feiern. Am kommenden Wochenende hat er mit der aktuellen Form seiner Mercedes-Mannschaft alle Chancen, den fünften Triumph auf heimischem Boden sicherzustellen. Dafür muss er allerdings nicht nur an Vettel vorbei.

Hamilton ist in Silverstone mit vier Siegen der King im aktuellen Starterfeld, Foto: Sutton
Hamilton ist in Silverstone mit vier Siegen der King im aktuellen Starterfeld, Foto: Sutton

3. Bottas' Beharrlichkeit: Auf WM-Titel statt Nr. 2 programmiert

Heimlich, ohne viel Lärm und in stetem Schritt hat sich Valtteri Bottas in den vergangenen Wochen zurück ins Spiel um die WM-Krone gebracht. Aktuell liegt der Nachfolger von Weltmeister Nico Rosberg lediglich 15 Punkte hinter Teamkollege Hamilton und 35 Zähler hinter WM-Leader Vettel. Mit zwei Siegen hat er zudem nur einen weniger auf dem Konto als seine beiden Rivalen. Kurz vor Halbzeit der Saison 2017 ist Bottas damit alles, nur nicht Mercedes' Wasserträger: Der Finne ist mittendrin im Kampf um die WM.

"Wenn du bei Mercedes unterschreibst, kannst du kein anderes Ziel haben", so Bottas, der bei seinen beiden Siegen in dieser Saison jeweils große Nervenstärke bewies. Sowohl in Sochi als auch auf dem Red Bull Ring musst er dem Druck von Vettels Schlussoffensive bis zum Zielstrich standhalten. "Es gab nie einen Zeitpunkt, zu dem er nicht im Titel-Fight war. Vielleicht habt ihr das gedacht, aber er war immer dabei", so Hamilton. Vettel sieht das ähnlich: "Valtteri hat bereits in anderen Rennen bewiesen, dass er schnell ist."

Der Ferrari-Fahrer hebt außerdem hervor, dass die Saison 2017 für Bottas, genau wie für Hamilton und ihn selbst, bis dato alles andere als ein Spaziergang war. "Er war auch oft nicht sehr glücklich", so Vettel, dem offenbar nicht entgangen ist, dass Bottas im Gegensatz zu Hamilton und ihm schon eine Nullnummer verzeichnen musste. Obwohl Hamilton das etwas anders sieht: "Ich würde sagen, dass er bis jetzt eine bessere Saison hatte." So oder so mussten die Beiden kurz vor Saisonhalbzeit feststellen, dass sich der unscheinbare Finne bis jetzt nicht abschütteln lassen will.

In Silverstone konnte Bottas bisher noch nicht für die besonders denkwürdigen Ergebnisse sorgen, stand ihm bei seinen bisherigen vier Auftritten im Williams doch auch nicht unbedingt die beste Waffe zur Verfügung. 2014 reichte es dennoch für einen starken zweiten Platz. Die Wahrscheinlichkeit für ein weiteres Podium ist am kommenden Woche durchaus hoch, doch für einen Sieg muss sich Bottas ganz lang machen: Hamilton wird es ihm auf heimischem Boden nicht leicht machen und Vettel brennt darauf, sich für Österreich zu revanchieren.