Lewis Hamilton hat beim Österreich GP einen weiteren Rückschlag im Titelrennen gegen Sebastian Vettel einstecken müssen. Durch eine Strafversetzung in der Startaufstellung um fünf Positionen wegen zu frühen Getriebewechsels an seinem Silberpfeil konnte der Mercedes-Pilot nicht in den Kampf um den Rennsieg in Spielberg eingreifen. Das machten Teamkollege Valtteri Bottas und Ferrari-Fahrer Vettel unter sich aus, Hamilton musste sich nach einer Aufholjagd sogar nur mit P4 arrangieren, auch an Red Bull Daniel Ricciardo scheiterte der Brite knapp.

Entsprechend lässt sich durchaus mal die Frage stellen, ob solche Strafen für Fahrer wirklich nötig sind. Sollte das Reglement der Formel 1 dahingehend umgeschrieben werden, alle Strafen, die sich auf technische Defekte beziehen, für die Fahrer selbst zu streichen? Genau das hatte kürzlich - noch weit vor Bekanntwerden der Hamilton-Strafe - Ex-Pilot Mark Webber gefordert. "Es wird zu viel reguliert. Ich will keine Strafen für einen Fahrer, der nichts damit zu tun hat", sagte Webber auf der FIA-Sportkonferenz in Genf.

Hintergrund: "Viele Leute schauen sich das Qualifying nicht an, dann schalten sie ein und fragen sich: 'Warum ist mein Lieblingsfahrer am Ende des Grids?' So verlieren wir die Leute", erklärte Webber. "Es gab über die vergangenen fünf Jahre hinweg so viele lächerliche Strafen, mit denen der Fahrer nichts zu tun hatte - und die hatten große Auswirkungen darauf, wie das Wochenende in Sachen Entertainment sonst gelaufen wäre", polterte Webber. Dass so den Fans jedoch auch die eine oder andere sehenswerte Aufholjagd versagt geblieben wäre, scheint für Webber offenbar nicht von Belang. Für den Australier steht nur eines fest: "Wir brauchen all diesen Mist nicht!"

Stattdessen solle man bei technischen Verstößen nur das Team sanktionieren. "Konstrukteurspunkte abziehen oder was auch immer", schlug Webber vor. Eine Geldstrafe wäre ebenfalls denkbar. "Man muss jedenfalls einen Weg finden, der nicht den Fahrer trifft", forderte der neunfache GP-Sieger.

Gridstrafen-Experte Alonso Feuer & Flamme für Webber-Vorschlag

In Österreich fanden die Worte Webbers durchaus Anklang bei seinen Ex-Kollegen, allen voran Webber-Kumpel und Girdstrafen-Experte Fernando Alonso war Feuer und Flamme für diese Idee. "Da stimme ich zu. Das Team könnte eine Strafe, etwa eine Punktstrafe bekommen. Wenn wir einen Fehler machen oder einen Vorfall haben wie Carlos Sainz in Kanada - da hatte er eine Strafe von drei Plätzen in Baku. Das war ein Fehler des Fahrers und er hat dafür bezahlt. Es war kein Fehler des Teams. Wenn das Team einen Fehler macht, es etwa ein Motorproblem gibt und du wechseln musst, dann zahlt aber auch der Fahrer dafür. Das ist etwas unfair", sagte der Spanier.

Etwa ein Motorenproblem? Kein zufälliges Beispiel, kennt sich Alonso doch bestens mit derartigen Problemen aus. Erst in Baku kassierte er eine saftige Strafe von 40 Plätzen wegen multipler Wechsel an seiner Power Unit. "Das ist in den letzten drei Jahren bei uns jetzt übertrieben oft passiert. Es war nicht geplant, als sie diese Regeln gemacht haben, dass ein Hersteller zwölf oder dreizehn Motoren braucht", verteidigte Alonso allerdings auch die gegenwärtige Situation mit dem Sonderfall Honda. "Mal schauen wie die Zukunft aussieht. Aber so dramatisch wie bei uns in den vergangenen drei Jahren wird es das wohl sowieso nicht mehr geben."

Kevin Magnussen stimmte ebenfalls zu. "Ich denke für den Fahrer ist es frustrierend, aber auch für das Team. Es stimmt, dass es auch das Team trifft, wenn du als Fahrer einen Fehler machst. Aber wenn es einen Motorschaden gibt, ist dafür mehr die Teamseite verantwortlich zu machen, wenn man so will", sagt der Haas-Pilot. "Ich denke, eine Lösung dafür könnte es sein, Konstrukteurspunkte oder etwas wie das abzuziehen statt mit der Startposition für das Rennen zu bestrafen."

Vettel & Hamilton warnen vor Materialschlacht

Grundsätzlich der Meinung seines ehemaligen Teamkollegen war auch Sebastian Vettel. "Wir als Fahrer verstehen, was Mark gemeint hat und er liegt damit vielleicht richtig", sagte der Ferrari-Pilot. Sicher sei er sich jedoch nicht, ob eine Revision des Reglements in dieser Hinsicht richtig wäre. Vettel: "Seitdem in der Formel 1 alle immer richtig konkurrenzfähig sind, versucht du immer nach etwas Ausschau zu halten, das der andere vielleicht nicht hat. Also könntest du vielleicht ein Muster entwickeln, etwa dein Getriebe jedes Rennen zu wechseln, weil dir das welchen Vorteil auch immer bringt. Ich bin also nicht sicher."

Ähnlich diplomatisch gibt sich Spielberg-Strafenopfer Hamilton. "Ich verstehe seinen Punkt. Ich habe aber gerade erst davon gehört, also hatte ich nicht viel Zeit darüber nachzudenken", kommentierte der Brite Webbers Vorschlag. "Aber ich glaube, dass es schwierig ist, das wirklich umzusetzen. Du bist ein Team. Wenn ein Fahrer einen Fehler macht, dann verliert das Team Punkte. Und wenn Teams gemeinsam Fehler machen, wenn etwas oder die Zuverlässigkeit dich trifft, dann trifft es alle zusammen ..."

Wie Vettel warnte Hamilton zudem vor einer großen Materialschlacht. "Außerdem: Wenn du ein Motorenproblem hast, du einen brandneuen bekommst und dafür keine Strafe bekommst, dann gewinnst du recht oft einen Power-Vorteil. Ich weiß nicht. Vielleicht gibt es einen Weg, wie sie es machen könnten", sagte Hamilton.

Wolff: Zu viele Strafen für Fahrer

Ähnlich differenziert näherte sich Toto Wolff dem Thema, outete sich jedoch als persönlicher Gegner zu vieler Strafen für die F1-Fahrer in Angelegenheiten außerhalb ihrer Verantwortung. "Strafen greifen in die Fahrer- und Kostrukteurs-WM ein. Man kann es überall im Sport sehen: Das Ziel ist, in Sachen Strafen möglichst perfekt zu sein. Ob es Video beim Fußball ist oder Skispringer, die bei manchen Windbedingungen einen Bonus bekommen. Für mich ist das alles zu viel. Ich will sehen, dass der gewinnt, der am weitesten springt, am schnellsten fährt, die meisten Tore schießt", sagte der Mercedes-Motorsportchef.

"Die Kontroversen um die Schiedsrichter füllen die Zeitungen und lassen uns am Montag in der Bar drüber diskutieren. In der F1 brauchen wir aber gewisse Freiheiten, die Fahrer sollten nicht zu sehr bestraft werden wegen technischen Problemen am Auto", ergänzte Wolff. "Gleichzeitig darf das System nicht außer Kontrolle geraten. Wenn man niemanden bestraft, werden wir große Mengen an Getrieben oder Motor-Komponenten einsetzen und so weiter", warnte der Mercedes-Chef. Für eine Lösung vertraut Wolff aber ganz auf einen alten Bekannten: "Mit Ross (Brawn, Anm. d. Red.) haben wir den Kerl mit der größten Erfahrung, der Lösungen dafür finden kann."

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Strafen gegen Fahrer für Verfehlungen, für welche sie selbst nicht verantwortlich zeichnen, sind Mist und gehören abgeschafft. Da hat Mark Webber absolut recht. Zum Ausgleich muss es aber eine Sanktion für das Team geben, sonst herrscht Wildwuchs und wir sehen jedes Rennen neue Power Units und Getriebe - was aus Budgetgründen zudem ein unfairer Vorteil für die finanzkräftigeren Teams wäre. Nicht umsonst sollen Motoren und Getriebe ja so lange halten, das dient schlicht der Kostenreduktion.

Die Lösung erscheint allerdings schwierig - immerhin schlagen auch Geldstrafen (die zur Abschreckung hoch angesetzt sein müssten) und in letzter Konsequenz auch Punktabzug in der Konstrukteurswertung größere Löcher in die Finanzen kleinerer Teams. Vielleicht handelt es sich aber gerade deshalb um den genau richtigen Ansatz, um einer Materialschlacht vorzubeugen. Unnötig viel Geld ausgeben wollen auch Ferrari, Red Bull und Mercedes nicht. Ach ja: Die Fahrer können stattdessen übrigens gerne mal für Pit Lane Speeding selbst zahlen. Warum übernehmen diese Strafzettel eigentlich die Teams? (Jonas Fehling)