Johnny Herbert gehört schon fast zum Formel-1-Inventar. Ob als Fahrer, der Grand-Prix-Siege feiern durfte, als FIA-Steward, als Midland-Repräsentant oder als TV-Experte - der Brite weiß immer spannende und vor allem unterhaltsame Geschichten zu erzählen. Anlässlich seines 50. Geburtstages traf sich Motorsport-Magazin.com im vergangenen Jahr für ein Magazin-Special mit Herbert. Das Mammut-Interview dauerte mehr als zwei Stunden, selbst die offizielle Bestätigung von Sebastian Vettel bei Ferrari konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen. Weil nur ausgewählte Geschichten den Weg in die Printausgabe fanden, zeigen wir ihnen online alle Bilder aus Herberts Fotoalbum. Heute das letzte Bild, Nummer 24.

Brands Hatch 1988, Schlimmer Formel-3000-Unfall

Das war der Unfall, als alles schief gegangen ist. Angefangen hat es, als Gregor Foitek in Paddock [erste Kurve in Brands Hatch] Roberto Moreno abgedrängt hat. Morenos Auto ist in die Reifenstapel am Streckenrand eingeschlagen, weshalb es eine rote Flagge hab. Zu diesem Zeitpunkt lag ich in Führung und hatte zwölf Sekunden Vorsprung vor Martin Donnelly. Sie haben das Rennen unterbrochen und es neu gestartet.

Beim ersten Start stand ich gerade in der Startposition und hatte etwas Wheelspin. Beim Restart habe ich es anders gemacht. Ich weiß, wieso ich es gemacht habe, aber ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Ich habe mich schräg in die Startmarkierung gestellt. Denn wenn ich wieder Wheelspin gehabt hätte, wäre ich genau gerade gestanden. Aber meine Reifen haben noch stärker durchgedreht und ich stand dann wieder schief.

Donnelly war dann in Führung vor Pierluigi Martini. Ich bin neben Foitek in die erste Kurve gefahren, dann durch Druids und aus Surtees bin ich knapp vor ihm rausgekommen. Ich habe ihn im Rückspiegel beobachtet. Innen konnte man nicht überholen und ich habe die Lücke außen klein gemacht. Als er trotzdem ausscheren wollte, hat er mein Hinterrad berührt. Deshalb bin ich abgebogen.

Normalerweise verläuft die Leitplanke parallel zu Strecke, weil aber hier eine Brücke über die Strecke führte, machte die Leitplanke einen Vorsprung. Deshalb bin ich mit 169 Meilen frontal eingeschlagen. Ich erinnere mich nicht mehr an alles, aber noch an etwa 99 Prozent. Ich habe mir nur gedacht: Oh Scheiße. Ich habe mich quer über die Strecke gedreht. Als ich dann stehenblieb, war es ruhig. Der Motor war ausgegangen.

Ich erinnere mich noch, wie ich dann meine Augen geöffnet habe. Ich habe nach unten gesehen und dachte, dass meine kompletten Beine ab sind. Auf dem Bild sieht man es ansatzweise: Das dunkle, das aus dem Cockpit ragt, ist mein Fuß mit Schuh. Daneben der andere Fuß ohne Schuh. Der Schuh wurde später in einem Kühler gefunden, ich glaube es war bei Mark Blundell. Aber zuerst dachte ich, dass meine Beine vom Rumpf ab abgeschnitten wurden, weil ich sie im Cockpit nicht sehen konnte. Ich habe mir gedacht: Nein, nicht ich! Das muss genau zum Zeitpunkt dieses Fotos gewesen sein.

Ich erinnere mich nicht mehr an alles, aber wenn ich davon erzähle, kommt einiges wieder. Ein Marshall ist gekommen und hat gefragt, ob ich okay bin. Er ist dann etwas weiter vor zum Auto gegangen und hat auf meine Füße geschaut. Sein Gesichtsausdruck war nicht besonders erbaulich. Dass konnte nichts Gutes bedeuten. Ich dachte noch immer, dass meine Beine komplett ab wären. Adrien Raynard, der das Chassis gebaut hat, kam gemeinsam mit meinem Ingenieur zum Auto. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch bei Bewusstsein, aber war etwas weggetreten, weil ich schon eine Maske auf hatte. Das letzte, an das ich mich noch erinnern kann ist, dass ich sie gefragt habe, ob das Ersatzauto bereit sei. Das ist mein Humor, so bin ich.

Halluzinationen vom Morphium

Das nächste, woran ich mich erinnere ist, wie ich ein paar Stunden später im Krankenhaus aufgewacht bin. Michel Trollé hatte am Samstag einen Unfall in Dingle Dell. Dort war ein hoher Kerb. Er ist über den Kerb gefahren und ist über das Kiesbett gesprungen und unter der Leitplanke eingeschlagen. Er war mit den Knien unter der Leitplanke. Als ich aufgewacht bin, lag er am anderen Ende des Raums. Ich wollte noch etwas sagen, aber dann war ich schon wieder weg.

Dann erinnere ich mich erst wieder, als ich nach der Operation aufgewacht bin. Als ich aufgewacht bin, habe ich nur noch Verbände gesehen, die um meine Füße waren. Das war das erste Mal, dass ich realisiert habe, dass meine Beine und meine Füße noch dran sind. Aber es war noch ein weiter weg, weil die Ärzte nicht wussten, ob der eine Fuß dran bleiben kann, oder ob er amputiert werden muss. Aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht.

Ich bin erst am Mittwoch nach dem Unfall wieder richtig zu Bewusstsein gekommen. Da habe ich noch sehr viel Morphium erhalten. Das einzige, an das ich mich da noch erinnern kann ist, dass ich meine Augen geschlossen habe und einen Traum hatte. Meine Frau - damals noch meine Freundin - und ich waren unter einem wundervollen Wasserfall. Nackt. Dann hat sich ihre Haut wie eine Banane geschält. Da kam ein Monster, ähnlich wie ein Tyrannosaurus rex, hevor. Mit riesigen Zähnen. Dann schälte sich meine Haut und es waren tausende Monster da, die sich alle gegenseitig essen wollten. Wenn ich meine Augen geöffnet habe, war der Traum weg. Sobald ich meine Augen wieder geschlossen habe, bin wieder genau an der Stelle des Traums gewesen. Dann haben sie das Morphium abgesetzt.

Das nächste Rennen in Birmingham musste ich mir im Krankenhaus ansehen. Ich war damals das nächste große Ding! Eine Woche zuvor hatte ich noch für Lotus in Monza Formel 1 getestet. Nelson Piquet und Satoru Nakajima waren die Stammpiloten, aber ich dufte ein oder zwei Tage testen. Und ich war schneller als Nelson! Als ich die britische Formel 3 gewonnen habe, durfte ich einen Benetton testen und war schneller als Thierry Boutsen, der zu diesem Zeitpunkt Stammfahrer war. Ich wünschte, der Unfall wäre nie passiert. Vielleicht wäre dann meine Karriere ganz anders verlaufen. Aber man weiß nie. Vielleicht wäre ich dann achtfacher Weltmeister? [lacht]