Timo Scheider sorgt vor dem anstehenden DTM-Rennwochenende in Brands Hatch für großen Wirbel. In seiner aktuellen ran-Kolumne behauptet der TV-Experte von Sat.1, dass bei Audi zuletzt Dinge anders gelaufen seien als vorher intern abgesprochen. Und, dass die Markenkollegen und Titelrivalen Rene Rast und Nico Müller nicht die Wahrheit gesagt hätten, als es um ihr Verhältnis zueinander ging.

"Vor allem bei Audi ist ordentlich Feuer unter dem Dach, dort gibt es sehr, sehr große Spannungen unter den Fahrern", schreibt der frühere Audi- und heutige BMW-Werksfahrer Scheider. Auf die internen Ungereimtheiten geht Scheider nicht genauer ein, vermutlich handelt es sich dabei um die Vorgänge beim vorangegangenen DTM-Wochenende in Assen.

Im regnerischen Samstags-Rennen führte Müller das Feld an, bis er zu einem aus Sicht einiger Insider verkehrten Zeitpunkt zum Pflicht-Reifenwechsel an die Box beordert wurde, was in Runde 25 der Fall war. Fakt ist aber auch: Müller fuhr in Runde 24 seine bis dahin schnellste Rennrunde (1:45.646 Minuten). Auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com bei Müllers Audi Sport Team Abt Sportsline hieß es lediglich: "Kein Kommentar."

Rundenzeiten-Vergleich: Rennen 1 in Assen

RundeNico MüllerRene RastMarco Wittman
161:48.2422:20.470 (Outlap)1:55.999 (Inlap)
171:47.3731:48.9782:22.495 (Outlap)
181:46.4641:49.4301:49.340
191:46.7461:48.2271:48.062
201:46.2241:47.0651:47.273
211:46.2361:47.1581:47.086
221:46.0741:46.7101:46.433
231:45.7461:46.4641:45.991
241:45.6461:46.4651:46.186
251:53.739 (Inlap)1:46.0491:45.683
262:22.106 (Outlap)1:45.8831:46.083

Dagegen äußerte der Schweizer selbst nach dem Rennen in Assen Zweifel über die Strategie, die ihn möglicherweise den zweiten Saisonsieg kostete. "Ich habe gedacht, die Jungs wissen schon, was sie tun, ich gehorche und fahr' rein", sagte Müller am Sat.1-Mikro. "Auch, wenn ich im Nachhinein auch überlege, ob man vielleicht noch länger hätte draußen bleiben können."

Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com aus Audi-Kreisen traf nicht - wie sonst üblich - das Team die Entscheidung, Müller zu diesem Zeitpunkt an die Box zu beordern. Die Ansage kam stattdessen von Audi-Motorsportchef Dieter Gass.

Man hätte festgestellt, dass die Rundenzeiten von Verfolger Marco Wittmann zu ähnlich gewesen seien. Deshalb sei man auch davon ausgegangen, dass Müller die Führung nach dem Boxenstopp bis zum Schluss verteidigen könne. Und: Man hätte nicht damit gerechnet, dass das Aufwärmen der Reifen so lange dauern würde (Müller: "Hat länger gedauert, als wir es uns alle gewünscht hätten"), verteidigte ein Audi-Sprecher die Gass-Strategie.

Müller konnte sich in seiner Outlap mit den Hankook-Reifen, deren Aufwärmen laut Reglement nicht erlaubt ist, nicht gegen den BMW-Piloten zur Wehr setzen und musste Wittmann mehr oder weniger kampflos ziehen lassen. Ihm gelang es immerhin, den zweiten Platz vor Rast ins Ziel zu bringen, der Sieg ging jedoch ausgerechnet an Titelaspirant Wittmann.

Scheider deutet in seiner Kolumne nebulös eine Teamorder an: "Als Rennfahrer weiß ich, wie sensibel und schwierig das ganze Thema Titelkampf und interne Stallorder ist."

Hier stellt sich die Frage nach dem Grund. Denn auf den ersten (Tabellen)-Blick gab es dazu eigentlich keine Veranlassung. Rast hatte vor Assen bei 128 Punkten 25 Zähler Vorsprung auf Müller. Die BMW-Fahrer Philipp Eng und Marco Wittmann lagen 29 beziehungsweise 56 Punkte zurück.

"Wir sind weit weg von einer Teamorder", stellte ein Audi-Sprecher auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com an diesem Freitag in aller Deutlichkeit fest.

Rückblick: Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hatte Mercedes-Pilot Gary Paffett in Zandvoort nach neun von 20 Läufen als Tabellenführer 127 Punkte. Dagegen lag Titelverteidiger Rast zu diesem Zeitpunkt als 15. und viertletzter der Tabelle vermeintlich aussichtslose 104 Zähler hinter Paffett.

In den folgenden elf Rennen feierte Rast sieben Siege - davon sechs in Serie - und stand zudem neun Mal auf dem Podium. Am Ende fehlten dem Audi-Fahrer nur vier Punkte zum erneuten Titelgewinn.

Vergleicht man die aktuelle Situation, waren es bei Wittmann 'nur' 56 Punkte, die der BMW-Pilot zurücklag. Als punktbester Fahrer in Assen (46 Zähler) konnte der zweimalige DTM-Champion den Rückstand auf Rast um 16 auf nur noch 40 Punkte (118:158) verringern.

Grund genug für Audi, wie 2015 von Mercedes beim späteren Meister Pascal Wehrlein praktiziert, schon vor Saisonhalbzeit die ungeliebte Teamorder anzuordnen? Darauf hatte der Autobauer aus Ingolstadt in der Vergangenheit mehrfach im Sinne des sportlichen Wettbewerbs verzichtet - und war damit nicht immer gut gefahren.

Rast und Müller nach dem Samstags-Rennen in Assen, Foto: Audi Communications Motorsport
Rast und Müller nach dem Samstags-Rennen in Assen, Foto: Audi Communications Motorsport

Scheider vermutet in seiner Kolumne, dass sich zu diesem Zeitpunkt der Saison die Hersteller auf Fahrer festlegen, die im Kampf um die Meisterschaft unterstützt werden müssen: "Und deshalb ist es auch so, dass einige Audi-Fahrer mit der jetzt einsetzenden Priorisierung der Piloten nicht einverstanden sind. (...) Dass einige automatisch zurückstecken müssen, schmeckt einem Fahrer von Natur aus schon nicht."

In der Öffentlichkeit ließen sich die Fahrer bislang nichts anmerken. Rast und Müller reisten gemeinsam im Flugzeug in Richtung Brands Hatch und Rast witzelte in einer seiner Instagram-Stories über Scheiders Aussagen. "Nico, wenn ich dich später sehe, hoffe ich nicht, dass mir der Kragen platzt", schrieb er mit Bezug auf Scheider, der sich in seiner Rolle als TV-Experte darauf freut, "dass einem vielleicht bald einmal der Kragen platzt und das sagt, was ihm auf der Zunge liegt".

Denn Scheider ist sicher: "Man erkennt und spürt schnell, dass nicht die Wahrheit gesagt wurde, als es um das angeblich so heile Verhältnis zueinander ging. Denn die haben sich hinter den Kulissen mehr als einmal die Meinung gegeigt und sind sich nicht so grün, wie immer behauptet wird." Das sei nach der Kollision der beiden Audi-Fahrer am Norisring nicht mehr zu übersehen.