Das neue Porsche-Kundenteam Hertz Team JOTA hat sich für die WEC-Saison 2023 mit einem namhaften Neuzugang verstärkt: Der frühere Audi-Motorsportchef Dieter Gass übernimmt die Rolle als Teamchef. Das hat Motorsport-Magazin.com aus unterschiedlichen Quellen erfahren und ist uns auch von einem Audi-Sprecher bestätigt worden. Die offizielle Bekanntgabe des Teams soll nach unseren Informationen in der kommenden Woche erfolgen.

Mit dem JOTA-Engagement kehrt Gass nach gut zweijähriger Abwesenheit vom Motorsport zurück an den Kommandostand. Der 59-Jährige erhält dazu die Freigabe seines Arbeitgebers Audi, um dieses Jahr die LMDh-Kundeneinsätze von JOTA mit dem neuen Porsche 963 in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) zu leiten.

Laut letzten Angaben von Porsche soll das britische Team, wie auch die weiteren Kundenteams Proton und JDC Miller-Motorsports, sein LMDh-Auto Ende April erhalten. Wann JOTA und Co. ihre ersten Rennen bestreiten, stand zunächst nicht offiziell fest. Das WEC-Saisonhighlight, die 24 Stunden von Le Mans, steigt am 11./12. Juni 2023.

JOTA ist mit einem Porsche 963 in der Hypercar-Klasse der Weltmeisterschaft eingeschrieben, in der unter anderem Toyota, Peugeot und Neueinsteiger Ferrari starten. Als Fahrer hat der zuletzt in der LMP2-Klasse höchst erfolgreiche Rennstall den Porsche-Werksfahrer und Formel-E-Piloten Antonio Felix da Costa, den früheren Formel-1-Testfahrer Will Stevens und Yifei Ye verpflichtet. Felix da Costa und Stevens gewannen 2022 zusammen mit Roberto Gonzalez für JOTA die LMP2-Weltmeisterschaft in der WEC und feierten den LMP2-Klassensieg in Le Mans.

Foto: Audi Communications Motorsport
Foto: Audi Communications Motorsport

Was hat Gass eigentlich gemacht?

Gass war bis zum 30. November 2020 als Motorsportchef für Audi tätig, bis er trotz nachweislich bemerkenswerter Erfolge wie beispielsweise 22 Tage vor seiner Ablösung dem DTM-Titel-Hattrick mit der Fahrermeisterschaft durch Rene Rast, dem Gewinn der Teamwertung durch das Audi Sport Team Abt Sportsline sowie dem überlegenen Hersteller-Erfolg vor dem Erzrivalen BMW, überraschend durch Nachfolger Julius Seebach abgelöst wurde. Laut Audi-Angaben sollte Gass neue Aufgaben übernehmen, die bis heute aber nicht bekannt sind.

Nachfolger Seebach erhielt kürzlich einen Posten im Verwaltungsrat der Sauber Motorsport AG, dem Formel-1-Partner von Audi ab der Saison 2026. Zuvor war er von 2019 bis 2022 als Geschäftsführer der Audi Sport GmbH auch verantwortlich für den Motorsport. Die mit dem heutigen BMW-Team WRT lange geplante Rückkehr von Audi in die WEC und nach Le Mans mit einem LMDh-Auto, das in Zusammenarbeit mit Porsche entwickelt werden sollte, fiel zugunsten des F1-Projekts fast schon am Ende seiner Fertigstellung doch noch flach.

Foto: Audi Communications Motorsport
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Gass: WEC-Comeback mit Porsche statt Audi

Gass gibt sein 'Comeback' in der WEC und Le Mans nun stattdessen mit einem Porsche-Kundenteam. Der gebürtige Hesse aus Gießen kehrte nach zehn Jahren in der Formel 1 (Toyota, Lotus) Anfang 2012 zurück zu Audi und übernahm die Renneinsatzleitung für das WEC- und Le-Mans-Programm. Bis zum Ausstieg Ende 2016 gewann Audi in dieser Zeit drei Mal die 24 Stunden von Le Mans (2012, 2013, 2014) sowie zweimal die Fahrer- und Hersteller-Meisterschaft in der WEC.

Ab 2013 war Gass zudem Leiter DTM bei Audi, bevor er 2017 die Nachfolge von Dr. Wolfgang Ullrich als Audi-Motorsportchef antrat. In den acht DTM-Jahren unter Gass gewann Audi fünf Mal die Markenmeisterschaft (2014, 2016, 2017, 2019, 2020) und holte mit Mike Rockenfeller (2013) und Rene Rast (2017, 2019, 2020) vier Mal den Fahrer-Titel.

Nach dem WEC-Abschied engagierte sich Audi werksseitig auch in der Formel E und übernahm 2017 das private Abt-Team. 2018 gelang dem Audi Sport ABT Schaeffler Team um Lucas di Grassi und Daniel Abt der Gewinn der Team-Meisterschaft, 2019 folgte der Vize-Titel in dieser Wertung.

Foto: Audi
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Gass: Aus dem Cockpit bis in die Formel 1

Diplom-Ingenieur Gass, der an der Technischen Hochschule in Darmstadt elektromechanische Konstruktionen studiert und seine Diplomarbeit über die Entwicklung eines Rollwinkelsensors für ein Motorrad-ABS geschrieben hat, war von November 1994 bis März 2001 bereits als Techniker und Renningenieur für Audi Sport tätig gewesen. Danach wirkte er bis 2011 in leitenden Funktionen bei den Formel-1-Projekten von Toyota und Lotus mit, bevor er am 01.01.2012 als Leiter und zur zentralen Optimierung der Renneinsätze zu Audi zurückkehrte. Für Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich war Gass "der Wunschkandidat für diese Position."

Was viele nicht wissen: Gass war nicht nur in verantwortlichen Positionen am Schreibtisch oder Kommandostand bekannt, sondern hat auch selbst erfolgreich Rennen bestritten. So feierte er beispielsweise 1991 mit einem Renault Clio 16V vier Saisonsiege in Hockenheim, Most, Nürburg und Diepholz und sicherte sich damit souverän den spektakulären ‚Renault-elf-Pokal' vor den späteren Gesamtsiegern Reinhard Sesterheim und Marc Gindorf, der danach als Privatier den Sprung in die DTM schaffte.

Auch beim berühmten 24h-Rennen auf dem Nürburgring 1992 zeigte Gass sein Renntalent, als er in einem Peugeot 309 GTi des Teams Schirra Motoring, u. a. mit Teamchef Joachim Schirra, Platz sieben unter 22 Konkurrenten der Zweiliter-Klasse sowie Rang 25 in der Gesamtwertung unter insgesamt 142 Startern belegte.