Eine fette Strafe hat das Fahrerlager der Formel E bei der Rennpremiere in Portland erschüttert und riesengroße Diskussionen ausgelöst. Das Top-Team DS Penske kassierte am Samstag eine Geldstrafe in Höhe von 25.000 Euro. Zudem wurden die beiden Fahrer, der amtierende Weltmeister Stoffel Vandoorne und der zweimalige Champion Jean-Eric Vergne, mit einem Rennstart aus der Boxengasse belegt.

In der Entscheidung Nummer 12, die am Samstagmorgen während des Qualifyings veröffentlicht wurde und die sich auf einen Vorfall vor dem 2. Training bezog, wählten die Sportkommissare drastische Worte. Im offiziellen Dokument war die Rede von einem "erheblichen und unfairen Vorteil", wonach die verhängte Strafe angemessen sei. Vergne und Vandoorne durften trotzdem am Qualifying teilnehmen, ihre Startplätze sechs (Vergne) und zehn (Vandoorne) aber nicht behalten.

DS Penske verstößt in vier Fällen gegen Reglement

DS Penske hatte laut den Sportkommissaren gegen zwei Artikel des Sportlichen Reglements sowie je einen Artikel des Technischen Reglements und des International Sporting Codes verstoßen. Das französische Werksteam, das seit dieser Saison mit dem früheren Dragon/Penske-Rennstall von Jay Penske zusammenspannt, habe laut den Stewards "RFID-Scangeräte am Eingang der Boxengasse installiert, die in der Lage waren, Echtzeitdaten von allen Fahrzeugen zu sammeln, indem sie die Barcodes auf den Reifen gescannt haben".

In der ursprünglichen Stewards Decision war zunächst die Rede davon, dass DS Penske die Daten aller Fahrzeuge "betreffend der Reifen" gesammelt habe. Dieser Halbsatz wurde in einer überarbeiteten Version gestrichen, sodass man zu dem Schluss kam, dass das Team Live-Daten der kompletten Autos der Konkurrenz habe sammeln können. Das käme tatsächlich einem riesengroßen Daten-Skandal gleich, wie es ihn in der Geschichte der Formel E noch nie gegeben hat.

Die Installation eines RFID-Scangeräts - die Abkürzung steht für 'Radio Frequency Identification' oder auch Funkerkennung zur drahtlosen Übertragung von Messwerten - ist per Reglement in mehreren Instanzen verboten. In der Boxengasse bzw. Fast Lane darf kein Equipment verbleiben (Artikel 23.11), Wettbewerber dürfen kein Equipment in der Boxengasse installieren (Artikel 30.25), jegliche Telemetrie ist verboten (Artikel 8.9) und jeglicher Verstoß gegen das Fairnessgebot ist untersagt (Artikel 12.2.1.l).

DS Penske beim Formel-E-Rennen in Portland, Foto: LAT Images
DS Penske beim Formel-E-Rennen in Portland, Foto: LAT Images

Welche Daten hat DS Penske wirklich gesammelt?

Bei der Konkurrenz von DS Penske war die verhängte Strafe ein großes Gesprächsthema - allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Namentlich wollte sich zunächst kein Teamchef oder leitender Angestellter auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com zitieren lassen. "Die Strafe ist zu milde", "Wir fühlen uns verarscht", oder "Das ist bei diesem Team ja nichts Neues", hörten wir vor Ort in Portland von unterschiedlichen Stellen.

Ebenso wurde rege diskutiert, welche Daten genau das Team DS Penske denn tatsächlich gesammelt haben könnte. Ein Teamchef glaubte nicht, dass es wirklich möglich sei, Live-Daten der Konkurrenz abzugreifen. "Die haben jetzt die gelbe Karte bekommen. Damit ist das Thema für uns erledigt", meinte ein Formel-E-erfahrener Teamverantwortlicher zu Motorsport-Magazin.com.

Ein Datenexperte eines Dienstleisters, der namentlich nicht genannt werden wollte, erklärte gegenüber Motorsport-Magazin.com, dass es faktisch unmöglich sei, Daten von gegnerischen Autos zu generieren, die über die reine Information hinausgingen, mit welchem Satz Reifen ein Auto aus der Boxengasse fährt.

Race Director Scot Elkins mit DS-Berater Oliver Turvey in der Box, Foto: LAT Images
Race Director Scot Elkins mit DS-Berater Oliver Turvey in der Box, Foto: LAT Images

Vergne schockiert von Stewards-Urteil

Im Anschluss an das Portland-Rennen zeigte sich der zweifache Champion Vergne im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com entrüstet von der konkreten Formulierung im Urteil der Sportkommissare. "Die Interpretation von dem, was wir wirklich gemacht haben, schockiert mich", sagte der Franzose. "So wie es aufgeschrieben wurde, hätten wir Zugang zu den Live-Daten aller anderen Teams gehabt. Wir hätten wohl Zugriff auf ganz tolle Hacker, um an all diese Daten heranzukommen! Die Wahrheit hingegen ist ganz simpel. Wir hatten eine Maschine, die praktisch die Reifennummern liest, um uns die Information zu geben, welcher Fahrer welchen Reifen nutzt - den ersten oder den zweiten Satz. Das machen alle anderen auch."

Tatsächlich haben wir im Fahrerlager von Portland herausgefunden, dass andere Teams unterschiedliche Methoden nutzen, um herauszufinden, welcher Satz der Hankook-Allwetterreifen gerade auf einem Auto montiert ist. Per Regelbuch stehen jedem Fahrzeug bei einem Einzelrennen zwei Sätze zur Verfügung. Die Info, welcher Satz aktuell genutzt wird, gibt einen wichtigen Aufschluss über den Reifenzustand in der jeweiligen Session. Einige Teams bzw. Hersteller engagieren etwa spezielle Fotografen, die die Reifen der Konkurrenz oder Datenmonitore in der Box ablichten.

Vergne weiter: "Jeder macht das seit Ewigkeiten in der Formel E. Wir hatten einfach ein System, das besser ist als Fotos. Es war nichts mehr als das. Wir hatten niemals Zugriff auf Live-Daten von Reifendrücken, Temperaturen oder Motorendaten. Das ist unmöglich! Ich bin schockiert, genervt und sauer, dass das so geschrieben worden ist. Das war nicht der Fall. Ich verstehe das nicht."

Welche Daten hat DS Penske wirklich abgegriffen?, Foto: LAT Images
Welche Daten hat DS Penske wirklich abgegriffen?, Foto: LAT Images

Vergne: Wie die größten Betrüger behandelt...

Dass DS Penske durch die Installation eines Messgeräts in der Boxengasse gegen die Regeln verstieß, räumte Vergne ein: "Okay, wenn wir dafür eine Strafe kassieren. Aber behandelt zu werden wie die größten Betrüger... Unsere Fans und Sponsoren lesen die Nachrichten und verstehen nicht genau, was passiert ist. Das ist nicht gut. Ich bin nicht der Teamchef. Aber das Team ist meine Familie und dass wir so behandelt werden für etwas, was nicht stimmt, ist erstaunlich."

Wo war eigentlich Teamchef Jay Penske?

Motorsport-Magazin.com hatte das Team DS Penske direkt nach dem Qualifying um ein offizielles Statement gebeten. Eine konkrete Antwort stand bis Samstagabend Ortszeit aus.

Bemerkenswerterweise blieb der offizielle Teamchef von DS Penske - Jay Penske - ausgerechnet dem Heimrennen seines Teams fern. Er hätte vermutlich für eine sofortige Aufklärung aus Sicht des Teams sorgen können. Wie das wohl beim in Portland anwesenden Jean-Marc Finot, dem Motorsport-Vizepräsidenten des großen Stellantis-Konzerns, zu dem unter anderem DS Automobiles gehört, ankam?

Jay Penskes Abwesenheit aus unbekannten Gründen sorgte auch bei gewissen Teammitgliedern vor Ort für Irritation. Nicht zuletzt, weil auf der Gegenseite Michael Andretti, der Sohn von Formel-1-Legende Mario, das gesamte Wochenende sein Team Andretti-Porsche an der Rennstrecke unterstützte.

Ein Statement von Eugenio Franzetti, dem Performance-Director von DS, in der offiziellen Pressemitteilung gab unterdessen nur wenig Aufschluss und wirkte am eigentlichen Thema vorbei formuliert: "Leider wurde das Team wegen des Vorhandenseins von Ausrüstung in der Boxengasse bestraft, mit der die Codes auf den Reifen gescannt wurden. Offensichtlich hat dies keine Auswirkungen auf die Leistung des Antriebsstranges und des Fahrzeugs, aber die Konsequenz war, dass wir das Rennen aus der Boxengasse starten mussten."

In einer am späten Samstagabend Ortszeit verschickten Pressemitteilung von Penske Autosport hieß es: "Diese Ausrüstung wurde verwendet, um Informationen zu sammeln, die streng auf die Seriennummer der Reifen beschränkt waren. Diese Informationen sind verfügbar und werden von Teams üblicherweise mit einer einfachen Kamera gesammelt. Diese Informationen haben keine Auswirkungen auf die Leistung unserer Autos."

Jean-Eric Vergne in Portland mit einem Ausritt durch die Wiese, Foto: LAT Images
Jean-Eric Vergne in Portland mit einem Ausritt durch die Wiese, Foto: LAT Images

Eine der höchsten Strafen in der Formel E

Übrigens: Im Rennen gelang Vergne und Teamkollege Vandoorne aus der Boxengasse heraus mit den Plätzen elf und zwölf zwar eine Aufholjagd, die aber an den Punkterängen vorbeiführte. Vergne als Meisterschafts-Fünfter mit noch überschaubaren Titelchancen fuhr zwischenzeitlich in den Top-5, musste aber zu viel Energie aufwenden und wurde später zudem durch einen mit Gras verstopften Kühler zurückgeworfen.

Die gegen DS Penske ausgesprochene Strafe (25.000 Euro plus Start aus der Boxengasse) gehört zu den höchsten in der Geschichte der Formel E. In der Saison 2018 kassierte Techeetah-Renault - später DS Techeetah und heute DS Penske - gar eine Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro, weil sich Vergne und Ex-Teamkollege Andre Lotterer in Santiago de Chile nicht korrekt angeschnallt und dadurch einen Zeitvorteil erhalten hatten.