Die Ereignisse beim Saisonauftakt der Formel E in Saudi-Arabien sorgen hinter den Kulissen für mächtig Wirbel. Im Fokus der Diskussionen steht einer der schwersten Unfälle in der Geschichte der Elektro-Rennserie, den die Zuschauer bei der weltweiten TV-Liveübertragung allerdings nie zu sehen bekamen. Dass der Überschlag von Mahindra-Pilot Alex Lynn samt hartem Einschlag in die TecPro-Barrieren zudem absolut rennentscheidend war, machte den anschließenden Ärger perfekt.

Mehrere TV-Partner der Formel E, darunter der für den deutschen Raum zuständige Sender Sat.1, ärgerten sich über die Kommunikationspolitik bei diesem Vorfall, denn: Aufgrund mangelnden Informationsaustauschs seitens der Formel E war es schier unmöglich, den Fernsehzuschauern unmittelbar die sich im wahrsten Sinne des Wortes 'überschlagenden' Ereignisse korrekt erklären zu können.

Anstatt das auf dem Dach liegende Auto von Alex Lynn oder den Unfallhergang zu zeigen, wurde lediglich eine Kollision zwischen Maximilian Günther (BMW) und Tom Blomqvist (NIO), die sich wenige Sekunden zuvor an gleicher Stelle ereignet hatte, über den World Feed (verantwortet durch die Formel E, nicht von den TV-Partnern) ausgespielt. Mit Schnittbildern des stehenden Autos von Mitch Evans (Jaguar) war die Verwirrung rund um die Vorgänge groß.

Gerüchte um angeblich vertuschten Unfall

Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com waren im Bereich der Unfallstelle am Ende der langen Geraden hin zu Kurve 18 zwei TV-Kameras positioniert. Beide Kameras fingen den Günther/Blomqvist-Unfall auf dem Weg in die nachfolgende Schikane ein, verpassten aber den Abflug von Evans zu Beginn der Geraden bis in die Auslaufzone wenige Sekunden später komplett.

Gerüchte, dass die Formel E Filmaufnahmen des Unfallhergangs während des Rennens absichtlich zurückhielt, weil das Ausmaß nicht direkt klar war, erweisen sich als falsch. Die Spekulationen waren erneut entbrannt, nachdem die Formel E selbst am folgenden Sonntagnachmittag ein Video veröffentlichte, das erstmals den Unfallgrund zeigte - wenn offenbar auch nur auf Drängen von externen Serienpartnern.

Unfall-Bilder waren CCTV-Footage

Dabei handelte es sich allerdings nicht um für das Fernsehen produzierte Aufnahmen, sondern sogenanntes CCTV-Footage. Sprich: starre Streckenkameras, die in erster Linie für den Motorsportweltverband FIA zum internen Gebrauch gedacht sind. Die Formel E veröffentlichte die Bilder von Lynns Überschlag allerdings erst, nachdem klar war, dass der Brite beim Unfall keine schweren Verletzungen erlitten hatte.

Seit einigen Jahren schon verfolgt die FIA in unterschiedlichen Rennserien den Weg, vorsichtig mit potenziell verstörenden Filmaufnahmen in Folge von schweren Unfällen umzugehen. Erst wenn sichergestellt ist, wie es den involvierten Personen geht, sollen Videobilder auch aus der Nähe gezeigt werden.

Kein Hinweise auf Unfall seitens Formel E

Was den Medienvertretern sauer aufstieß, waren die Kommunikationswege seitens der Formel E während des Live-Betriebes. Bis nach Rennende gab es laut unterschiedlichen Quellen keinen einzigen Hinweis auf den Unfall von Lynn und warum das Rennen in der Folge vorzeitig abgebrochen wurde. So mussten die Reporter anhand der gezeigten Bilder davon ausgehen, dass das Rennen wegen herumliegender Karbonteile auf der Strecke 02:41 Minuten vor dem eigentlichen Rennende abgebrochen und nicht mehr aufgenommen wurde.

"Sie hätten uns als über die Sportart berichtenden Medienkollegen mit einer Grafik oder irgendwas informieren müssen", ärgerte sich im ran-Podcast auch Eddie Mielke, der das Rennen für Sat.1 zusammen mit dem langjährigen Formel-E-Fahrer Daniel Abt aus einem Studio in München kommentierte.

Auch das Sat.1-Team vor Ort, das wegen der Corona-Pandemie mit nur fünf Personen von der Rennstrecke berichtete, erhielt keine Informationen über den Vorfall, der auf den TV-Bildern nie zu sehen war. "Das wurde uns komplett verschwiegen", erzählte Reporter Matthias Killing im selben Podcast. "Wir wussten vor Ort nicht, was zum Rennabbruch geführt hat. Mich fuchst, dass wir bei Sat.1 total dumm dastehen, obwohl niemand etwas dafür kann."

Alex Lynn verunfallte rund zwölf Minuten vor dem eigentlichen Rennende, Foto: LAT Images
Alex Lynn verunfallte rund zwölf Minuten vor dem eigentlichen Rennende, Foto: LAT Images

Privat-Video hilft bei Berichterstattung

Während die Formel E am Renn-Samstag lange Zeit keinerlei Informationen über den Vorfall herausrückte, halfen andere Quellen bei der Berichterstattung. Bildagenturen veröffentlichten Fotos, auf denen der auf dem Dach liegende Bolide von Lynn zu sehen war. Auf Twitter kursierte nach Rennende ein privat aufgenommenes Video, das zeigte, wie Lynn mit hoher Geschwindigkeit über die Strecke in Richtung Auslaufzone und Streckenbegrenzung rutschte.

Die Formel E erwähnte den rennentscheidenden Unfall in ihrer kurzen Pressemitteilung am Samstagabend um 23:00 Uhr - vier Stunden nach dem Rennende - überhaupt nicht. In einem Bericht auf der offiziellen Webseite der Serie tauchte der Vorfall nur in einem Satz auf: "Ein Kontakt zwischen Lynn und Evans führte letztendlich zum Ende des Rennens durch rote Flaggen."

Lynn: Keine Verletzungen nach Unfall

Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Mahindra-Pilot im Krankenhaus zu weiteren Untersuchungen. Gegen 01:00 Uhr in der Nacht auf Sonntag konnte er das Hospital verlassen. In einer Video-Botschaft am Montag teilte Lynn mit: "Das Ende war etwas dramatischer, als ich es gehofft hatte. Ich bin zu 100 Prozent okay und habe keine Verletzungen. Danke an Mahindra, die FIA und die Formel E für die Sicherheit des Autos."

Aussagen von Mahindra-Teamchef Dilbagh Gill belegten später, mit welcher Wucht sich der Unfall zutrug. Das Auto sei zu 100 Prozent zerstört, das Monocoque zertrümmert, der Überrollbügel beschädigt und der Halo-Kopfschutz eingedellt. Lynn habe beim Unfall das Lenkrad mit seinen Beinen berührt, sodass die Re-Gen-Paddel zerbrachen.

Formel E lässt Medien völlig im Unklaren

Der Unfall zwischen Lynn und Evans, bei dem der Mahindra-Pilot die Mauer berührte und nach einem Kontakt mit dem Heck des vor sich fahrenden Jaguar-Boliden in die Luft aufstieg, ereignete sich in der 27. Runde bei einer Restrenndauer von gut 12 Minuten. Nach einer Abfolge von zunächst gelben Flaggen im Unfallbereich, einer Full-Course-Yellow-Phase (10:59 Minuten Restrenndauer) sowie einem Safety Car (08:55 Minuten Restrenndauer), zeigte die Rennleitung schließlich rote Flaggen (02:41 Minuten Restrenndauer) und brach im Anschluss ab.

Die TV-Partner samt ihrer Zuschauerschaft und weitere Medien wurden während dieser ganzen Zeitspanne und auch später von der Formel E völlig im Unklaren gelassen. Warum niemand aus dem Kreis der Rennserie, in der es seit der letzten Saison zahlreiche Personaländerungen gab, die Verantwortung übernahm und den Unfall zeitnah in irgendeiner Weise kommunizierte, muss bis zum nächsten geplanten Rennen am 10. April 2021 in Rom nun intern aufgeklärt werden.