Fanboost und Attack Mode: zwei Regeln, die im Motorsport exklusiv in der Formel E zum Einsatz kommen. Während der Fanboost, bei dem das Publikum seinem Lieblingsfahrer per Stimmabgabe eine kleine Portion Zusatzleistung im Rennen verschaffen kann, seit dem Beginn der Serie im Jahr 2014 existiert, ist der Attack Mode vergleichsweise neu.

Mit der Einführung der Gen2-Autos zur Saison 2018/19 hielt dieses Leistungs-Upgrade, bei dem Fahrer im Rennen bestimmte Zonen abseits der Ideallinie befahren müssen und dadurch für wenige Minuten zusätzliche Power erhalten, Einzug in die Formel E.

Während hinter dem Fanboost die Idee steckt, Zuschauer aktiv ins Renngeschehen zu integrieren, soll der Attack Mode als strategisches Element dienen, nachdem es keinen Autowechsel mehr während eines Rennens gibt. Von Formel-E-Gründer Alejandro Agag einst als 'Mario Kart' bezeichnet, erinnert der Attack Mode in Teilen an die Überholhilfe DRS aus Formel 1 oder DTM.

Fanboost: Präzedenzfall in Riad

Beim diesjährigen Saisonauftakt in Saudi-Arabien spielten beide Features mit Blick auf die Meisterschaft eine nicht unwesentliche Rolle - und sorgten sogar für einen Präzedenzfall! So herrschte nach dem Freitagsrennen in Riad kurzzeitig allgemeine Verwirrung, welcher Fahrer den Extra-Punkt für die schnellste Rennrunde erhält.

Auch Experten vermuteten zunächst, dass Stoffel Vandoorne beim Rennsieg seines Mercedes-Teamkollegen Nyck de Vries den Extra-Zähler für die schnellste gefahrene Runde kassieren würde. Der frühere Formel-1-Pilot war mit einer Bestzeit von 1:09.583 Minuten am zügigsten unterwegs und fuhr nach einer Aufholjagd auf den achten Platz. Damit hätte er sich theoretisch für den Extra-Punkt qualifiziert, den analog zur Formel 1 nur Fahrer erhalten können, die das Rennen in den Top-10 beenden.

Doch die Verwunderung war zuerst groß, als stattdessen Rene Rast offiziell der Punkt für die schnellste Rennrunde zugeteilt wurde. Der Audi-Werksfahrer wurde im Rennen Vierter, benötigte 1:09.655 Minuten für seinen besten Umlauf und war damit wenige Hundertstelsekunden langsamer als Vandoorne.

Die Aufklärung, warum der WM-Zähler trotz langsamerer Rundenzeit an Rast ging, liefert das Sportliche Reglement der Formel E unter Artikel 6.3 bezüglich der Punkteverteilung: "Wenn die schnellste Runde mit dem Fanboost erzielt wird, wird diese Rundenzeit nicht angerechnet." Und tatsächlich hatte Vandoorne in der 30. Rennrunde den Fanboost eingesetzt. Bei dieser persönlichen Bestzeit befand sich der Belgier zudem im Attack Mode. Einen derartigen Fall hat es in der Geschichte der Formel E seit der 2017 eingeführten Top-10-Punkteregelung unseres Wissens nach nie zuvor gegeben.

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Mercedes holt sich verlorenen Punkt zurück

Den 'verlorenen' Punkt für die schnellste Rennrunde holte sich das Mercedes-Team einen Tag später im Samstagsrennen allerdings auf ungewöhnliche Art und Weise zurück. Im zweiten Nachtrennen von Riad ergatterte Auftaktsieger de Vries den zusätzlichen WM-Zähler für die schnellste Runde - und zwar nachträglich!

Nach dem verpassten Qualifying in Folge eines Startverbots für alle Mercedes-Autos ging der Niederländer von Platz 20 ins Rennen und überquerte die Ziellinie auf der 14. Position. Da das Ergebnis rund zwei Stunden nach dem Rennende wegen acht nachträglich ausgesprochener Strafen auf den Kopf gestellt wurde, rückte de Vries automatisch vom 14. bis auf den neunten Platz nach vorne.

Durch die Top-10-Platzierung qualifizierte er sich mit seiner schnellsten Rennrunde für den Extra-Punkt. So holte de Vries im Nachgang insgesamt drei weitere Punkte (2 für P9, 1 für schnellste Runde) und baute seine Führung in der Gesamtwertung aus.

Vergne und Rast im Attack-Mode-Dilemma

Von der angesprochenen Strafen-Orgie betroffen waren unter anderem Jean-Eric Vergne und Rene Rast. Der Franzose von DS Techeetah verlor nachträglich den dritten Platz an Teamkollege Antonio Felix da Costa, weil er während des Rennens den Attack Mode nur ein- statt wie vorgegeben zweimal eingesetzt hatte. Daraus resultierte eine Durchfahrtsstrafe, die nachträglich in eine 24-Sekunden-Zeitstrafe umgewandelt wurde.

Ähnlich erging es dem dreifachen DTM-Champion Rast, der wegen eines ausgelassenen Attack Mode und einer zusätzlichen Strafe wegen zu schnellen Fahrens unter gelben Flaggen nachträglich aus den Punkterängen flog. Mit Tom Blomqvist (NIO) gelang es einem dritten Fahrer nicht, den Attack Mode ordnungsgemäß einzusetzen.

Während es sich beim Fanboost um eine Zusatzleistung handelt, die freiwillig vom Fahrer (Top-5 des Online-Fan-Voting) genutzt werden kann, gilt der Einsatz des Attack als verpflichtend. Um für mehr Spannung und weniger Planbarkeit zu sorgen, gibt die FIA die genaue Verwendung des Attack Mode frühestens eine Stunde vor dem Rennstart bekannt.

Keine Möglichkeit wegen Lynn-Unfall

In Riad mussten alle Fahrer den Attack Mode demnach zweimal aktivieren, wobei sich die Zusatzleistung von 35 kW (235 kW statt der normalen 200 kW im Renn-Trim) pro Aktivierung auf maximal 240 Sekunden erstreckte. Alle Fahrer hatten dabei fünf Versuche, die drei Attack-Zone-Schleifen abseits der Ideallinie (in der Schikane auf Start/Ziel im Boden eingelassene Sensoren) korrekt zu befahren und per Knopfdruck am Lenkrad die zusätzliche Leistung freizuschalten.

Jedoch - und das wurde Vergne, Rast und Blomqvist am Samstag in Riad zum Verhängnis - darf der Attack Mode seit dieser Saison per Reglement nicht mehr während einer Full-Course-Yellow- oder Safety-Car-Phase aktiviert werden.

Das Trio hatte seine Attack Modes jeweils erst einmal genutzt, als in Folge des schweren Unfalls von Mahindra-Pilot Alex Lynn rund zwölf Minuten vor dem Rennende eine Full-Course-Yellow-Phase (10:59 Minuten Restrenndauer) und anschließend eine Safety-Car-Phase (08:55 Minuten Restrenndauer) ausgerufen wurde, bevor die Rennleitung rote Flaggen (02:41 Minuten Restrenndauer) anzeigte und wenig später das Rennen vorzeitig beendete.

So erhielten Vergne, Rast und Blomqvist gar nicht erst die Gelegenheit, ihren zweiten verpflichtend einzusetzenden Attack Mode bis zum Rennende zu 'verfeuern'. Die daraus resultierenden Durchfahrtsstrafen (nachträgliche 24-Sekunden-Zeitstrafen) warfen alle drei Fahrer im Klassement zurück und kostete Vergne (15 Punkte für P3) sowie Rast (1 Punkt für P10) wertvolle Zähler im Kampf um die Weltmeisterschaft. Der Ärger über diese Vorkommnisse hielt sich angesichts des schweren Lynn-Unfalls bei den Fahrern zumindest in der Öffentlichkeit in Grenzen.