0,128 Sekunden. Diesen Wimpernschlag trennten Maximilian Günther und Robin Frijns beim Zieleinlauf im engsten Finish in der Geschichte der Formel E. Dabei trat der niederländische Virgin-Pilot beim dritten von sechs Rennen in Berlin erst in der vorletzten Rennrunde ins Rampenlicht - das Duell des Tages führten Rennsieger Günther und der zweifache sowie amtierende Champion Jean-Eric Vergne.

In 31 von 35 Runden auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof führten Pole-Setter Vergne und Günther von Startplatz zwei das Rennen an. Von Runde zu Runde wurde das Duell intensiver, wie auch die Zahlen belegen: in den letzten 13 Umläufen auf dem 2,355 Kilometer langen Kurs (gegen den Uhrzeigersinn befahren) trennte Günther und Vergne weniger als eine Sekunde.

Die Entscheidung fiel vier Runden vor dem Zieleinlauf: Günther setzte in der 31. Runde zum Überholmanöver an und übernahm erstmals die Führung. Zu früh für den Geschmack der BMW-Strategen! Sie hätten sich den Angriff zu einem späteren Zeitpunkt gewünscht, um ein Zurückschlagen des Franzosen nach Möglichkeit zu vermeiden.

Günther: War meine Entscheidung

"Es war meine Entscheidung, das Manöver zu diesem Zeitpunkt durchzuführen", sagte Günther nach seinem zweiten Formel-E-Sieg. "Das Team wollte, dass ich länger warte. Ich hatte aber das Gefühl, dass der richtige Moment gekommen war. Ich musste es so schnell wie möglich machen, um nicht mehr Energie gegen Vergne zu verbrauchen."

Hier handelte Günther genau andersherum als beim letzten Rennen vor der Corona-Pause in Marrakesch. Ende Februar schnappte er sich erst in der letzten Runde den zu diesem Zeitpunkt Zweitplatzierten Vergne und holte P2 hinter Rennsieger Antonio Felix da Costa.

Günther gegen Techeetah

Günther gegen Techeetah: Es ist das heimliche Duell in der sechsten Saison der Formel E. Verrückt: als der Allgäuer im Januar in Santiago de Chile seinen ersten Sieg für BMW feierte, setzte er sich ausgerechnet in der letzten Rennrunde gegen Felix da Costa, seinen direkten Vorgänger beim Münchner Werksteam, durch.

Warum Günther in Berlin auf einen Showdown in der letzten Runde verzichten wollte? "Es war hier nicht wie in Marrakesch, wo ich bis zur letzten Runde warten konnte." Diesmal mischte sich nämlich Frijns ein, der mit einem Energie-Vorteil heranflog, den strauchelnden Vergne in der vorletzten Runde passierte, dann Jagd auf Günther machte - und um nur 0,128 Sekunden scheiterte.

"In der letzten Runde hatte ich das Gefühl, dass der Kerl hinter mir noch ziemlich viel Energie über hat", sagte Günther. "Ich wusste, dass ich alle Türen zumachen muss. Das hat geklappt. Es war perfekt getimed. Ich konnte Vollgas bis zum Überqueren der Ziellinie fahren."

Hier verlor Max Günther nur kurzzeitig Platz 2 an Jerome D'Ambrosio im roten Mahindra, Foto: LAT Images
Hier verlor Max Günther nur kurzzeitig Platz 2 an Jerome D'Ambrosio im roten Mahindra, Foto: LAT Images

Knackpunkt: Attack Mode

Der Knackpunkt im Rennen bei Temperaturen um die 34 Grad und einem über Nacht niedriger angesetzten Mindestreifendruck seitens Michelin (1,3 statt 1,4 bar) war die 23. Runde. Vergne hatte soeben zum zweiten Mal den Attack Mode aktiviert, dabei jedoch zu viel Zeit liegen lassen. Günther, der einen Umlauf zuvor die Schleifen in der Attack Zone überfahren hatte (07, Sekunden schneller als Vergne), machte in dieser Runde mit seinen 235 kW (statt 200 kW im normalen Rennmodus) ganze 1,6 Sekunden gut!

Dass Vergne auch noch Probleme mit seinem Auto bekam, half dem Franzosen nicht. "Während des Attack Mode habe ich sehr viel Energie verloren", sagte er. "Wir glauben, dass mein Regen-Pedal nicht ordentlich funktioniert hat. Deshalb konnte zum Ende hin nicht mehr kämpfen."

Frijns und die eine Runde...

Um nach der schwachen Performance bei den ersten beiden Berlin-Rennen nicht auch noch den Podestplatz zu gefährden, wehrte sich Vergne nicht nennenswert gegen Frijns - und brachte dadurch Günther noch mehr in die Bredouille.

Der Grund: Frijns vertrat nach Rennende die Meinung, dass er seine Energie nicht optimal genutzt habe: "In den letzten sieben, acht Runden hat das Team gesagt, dass ich zwei Prozent mehr Energie habe als die anderen Fahrer. Ich hätte wohl eine Runde früher pushen spllen als ich es getan habe. Das könnte am Ende gefehlt haben."

Günther Zweiter in Tabelle - Titel-Zug wohl abgefahren

So rettete sich Günther mit kaum noch verbleibender Energie über den Zielstrich und erzielte seine ersten Punkte bei der großen Rennwoche in Berlin. Trotz der beiden Nullrunden rückte er mit dem Sieg auf den zweiten Platz in der Gesamtwertung nach vorne.

Der Titel-Zug dürfte allerdings abgefahren sein: Spitzreiter Felix da Costa machte mit Platz vier weiter Boden gut und hat nun 137 Punkte auf dem Konto. Bei noch 90 zu vergebenen Punkten in den nächsten drei Berlin Rennen (Sonntag, Mittwoch, Donnerstag, jeweils ab 19:00 auf Eurosport 1) beträgt der Vorsprung auf Günther 68 Zähler.

Plausch unter der Maske: Günther und Vergne im zuschauerlosen Berlin, Foto: LAT Images
Plausch unter der Maske: Günther und Vergne im zuschauerlosen Berlin, Foto: LAT Images

Herzschlag wie... keine Ahnung!

Nach den Problemen beim ersten Doppel-Rennen dürfte die Meisterschaft bei BMW - und allen Fahrern mit Ausnahme von Felix da Costa - ohnehin keine Rolle mehr in den Überlegungen gespielt haben. Was bleibt, ist der zweite Heimsieg eines deutschen Fahrers nach Daniel Abt, der 2018 in der Hauptstadt triumphierte.

Günther freudestrahlend: "Es ist ein unglaubliches Gefühl, das Heimrennen zu gewinnen. Es macht mich sehr stolz, das erleben zu dürfen. Mein Herz hat geschlagen bis zur letzten Runde wie... keine Ahnung, es war einfach sehr intensiv. Diesen Sieg werde ich nie vergessen!"