Nimmt man Red Bull aus der Gleichung, dann war der Japan-GP ein Thriller: Unterschiedliche Strategien und zahlreiche Überholmanöver auf der Strecke machten das Rennen hinter Max Verstappen und Sergio Perez richtig unterhaltsam. Ferrari, McLaren, Mercedes und Fernando Alonso sorgten für reichlich Action und Abwechslung. Das Gesprächsthema nach dem GP war die gescheiterte Einstopp-Strategie bei Mercedes: Was war beim einstigen Dauerweltmeister los?

Warum gingen Mercedes die Reifen im ersten Stint so ein? War die Strategie so schlecht, wie sie aussah? Und: Warum konnte Ferrari die Mercedes-Strategie ohne Probleme durchziehen? Motorsport-Magazin.com analysiert das spannende Rennen in Suzuka - nämlich das hinter den Red Bulls.

Startcrash erzeugt große Verlockung für Mercedes

Als das Rennen nach der Startkollision zwischen Daniel Ricciardo und Alexander Albon unterbrochen wurde, witterte Mercedes die große Chance: Im Gegensatz zu Red Bull und Ferrari hatte man noch zwei Sätze der harten Reifen auf Lager. Weil man auf den Medium gestartet war, bedeutete das, dass man das ganze Rennen nach dem Restart auf den harten Reifen fahren durfte - wenn man es denn wollte.

Mercedes wollte das auch, denn der Suzuka International Racing Course zählt zu den Reifen-mordendsten Strecken des Formel-1-Kalenders. Auf kaum einer Strecke sind die lateralen Kräfte so hoch wie auf den 5,807 Kilometer in Form einer Acht.

"Nach der roten Flagge haben wir uns für den harten Reifen entschieden, weil wir das Gefühl hatten, dass von hinten keine große Gefahr drohte, und das war der beste Weg, um etwas anderes auszuprobieren", erklärte Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin. Abgesehen von Fernando Alonso (Soft) starteten alle direkten Konkurrenten auf den Medium-Pneus.

Die Reifenstrategie der Formel-1-Fahrer beim Großen Preis von Japan 2024 in Suzuka
Die Strategien im Japan-GP, Foto: Pirelli

Das erste Problem trat für Mercedes schon am Restart auf: Mangels Grip auf den harten Reifen verloren beide Piloten je eine Position. Lewis Hamilton musste Charles Leclerc durchwinken, George Russell Yuki Tsunoda.

Der Platzverlust Hamiltons gegen Leclerc war besonders bitter, weil der Ferrari-Pilot ein direkter Konkurrent war. Tsunoda konnte Russell schon in Runde fünf wieder einkassieren. Von da an fuhren die beiden Mercedes im Formationsflug hinter Leclerc her.

Mercedes zahlt erste Strategie-Strafe schon beim Start

Weil Fernando Alonso auf Rang fünf auf den Soft-Reifen das Feld hinter Carlos Sainz etwas aufhielt, blieben die Verfolger eng zusammen. Bewegung kam erst rein, als Lando Norris in Runde elf vorne die erste Boxenstopp-Sequenz eröffnete. Teamkollege Oscar Piastri zog eine Runde später nach, wiederum eine Runde später kam auch Fernando Alonso.

Von da an hatte Charles Leclerc freie Fahrt - und wusste die auch zu nutzen. Obwohl es bei Mercedes in Runde 14 zum freiwilligen Platztausch gekommen war - Hamilton hatte selbst eingesehen, dass Teamkollege Russell schneller war - konnte man das Tempo von Leclerc nicht mitgehen.

Das waren für Mercedes gleich doppelt schlechte Nachrichten: Eigentlich hätte man auf den harten Riefen zu diesem Zeitpunkt schon einen Vorteil gegenüber Leclerc auf Medium haben sollen. Doch während der Ferrari-Pilot seine Pace in freier Fahrt trotz Reifenabbau anziehen konnte, wurden die Mercedes-Piloten langsamer.

Dann kam eins zum anderen: Nach und nach wurden die Mercedes von den Piloten überholt, die schon beim Boxenstopp waren. Dabei verloren Hamilton und Russell im Übermaß Zeit. In Runde 22 zog man die Reißleine: Russell kam als erster der beiden Silberpfeile und holte sich einen frischen Satz der harten Reifen ab. Eine Runde später kam auch Hamilton.

Der Zeitpunkt war nicht ideal: Für eine Einstopp-Strategie kam der Reifenwechsel zu früh - auch wenn andere Piloten zeitlich an die Box kamen und die Strategie durchzogen. Mercedes, hätte den Vorteil von zwei frischen Sätzen Hard aber besser ausnutzen müssen, um die Strategie zu maximieren. Durch den lediglich 20 Runden langen Auftakt-Stint wäre der zweite Stint 31 Runden lang gewesen. Eine so ungleichmäßige Verteilung der Stintlängen auf identischen Mischungen ist selten eine gute Idee bei solch starkem Reifenabbau.

Ferrari zieht Medium-Stint länger als Mercedes Hard-Stint

Hier lag der große Unterschied zu Leclerc: Der Ferrari-Pilot konnte die Medium-Reifen noch bis Runde 26 am Leben halten. Zwar verlor auch er am Ende des Stints viel Zeit, weil er von Sergio Perez eingeholt wurde und dabei einen Fehler machte, ganz so schlimm wie bei Mercedes war der Zeitverlust aber nicht. Und gleichzeitig konnte er sein Rennen gleichmäßiger einteilen.

Bei Mercedes war das Kind hingegen am Ende von Stint eins schon in den Brunnen gefallen. "In diesem Moment war klar, dass aufgrund der Reifen eine Ein-Stopp-Strategie für uns nicht realisierbar war", weiß auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Deshalb sah Mercedes während des zweiten Stints auch einigermaßen rechtzeitig ein, dass es besser war, auf eine Zweistopp-Strategie zu wechseln.

Russell bekam in Runde 37 Medium-Reifen aufgezogen, Hamilton in Runde 39. "Wir hatten einen schwierigen ersten Stint, aber nach dem ersten Stopp sah unsere Pace im Vergleich zu den Fahrern vor uns konkurrenzfähig aus", freute sich Russell. Am Ende konnte er noch zu Alonso und Piastri aufschließen, den McLaren-Piloten überholte er in der letzten Runde sogar.

Mercedes feiert Rennen nach 1. Stint - zurecht?

Bei Mercedes sah man das Rennen abgesehen vom ersten Stint später durchwegs positiv. "Unser zweiter und dritter Stint waren schnell und ähnelten denen vor uns, die um das Podium kämpften", meinte Toto Wolff. "Ein schwacher erster Stint hat uns heute allerdings gekostet, und wir müssen herausfinden, warum das so war."

Ein Erklärungsansatz sind die Temperaturen. Zu Beginn des Rennens stieg die Asphalttemperatur auf 39,9 Grad Celsius - Höchstwert an diesem Wochenende. Am Rennende war der Asphalt 8 Grad kühler. Für die sensiblen Pirelli-Pneus ist das eine Welt.

Formel 1, Japan, Temperaturen, Rennanalyse
Der Temperatur-Verlauf in Japan, Foto: Pirelli

Bei Lewis Hamilton kommt noch ein anderer Erklärungsversuch: Beim Restart hatte er sich seinen Frontflügel minimal beschädigt. Das allein kann die desolate Performance im ersten Stint aber nicht erklären - zumal der Rekordsieger der Formel 1 im letzten Stint auf Touren kam, der Frontflügel aber nicht gewechselt wurde.

Eine Erklärung könnte auch sein, dass die anderen Stints gar nicht so gut waren, wie Mercedes behauptet. Blickt man auf die Zeiten, sehen sie in Relation zur Konkurrenz deutlich konkurrenzfähiger aus. Mercedes hatte aber auch ein recht großes Reifen-Offset. Sprich: Der Reifen-Nachteil am Ende des ersten Stints sorgte für einen Reifen-Vorteil später. Deshalb ist die Mercedes-Pace dann sogar mit der Verstappen-Pace vergleichbar.

Piastri holte sich in Runde 32 zum letzten Mal frische Reifen, Russell in Runde 37. Dazu wurde der McLaren-Pilot vom deutlich langsameren Alonso aufgehalten. Dazu hatte Mercedes am Ende die Medium-Reifen aufgezogen, als sie ihren Vorteil am besten ausspielen konnten: Das Auto war leichter, die Temperaturen waren niedriger.

Wahrscheinlich war es die Addition verschiedener Faktoren, die dazu führten, dass der erste Stint so schlimm und die Stints zwei und drei so gut aussahen: Starker Reifenverschleiß zu Beginn des Rennens, verstärkt mit Zweikämpfen am Ende des Stints. Wie schlecht die Zeiten am Ende von Stint eins waren, zeigt der direkte Vergleich mit Williams: Selbst Logan Sargeant war zeitweise auf gleichwertigen Reifen auf Mercedes-Niveau. Das Leiden im ersten Stint vereinfachte dann das restliche Rennen - nur die verloren Zeit konnte man eben nicht mehr reinholen.