Ein weiteres Rennen, ein weiteres Desaster für Mercedes. Besonders für Lewis Hamilton. Nachdem er sich an den ersten beiden Tagen des Japan-Wochenendes trotz fehlender Pace zumindest noch über eine gute Balance gefreut hatte, geriet das Rennen völlig aus den Fugen. Statt Fortschritt blieb es bei den Plätzen sieben für George Russell und neun für Hamilton. Diesmal war es nicht bloß das Auto, sondern die Strategie-Abteilung.

Mercedes spielte nämlich nach dem Abbruch des Rennens in der ersten Runde Reifen-Roulette. Beide Fahrer waren eigentlich auf Medium losgefahren. Die rote Flagge eröffnete jedoch eine interessante Gelegenheit: Jetzt konnte man die eine Runde alten Medium gratis abnehmen, und in der Theorie (und im Rahmen der Regeln) mit zwei Hard-Stints das Rennen beenden. De facto also eine Hard-Hard-Einstopp.

So viel zur Theorie. In der Praxis geriet der erste der zwei Hard-Stints völlig außer Kontrolle. Zuerst einmal fielen Hamilton und Russell beim zweiten Start von den Plätzen sieben und neun auf acht und zehn zurück, weil die Konkurrenz mit weicheren Reifen viel mehr Grip hatte.

Hamilton-Schaden macht Start für beide Mercedes zur Hölle

Russell hatte nach einem Verbremser in der ersten Kurve nur einen Platz an Yuki Tsunoda verloren und holte sich den schnell wieder. Hamilton hingegen wurde außen in Kurve drei von Charles Leclercs Ferrari überholt, ein viel stärkerer Gegner. Dabei rutschte der Mercedes auch noch in Leclercs linkes Hinterrad. Dabei ging das Diveplane an seiner rechten Frontflügel-Endplatte zu Bruch.

Der beschädigte Frontflügel von Lewis Hamilton im Japan-GP
Der Schaden am Diveplane von Lewis Hamiltons Frontflügel, Foto: LAT Images

"Ich hatte massives Untersteuern im ersten Stint, bekam das Auto überhaupt nicht durch die Kurven", ärgert sich Hamilton später. Er vermutet den Schaden dahinter, fest stehen dessen Auswirkungen noch nicht. Erst recht im Angesicht der Tatsache, dass auch Russells erster Hard-Stint ein völliges Desaster war. "Wir haben vielleicht die Reifen übergemanagt, und hatten einen grauenvollen ersten Stint", analysiert Teamchef Toto Wolff nach dem Rennen.

Schlimmer noch: Der angeschlagene Hamilton war jetzt vor dem schnelleren Russell und hielt den bis Runde 14 auf. Von sich aus brachte Hamilton die Teamorder ins Spiel, und winkte Russell schließlich vorbei. Viel schneller konnte Russell danach nicht. Die beiden mussten in den Runden 22 und 23 bereits stoppen - zu früh, um mit dem zweiten Hard-Satz durchzufahren. In Runde 37 gab Russell auf, in Runde 39 Hamilton. Beide wechselten für einen Schluss-Sprint auf Medium.

Russell jagte wenigstens Oscar Piastri noch Platz sieben ab, Hamilton blieb auf Platz neun hängen. "Der Hard-Reifen war richtig schlecht", klagt er. Bitter für Mercedes, die auf den Hard gesetzt hatten und dafür in den Trainings Medium opferten. Nur einen Satz der mittleren Mischung hatten beide Fahrer im Rennen noch übrig. "Rückblickend hätten wir wohl zwei Medium gebraucht", rügt Hamilton. "Aber generell war das Auto einfach ziemlich schlecht heute."

Toto Wolff träumt vom Podium: Was ging bei Mercedes wirklich schief?

Dass die Strategie falsch war, steht außer Frage. Aus den Plätzen sieben und neun im Qualifying hatte Mercedes sieben und neun im Rennen gemacht. "Das ist ganz klar nicht gut, und jeder weiß das", spricht Toto Wolff Klartext. Erst recht, da der von Platz acht losgefahrene Charles Leclerc mit einer Medium-Hard-Einstopp sich den vierten Platz erkämpfte. Mehr zu seinem Rennen gibt es hier:

Hatte Mercedes überhaupt die Pace, um ein Leclerc-ähnliches Rennen durchzuziehen? Laut Wolff sei nur der erste Stint das Problem gewesen, er kann sich eine Podiumschance durchaus vorstellen: "Der zweite und dritte Stint waren sehr wettbewerbsfähig, sobald wir praktisch getan haben, was die anderen getan haben. Das hätte komplett anders ausgesehen."

Stellt sich nur die Frage, woran dieser Unterschied wirklich lag. Im Rennen war es deutlich heißer als in den Trainings, und Hitze war oft ein Problem des Autos - doch Wolff kann sich diese Stint-für-Stint-Schwankungen damit nicht erklären: "Es waren drei Grad Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Stint."

Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton im Parc Ferme
Ein weiteres hartes Rennen für Lewis Hamilton, Foto: LAT Images

Wolff sieht es eher im Rennverlauf: "Der Versuch, es für eine Einstopp in die Länge zu ziehen, viel Zeit mit Überholmanövern zu verlieren." Denn die Zweistopper tauchten nach ihren ersten Reifenwechseln schnell im Rückspiegel von Russell und Hamilton auf. Ihre Attacken brachten die Mercedes aus dem Tritt und sabotierten die Sparpläne zusätzlich.

Der größte Fehler könnte rückblickend also darauf zurückzuführen sein, dass man Russell nicht sofort an einem angeschlagenen Hamilton vorbeiwinkte. Wolff versteift sich darauf, Japan mit positiver Einstellung zu verlassen: "Wir haben auf jeden Fall einen großen Schritt vorwärts gemacht, wenn es darum geht zu verstehen, wie wir das Auto fahren wollen. Letztes Jahr war das eine unserer schlechtesten Strecken, und jetzt waren wir recht nah an der Spitze, abgesehen von Max [Verstappen]."