Keine Frage, die Formel 1 ist der falsche Platz, wenn man nach stets sauberem Motorsport sucht. In der Königsklasse geht es auf so hohem Niveau um so viel, dass man sehr weit kommen kann, wenn man zu einem kurzen Griff in den Dreck bereit ist. Das ist mit viel Risiko verbunden - wer erwischt wird, dem drohen Strafe, Ächtung, Kritik, siehe Fernando Alonso in Australien. Motorsport-Magazin.com wirft einen Blick auf die schmutzige Seite der Formel-1-Taktik. Was sind die cleversten fragwürdigen Tricks?

Alonso in Australien macht's vor: Statt früh zu früh bremsen

Jüngster Stein des Anstoßes: Fernando Alonsos Australien-Manöver. Alonso rechtfertigte sich mit Verweis auf ein paar geflügelte Racing-Worte: "Slow in, fast out." Wer langsamer in die Kurve fährt, kann das Auto am Kurvenausgang leichter geradestellen und bekommt dadurch bessere Traktion.

Vorteilhafter Nebeneffekt: Der Fahrer dahinter muss auf die dadurch ungewöhnliche Linie reagieren. Der Fall Alonso in Australien zeigt, wie der Trick auf die Spitze getrieben wird, um diesen Nebeneffekt vielleicht gar zum Haupteffekt zu machen. Indem man "slow in" so langsam hochstilisiert, dass es fast zu einem "Brake-Check", zu Deutsch Bremstest, ausartet. Das ist Bremsen direkt vor dem Verfolger, um ihn zum Bremsen oder Ausweichen zu zwingen.

Alonso vs. Russell: Fieser Trick oder abgezockt? (25:40 Min.)

Ein klassischer Bremstest soll oft den Hintermann in eine Situation eines möglichen Unfalls bringen. Auf der Geraden ist das mehr als nur ein dreckiger Trick, sondern ohne Frage gefährlich, oft ein Durchbrennen der Sicherungen. Tut man es aber mit Umsicht in der Anbremszone, erkauft man sich damit die Möglichkeit, es abzustreiten. Solange man es nicht wie Alonso falsch einschätzt und dann sogar wieder beschleunigen muss, um eine mögliche Kollision zu vermeiden.

Verstappen vs. Hamilton eskaliert: DRS-Spielchen wird Bremstest

Beliebiges Verlangsamen auf der Geraden ist also inakzeptabel, so weit, so gut. Eine einzelne Form davon wurde jedoch im letzten Jahrzehnt in der Formel 1 salonfähig. Es ist das DRS-Spielchen. Berühmt wurde es durch Lewis Hamilton und (wieder) Fernando Alonso 2013 in Kanada. Beide Fahrer verlangsamten dort auf dem Weg zum DRS-Messpunkt immer und immer weiter. Ziel: Dem Gegner kurz die Führung überlassen. Dadurch ist man zwar hinten, aber hat auf der nächsten Geraden den DRS-Vorteil.

Hamilton fährt auf Verstappen auf, Foto: Red Bull
Hamilton fährt auf Verstappen auf, Foto: Red Bull

Das DRS-Spielchen kann fair gespielt werden, solange man nebeneinander auf den Messpunkt zufährt. Charles Leclerc gegen Max Verstappen in Saudi-Arabien 2022 ist ein weiteres Beispiel. Verstappen gegen Hamilton 2021 am selben Ort ist ein Beispiel, wie es ausarten kann. Hamilton entschied, nicht auszuscheren, woraufhin ein nach mehreren vorangegangenen Konfrontationen bereits frustrierter Verstappen immer weiter verlangsamte, schließlich auf die Bremse trat. Aus dem DRS-Spielchen wurde ein Bremstest. Verstappen kassierte dafür 10 Strafsekunden.

Michael Schumacher, der Meister des versteckten Blocks

Verhalten auf Geraden ist im Motorsport ein wichtiges Thema. Zwei Grundsätze gibt es: Nur einen Richtungswechsel zum Verteidigen. Und dieser darf auf keinen Fall eine Reaktion auf den Angriff des Hintermanns sein - solche reaktiven Blocks sind verboten. Der Trick ist hier, eine Grauzone auszuloten. Den Richtungswechsel langsam, aber stetig durchzuführen. Damit den Hintermann in eine vermeintliche Lücke auf der Innenbahn locken. Und dann einfach weiter nach innen ziehen, bis der Hintermann zurücksteckt.

Wie Alonsos Verlangsamen in der Bremszone erlaubt der Trick-"Block" das Abstreiten. Der Richtungswechsel war ja noch nicht abgeschlossen. Michael Schumacher war Meister darin. 2000 versuchte er so die Attacken des schnelleren Mika Häkkinen in Spa abzuwehren, ehe der Finne ihn dank eines Überrundeten kurz darauf außen mit einem berühmtesten Manöver der F1-Geschichte überrumpelte. Gefährlich wird es, wenn der Angreifer sich bereits auf Höhe des Hinterrades befindet. Und erst recht, wenn neben der Strecke eine Mauer ist.

Mika Häkkinen erklärt mittels Handzeichen Michael Schumacher seine Unzufriedenheit mit einem Manöver
Häkkinen und Schumacher 2000 in Spa, Foto: LAT Images

Berühmtes Beispiel ist dafür Ungarn 2010, als Schumacher seinen ehemaligen Teamkollegen Rubens Barrichello immer weiter zur Seite und schließlich fast in die Boxenmauer drückte. "Dafür sollte er die schwarze Flagge kassieren!", zürnte Barrichello. 10 Plätze Grid-Strafe für das nächste Rennen waren die Folge.

Der absichtliche Qualifying-Fehler in Monaco

Generell ist man bei Michael Schumacher an der richtigen Stelle. Eine andere Art von Trick packte er 2006 im Qualifying von Monaco aus. In den entscheidenden Minuten von Q3 lag er in Führung, doch die Konkurrenz war auf schnellen Runden. Daraufhin beging er in der langsamen Rascasse einen "Fehler", kam kurz vor der Wand zum Stehen und würgte dann letztendlich den Motor ab. Nach Untersuchung entschieden die Stewards auf Absicht: Kein Grund für sein starkes Bremsen. Boxengasse statt Pole.

Schumachers Monaco-Fehler hatte Konsequenzen, Foto: LAT Images
Schumachers Monaco-Fehler hatte Konsequenzen, Foto: LAT Images

So ein "Fehler" lockt trotz der möglichen Folgen. 2014 rutschte Nico Rosberg auf der entscheidenden Runde in Mirabeau in den Notausgang, die gelben Flaggen ruinierten Lewis Hamiltons Runde. 2022 experimentierte Sergio Perez in Portier mit dem Gaspedal, verunfallte und blieb in der Startaufstellung vor Max Verstappen. In keinem der Fälle wurde je Absicht nachgewiesen. Forderungen danach, dass einem Fahrer, der einen Abbruch auslöst, die schnellste Qualifying-Runde gestrichen werden soll, kam die FIA bislang nicht nach.