Zandvoort war der Endgegner der Formel-1-Stategen. Zwei plötzliche Schauer überraschten das Feld zu denkbar ungünstigen Zeitpunkten, und sorgten vor allem für Bedingungen, die nicht immer mit dem Wetterbericht übereinstimmten. Fahrer und Boxenmauer mussten perfekt zusammenarbeiten - oder brauchten Glück.

Das schaffte nicht jeder. Die große Renn-Analyse von Motorsport-Magazin.com klärt die Rahmenbedingungen. Wieso Haas und Alpine die die Strategie-Könige aussahen, während Mercedes und McLaren ein Desaster sondergleichen fabrizierten.

Keiner schafft die perfekte Zandvoort-Strategie

Zuerst müssen wir uns die Frage stellen: Was war die perfekte Strategie in Zandvoort? Antwort: Auf Soft starten, nach der ersten Runde sofort auf Intermediates wechseln, dann in Runde neun zurück auf Soft. Je nach Lage dann zwei Stints auf Soft zur Überbrückung bis zum nächsten Regenschauer, dann möglichst nah an 16:26 Uhr Ortszeit (zwischen Runde 59 und 60) wieder auf Intermediates wechseln.

Perfekt exekutieren konnte das niemand. Das erste Problem war der Wetterbericht. Erwartet wurde direkt nach dem Start zwei Minuten starken und eine Minute schwachen Regen. Auf dem Papier - oder Regenradar - las sich das nicht nach genug Wasser für einen Wechsel auf Intermediates. In der Realität hielt sich der Schauer hartnäckig sieben Minuten lang.

Die Reifen-Strategien aller Fahrer in Zandvoort
Alle Reifenwechsel aller Fahrer in Zandvoort, Foto: Pirelli Sport

Das zweite Problem war die Interaktion zwischen Fahrer, Ingenieur und Strategen. Letztere haben keinen Einblick, wie nass es wirklich ist, aber ersterer weiß nicht, wie das Wetterradar aussieht. Einer muss sich durchsetzen. Manche Fahrer beharrten auf Reifenwechsel, andere fügten sich den Ingenieuren.

Haas spielt Roulette mit beiden Autos: Einer muss gewinnen

Besonders die erste Sequenz zwischen der ersten und der 14. Runde war kritisch. Eine Minute konnte man mit falscher Strategie hier verlieren. Wer war also der schnellste? Die Gesamt-Zeiten geben nur bedingt Aufschluss. Zum einen variieren die Boxenstopp-Zeiten aufgrund von Chaos-Stopps extrem. Rechnet man bei allen Fahrern stattdessen mit zwei durchschnittlichen 3-Sekunden-Stopps, hat Pierre Gasly hat die beste Gesamt-Zeit, knapp vor Kevin Magnussen.

FahrerDifferenz mit 2 3-Sekunden-StoppsReale Differenz
1GASLYSchnellster0:00,390
2MAGNUSSEN0:00,3160:01,606
3TSUNODA0:04,7850:09,235
4PEREZ0:07,200Schnellster
5ZHOU0:09,4130:02,363
6VERSTAPPEN00:12,2220:04,992
7LECLERC0:13,8000:24,820
8ALONSO0:15,6820:08,742
9SAINZ0:16,9280:09,758
10LAWSON0:21,7810:31,831
11OCON0:23,4490:17,169
12PIASTRI0:24,8490:18,049
13ALBON0:29,3200:22,520
14NORRIS0:32,9960:26,406
15BOTTAS0:37,4200:30,620
16HÜLKENBERG0:38,3490:31,549
17HAMILTON0:43,3400:36,570
18RUSSELL0:57,1720:51,262
19STROLL1:09,1701:02,040
20SARGEANT1:10,8181:04,018

Zwar mag Magnussen nicht der schnellste gewesen sein, aber das liegt daran, dass der Haas wohl nicht schnell war. Auf den sechs vergleichbaren Intermediate-Runden verlor Magnussen 6,3 Sekunden auf Gasly, 4,5 auf Sergio Perez und 11,7 Sekunden auf Max Verstappen. Das und mehr gab ihm die Haas-Box mit perfekt gesetzten Reifenwechseln zurück. Damit darf sich Haas als Stratgie-Genies rühmen.

Es war eine gemeinsame Entscheidung. Magnussen war aus der Box gestartet, hatte viel Zeit, das Team bot ihm das Roulette an, er stimmte schließlich zu. Bei Nico Hülkenberg setzte man auf die Alternativ-Strategie, ohne Stopp durchzufahren. Alles half nichts: Letztendlich war das Auto zu langsam. Haas hätte durchgehendes Chaos gebraucht.

FahrerEnde L1Nach dem Schauer (L5)Im Trockenen (L14)
Hülkenberg131815
Magnussen2097

Alpine beinahe perfekt

Pierre Gasly entschied selbst auf Stopp, die Box leistete keine Gegenwehr. Beim Zurückwechseln auf Soft wartete man etwas zu lange, aber starke Pace hielt ihn das ganze Rennen über vorne im Spiel. Auch für die späteren Entscheidungen - wieder Soft in Runde 46, Intermediates in Runde 60 - kann man ihnen nichts ankreiden. Esteban Ocon war stets zweiter Fahrer in der Box, was ihm gegenüber dem Teamkollegen einen Nachteil verschaffte. Daher riskierte das Team beim starken zweiten Regenschauer Full Wets. Zu früh, eine langsame Runde warf ihn von P8 auf P11 zurück.

FahrerEnde R1Nach dem Schauer (R5)Im Trockenen (R14)
Gasly1234
Ocon151010

Red Bull & Aston Martin lieber vorsichtig

Das Leben ist für Max Verstappen viel einfacher. Er sitzt im besten Auto, und ist im Regen eben einmal zwei Sekunden schneller als alle anderen. Das verzerrt das Bild. Die Zeit, die Verstappen durch um eine Runde zu späte Stopps verlor, machte er auf der Strecke fast wieder wett. Kosten: Null Plätze, nur 5 Sekunden relativ zu Sergio Perez. Der überstimmte seinen Renningenieur in Runde 1 erfolgreich, übernahm damit die Führung. Er war aber im restlichen Rennverlauf zu langsam. Weil man bei Verstappen mit dem Wechsel auf Slicks eine Runde zu lange wartete, wurden es bei Perez zwei Runden. Auch beim zweiten Schauer in Runde 59 überraschte er die Crew, kaum dass er Regentropfen auf dem Visier sah, weshalb das Team auch nicht bereit war.

Perez im Regen von Zandvoort
Sergio Perez konnte sich nur kurz über die Regen-Führung freuen, Foto: LAT Images

Aston Martin und Fernando Alonso legten es ähnlich wie Verstappen konservativ an. Eine Runde hinter dem Optimum, aber nie wirklich zu spät. Lance Stroll ist das Musterbeispiel für zu späte Stopps. Indem er erst bis Runde 4 zuwartete und dann doch kam, wechselte er genau vor dem Ende des Schauers auf Intermediates. Fünf Runden später steckte er schon wieder um. Kosten: Über eine Minute, neun Plätze.

FahrerEnde R1Nach dem Schauer (R5)Im Trockenen (R14)
Verstappen141
Alonso362
Perez712
Stroll101919

Williams zwei Mal zu spät & einmal richtig

Williams tat das, was Stroll hätte tun müssen. Alex Albon und Logan Sargeant folgten dem Glauben der Box, dass es schnell wieder aufhören würde. Als der Regenschauer in Runde drei anhielt, blieb man stur. Das war besser. Auch wenn es Albon fast 30 Sekunden und sechs Positionen kostete. Bei Sargeant hätte man aber wohl gut getan, auf Intermediates umzustecken. Der US-Rookie war mit Slicks im Nassen überfordert und verlor über eine Minute auf das Optimum, und 42 Sekunden auf Albon.

FahrerEnde R1Nach dem Schauer (R5)Im Trockenen (R14)
Albon51411
Sargeant162020

Mercedes' strategisches Chaos: Fehler überstrahlen Comeback

Die Renningenieure ließen Lewis Hamilton und George Russell zwei Runden draußen. Das war der Punkt, an dem man wie Williams nicht mehr wechseln hätte sollen, aber am Funk wurde man nervös, und schließlich gaben die Strategen nach. Bei Hamilton war es allerdings berechtigt, dass er einen Stopp einforderte. Mit einem Start auf Medium war sein strategisches Grab im Falle eines Platzregenschauers schon im Grid ausgehoben worden.

Der Medium hielt die Temperatur im Regen nicht. Hamilton war in Runde zwei sieben Sekunden langsamer als Lando Norris auf Soft. Er musste stoppen, tat das in Runde 3. Russell wechselte in Runde 4, hätte aber mit seinen Soft durchfahren sollen. Kosten für Hamilton: Nur zwei Plätze, aber 43 Sekunden. Russell hingegen schlug in Runde 3 vor, draußenzubleiben, folgte dann in Runde 4 aber doch dem Intermediate-Ruf. Das wurde richtig teuer: 14 Plätze und 57 Sekunden.

FahrerEnde R1Nach dem Schauer (R5)Im Trockenen (R14)
Russell41618
Hamilton141316

Während Hamiltons Rennen sich beruhigte und er die eigentlich starke Pace des W14 ausspielen konnte, ging das Abenteuer bei Russell weiter. In Runde 16 zog er hinter dem Safety Car Hard auf, wohl um durchzufahren. Ein Glücksgriff war auch das nicht. Russell fehlte hintenraus der Grip. Albon und Ocon waren am Ende pro Runde über eine halbe Sekunde schneller, Hamilton über eine ganze. Mit dem Mercedes wäre bei einem Restart nur zwei Plätze hinter Hamilton mit einer Soft-Soft-Strategie im Trockenen mehr zu holen gewesen.

Anarchie bei McLaren: Du bist schneller als die mit Inters

Wie Mercedes versteifte sich McLaren zu sehr darauf, dass der Schauer schnell vorbei sein würde. Norris wurde in Runde 3 nervös. Die Kommunikation mit der Box verlief nicht optimal. Man könne stoppen, wenn es unfahrbar sei, kam es zurück. Auf Norris' Intermediate-Forderung folgte die inhaltlich offensichtlich falsche Antwort: "Du bist schneller als die mit Inters." Norris, der gerade in der letzten Kurve von mehreren Intermediate-Fahrern überholt wurde, entglitt nur ein "What the f...?" Er kam wie Hamilton nach Runde drei, verlor zehn Plätze und ungefähr 30 Sekunden.

FahrerEnde R1Nach dem Schauer (R5)Im Trockenen (R14)
Norris21212
Piastri8158

Oscar Piastri wehrte sich nicht so standhaft gegen die Anweisung der Box, und blieb auf Slicks draußen. Das spülte ihn vorbei an Mercedes und an Norris, kostete ihm aber trotzdem über 20 Sekunden. Nach dieser fahrerischen Glanzleistung verbremste er sich in Runde 15 und musste mit zwei Bremsplatten zum Stopp. Dass just in dem Moment das Safety Car kam, war zusätzliches Pech.

Alfa Romeo & AlphaTauri verwandeln Chancen nicht

In der ersten Runde, und damit goldrichtig, stoppten beide AlphaTauri und Guanyu Zhou. Nur holten sie nichts raus. Bei AlphaTauri führte der Doppelstopp zu Chaos, Stau, und zu zehn Strafsekunden für Liam Lawson, der in der Fahrbahn von Kevin Magnussen parkte. Dann ließ man Yuki Tsunoda bis zum zweiten Regenschauer durchfahren, auf den Uralt-Reifen konnte Tsunoda nichts ausrichten.

Zhou wechselte in Runde 10 von Intermediate zurück auf Medium und kam damit nicht auf Touren. Allerdings war der Alfa generell in Zandvoort kein starkes Auto. So oder so versenkte ihn Zhou im zweiten Regenguss im Reifenstapel.

FahrerEnde R1Nach dem Schauer (R5)Im Trockenen (R14)
Bottas111714
Zhou1726
Tsunoda1889
Lawson191117

Ferrari-Fahrer sind ihre eigenen Strategen

Bleibt noch Ferrari. Dort blieb es an den Fahrern hängen. Charles Leclerc traf in der ersten Runde 100 Meter vor der Boxengasse die Stopp-Entscheidung und überrumpelte seine Mechaniker. Sainz wartete eine Runde länger, dann holte er sich (diesmal vorbereitete) Intermediates, und in Runde 10 ebenfalls mit gutem Timing wieder Slicks. Für Sainz führte das zu einem passablen fünften Platz. Bei Leclerc spielte die richtige Entscheidung der ersten Runde keine Rolle, weil sein Unterboden nach einer Startkollision kaputt war und er keine Pace hatte.

FahrerEnde R1Nach dem Schauer (R5)Im Trockenen (R14)
Sainz675
Leclerc9513