Das Doppel-Podium war für McLaren zum Greifen nahe, doch nach einem späten Safety Car im Formel-1-Rennen von Silverstone stand sogar der zweite Platz von Lando Norris in Frage. Für den Briten wurden die letzten 14 Runden bis zum ersten Podium vor Heim-Publikum zur Zitterpartie. Denn McLaren hatte ihm für den Sprint ins Ziel harte Reifen gegeben, und er hatte einen siebenfachen Weltmeister mit Soft im Genick.

Das Safety Car brachte gehörig Stress in das Rennen von Norris, dessen zweiter Platz für die Konkurrenz bis dahin unantastbar gewesen war. McLaren legte es mit dem Wechsel auf Hard konservativ an. Der Verschleiß war bis dahin das ganze Rennen niedrig gewesen. Bei weniger als 20 verbleibenden Runden schienen die Soft-Reifen also wie die offensichtliche Wahl. Für einen Restart sind harte Reifen eigentlich Albtraum - erst recht, wenn der Fahrer direkt dahinter zugleich stoppt und Soft-Reifen aufzieht.

McLaren überstimmt Norris: Gefahrenzone Restart

"Ich habe ihnen ziemlich oft gesagt, sie sollen an den Soft denken", rekapituliert Norris nach dem Rennen. "Ich habe es so gut angedeutet, wie ich konnte, aber dann haben sie mir letztendlich einfach gesagt: 'Du bekommst harte Reifen.'"

"Ich weiß nicht, warum wir es nicht getan haben, so haben wir uns denke ich viel stärker unter Druck gesetzt", meint Norris. Sein Teamchef Andrea Stella verteidigt: "Ursprünglich war es ein Virtuelles Safety Car. Da waren wir happy damit, Hard aufzuziehen. Da ist das Anwärmen kein Problem. Dann wurde es zu einem Safety Car, als wir reinkamen. Alles war schon bereit für den Hard-Wechsel. Ein Wechsel zu Soft in letzter Minute wäre ein operatives Problem gewesen. Und wir dachten, das ist hier keine Strecke, wo das Anwärmen des Hard massiv anders ist als beim Soft."

"Das war das Vernünftigste und hätte vielleicht einen Platz gekostet", meint Stella. Details, die im Rennen natürlich nicht vollumfänglich bis zum Fahrer durchsickern. Norris' Laune verschlechterte sich im Cockpit rapide, als ihn sein Renningenieur vor dem Restart die Reifen der Autos rund um ihn herum durchgab. Sowohl Max Verstappen vor ihm als auch Lewis Hamilton hinter ihm hatten Soft bekommen. "Toll, toll, wundervoll, ha?", entgegnete Norris sarkastisch. Als in Runde 39 wieder freigegeben wurde, griff Hamilton sofort an.

McLaren-Stärken rettet Norris vor Hamilton

Für Norris waren die ersten beiden Runden die schlimmsten. Nicht nur, dass der Hard nicht auf Temperatur war - der McLaren ist auch mit dem neuen Update in langsamen Kurven schwierig zu fahren, und in Silverstone beginnt die Runde mit zwei langsamen Kurven-Komplexen. Anders der Mercedes: "Sie sind sehr schnell in der ersten Hälfte der Strecke, in den Kurven drei und vier, sechs und sieben. Lewis kam da locker an mich ran."

Sowohl in Runde 39 als auch in Runde 40 versuchte Hamilton anzugreifen und steckte in der langen langsamen Rechtskurve Luffield mehrmals die Nase hinein. Doch der McLaren zog hin zur Vollgas-Rechts Copse und durch die Highspeed-Passagen dahinter wieder davon. Auf der Hangar-Geraden war Hamilton nie nahe genug dran, um anzugreifen.

Hamilton und Norris kämpften in Silverstone hart, aber fair, Foto: LAT Images
Hamilton und Norris kämpften in Silverstone hart, aber fair, Foto: LAT Images

"Wir waren immer schon gut in Highspeed-Passagen, aber jetzt ist das eine richtig gute Stärke für uns", bedankt sich Norris hier beim seit Österreich stufenweise eingeführten großen McLaren-Update. "Da konnte ich mir einen Sicherheitsabstand herausfahren, den ich gebraucht habe."

Außerdem hatte Norris für das Rennen eine Abstimmung mit etwas weniger Abtrieb gewählt: "Ein kleines Risiko, aber ich dachte, es könnte heute zu einer Rennsituation kommen, wo mir ein oder zwei km/h helfen würden, und genau das ist passiert." Deshalb konnte er auf dem Weg zu Copse bereits von Hamilton wegfahren und so zweimal unterbinden, dass sich der Mercedes neben ihn setzte.

Norris feiert erstes Heim-Podium in Silverstone

Nach zwei Runden war der Spuk vorbei, die Norris-Reifen im Temperaturbereich - und der zweite Platz damit praktisch in trockenen Tüchern. Party-Stimmung herrscht danach bei McLaren. Norris sorgte schon beim Start mit vier Führungsrunden für Ekstase. Norris sieht es auch pragmatisch: "Der gute Start hat mich vor Chaos dahinter beschützt. Du weißt nie, was hinter dir passiert." Max Verstappen musste er in Runde fünf wieder ziehen lassen, aber alle anderen hatte McLaren bei freier Fahrt in Silverstone im Griff.

Norris steht zum ersten Mal in seiner Karriere beim Heim-GP auf dem Podium. Für ihn ist es wohl das beste seiner bislang sieben Formel-1-Podien: "Das ist sehr besonders, alle meinen Namen rufen zu hören. Die Fans, das Team unter dem Podium. Das erinnert mich an 2007, als ich als Fan begonnen habe zuzuschauen, mit Lewis und Fernando. Jetzt bin ich dran." Mit 42 Punkten liegt Norris jetzt auf WM-Rang neun, nur zwei Zähler hinter Lance Stroll. McLaren springt auf WM-Rang fünf vor.