Die Formel 1 befindet sich in der Saison 2022 in der Sommerpause. Grund genug für Motorsport-Magazin.com, die erste Saisonhälfte der einzelnen Teams genauer unter die Lupe zu nehmen. Heute: Williams, und damit die Frage: Was ist aus der Ausbruchstimmung in Grove geworden?

Ziel vs. Realität
Das langfristige Ziel bei Williams war nach der Übernahme des ehemaligen Familien-Rennstalles durch Dorilton Capital klar: Wieder an die glorreichen Zeiten anschließen, kurz- und mittelfristig sollte zumindest ein Aufschwung her. In der Formel-1-Saison 2021 gelang dieser sogar, doch anstatt mit dem neuen Regelpaket daran anzuknüpfen, ging es für das Traditionsteam in diesem Jahr wieder drei Schritte zurück.

Williams verzweifelt: Nur drei Punkte

Williams bildet eindeutig das Schlusslicht im Formel-1-Jahr 2022 und das sogar mit deutlichem Rückstand: Nur drei Punkte konnte Alexander Albon bislang in dieser Saison sammeln, während sein Teamkollege Nicholas Latifi noch mit leeren Taschen dasteht. Es hapert an allen Ecken und Enden: Der Reifenverschleiß und die allgemeine Performance machen Probleme, eine Serie an Unfällen zu Saisonbeginn (vor allem bei Nicholas Latifi), schwächte die Truppe rund um Teamchef Jost Capito ebenfalls. Außerdem schmerzt der Abgang von Top-Talent George Russell zu Mercedes das Team.

Entwicklung:
Wie bereits angeteasert, sieht die Entwicklung alles andere als gut aus. Letztes Jahr konnte Williams mit Risiko-Strategien pokern und unter den richtigen Rahmenbedingungen Punkte mitnehmen. 2022 konnte man zwar auch schon ein paar Zähler sammeln, aber bei sämtlichen eingefahrenen Punkten spielten Ausfälle und chaotische Rennverläufe eine Rolle.

Der zehnte Platz von Alex Albon in Australien, als er mit einem einzigen Reifenwechsel auf der letzten Runde durchkam, bewies dass auch bei Williams noch nicht alles verloren ist und die Performance nach wie vor besser ist als noch in den Jahren 2019 und 2020, aber er kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im Laufe der Saison 2022 kein wirklicher Fortschritt zu erkennen war.

Allen Upgrades zum Trotz konnte die Australien-Sensation bislang nur einmal wiederholt werden: In Miami. Seitdem wartet Williams vergeblich auf etwas zählbares. Ohne irgendwelche Chaos-Rennen sind Punkte aber nach wie vor außer Reichweite.

Das Wunder von Melbourne

Der Höhepunkt:
Highlights waren für Williams in diesem Jahr bislang rar gesät. In Miami war Albon zur Stelle, um von Kollisionen, Strafen und Ausfällen zu profitieren und konnte so zwei Punkte einfahren. In Silverstone überraschte Nicholas Latifi in einem Regen-Qualifying und zog in Q3 ein.

Doch die wohl beeindruckendste Fahrt des Jahres war jene von Albon beim Australien-GP. 55 Runden hielt der ehemalige Red-Bull-Pilot, der vom letzten Platz gestartet war, auf dem harten Reifen in Melbourne durch, ohne dass die Pneus einbrachen. Nachdem verpflichtenden Reifenwechsel wurde er für diese Fahrt mit einem Punkte belohnt.

Der Tiefpunkt:
Wo ist der Tiefpunkt für ein Team, das in der Zeitentabelle sowieso immer ganz unten zu finden ist? Ganz einfach: Dort, wo auch noch viel kaputtgeht. So geschehen beim Formel-1-Wochenende in Saudi Arabien. Bereits im Qualifying zerlegte Nicholas Latifi seinen Boliden, im Rennen warf er sein Auto dann nochmal weg. Zu allem Überfluss erreichte auch Albon das Ziel aufgrund von Unfallschäden nicht. Alles in allem ein komplett verpatztes Wochenende für Williams.

Albon top, Latifi flop

Alexander Albon:
Williams ist in diesem Jahr ein One-Man-Team. Während Latifi so desolat unterwegs ist, wie seit seinem Formel-1-Debüt 2020 nicht, muss Albon mit der begrenzten Performance des Williams FW44 die Kohlen aus dem Feuer holen. Der Thailänder sorgte in Miami und Australien für die einzigen Top-10-Ergebnisse in diesem Jahr. Auf eine Runde hat er seinen Teamkollegen locker im Griff, im Renntrimm ebenso. Insgesamt bewies Albon, dass Williams mit ihm nichts falsch gemacht hat. Das honorierte das Team auch mit einem mehrjährigem Vertrag, der in den ersten Tagen nach Beginn der Sommerpause bekanntgegeben wurde.
Gesamtnote im MSM-Fahrerranking: 2,86 (P12)

Nicholas Latifi:
Was soll man über Nicholas Latifi noch sagen? Der Kanadier ist wie schon in den vergangenen beiden Jahren klar nicht auf dem Niveau seines Teamkollegen. Die Formel-1-Fahrzeuge der 2022er-Generation scheinen ihm aber noch zusätzlich dazu, nicht zu liegen. Im Qualifying büßt er durchschnittlich 0,6 Sekunden auf Albon ein, was in modernen F1-Standards eine ganze Welt ist. Dennoch: Mit dem Q3-Einzug in Silverstone sicherte Latifi Williams die einzige Teilnahme am finalen Qualifying-Segment, auch wenn ihm dabei der Regen zugutekam. Es war bisher aber auch der einzige Sieg im Head-to-Head-Duell gegen Albon. Ob Latifi 2022 überhaupt in der Formel 1 weitermachen darf, steht noch in den Sternen. Ersatz in Form von Nyck De Vries oder Logan Sargeant stünde parat.
Gesamtnote im MSM-Fahrerranking: 4,19 (P20)

Kommentar: Williams hat nicht nur ein Latifi-Problem

Motorsport-Magazin.com glaubt, Williams hat nicht nur ein Problem aufgrund der mangelnden Pace seines zweiten Fahrers. Der Kanadier sah in der ersten Saisonhälfte schlechter aus, als er das je gegen Russell tat - und das nach zwei Jahren Formel-1-Erfahrung - doch die viel grundlegenderen Probleme verbergen sich im FW44 selbst. Die Aerodynamik macht seit Barcelona Sorgen, der Grip ist nicht ausreichend und ganz nebenbei gehen die Reifen bei den meisten Grands Prix viel zu schnell ein.

Upgrades kommen zwar, aber durchschlagende Wirkung zeigte bislang noch keines davon. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass es in der zweiten Saisonhälfte besser wird: Der Lücke zu Aston Martin und Co ist schon jetzt kaum überwindbar, vor allem wenn das Team aus Silverstone auch ab und zu etwas Zählbares mitnimmt. Vielleicht wäre es also jetzt schon langsam an der Zeit, den Fokus auf 2023 zu richten. Bis dahin hat sich womöglich auch schon das Latifi-Problem in Luft aufgelöst.