Der Große Preis von Großbritannien (Start heute 16 Uhr, live auf Sky) bescherte der Formel 1 in den Vorjahren mehrfach epochale Rennschlachten. Auch heute? Nach den bisherigen Eindrücken des ersten F1-Wochenendes im Sprintqualifying-Format deutet zumindest einiges darauf hin. Mercedes scheint auf seiner Heimstrecke Silverstone auch dank Updates rehabilitiert, doch Red Bull bleibt weiter brandgefährlich. Das bewies Max Verstappen mit seinem Konter im Sprint nach Lewis Hamiltons schnellster Runde im traditionellen Qualifying am Freitag. Die Schlüsselfaktoren zum heutigen Rennen.

Formel 1 Silverstone: S wie Startaufstellung

Die dieses Mal auf ganze besondere Weise herausgefahrene Startaufstellung ist der erste entscheidende Faktor und liefert ein zuletzt umso gewohnteres Ergebnis. Verstappen startet von der Pole Position, direkt daneben steht der Held zigtausender Fans auf den Rängen, Sir Hamilton. Den Rücken stärkt dem Briten Teamkollege Valtteri Bottas im zweiten Mercedes neben Charles Leclerc. Sergio Perez im zweiten Red Bull nimmt das Rennen nach Dreher und Rückzug im Sprint von ganz hinten in Angriff.

In der dritten Reihe trägt man Orange. Lando Norris startet vor seinem rehabilitierten Teamkollegen Daniel Ricciardo. Fernando Alonso und Sebastian Vettel bekleiden die vierte Startreihe, Esteban Ocon und Carlos Sainz komplettieren die Top-10. Erst vom zwölften Rang fährt George Russell los. Der Brite qualifizierte sich zwar in beiden Sessions jeweils in den Top-10, kassierte allerdings drei Strafplätze für das Verursachen einer Kollision mit Sainz. Mick Schumacher beginnt von P18, direkt vor Nikita Mazepin im zweiten Haas.

Formel 1 Silverstone: S wie Start

Hier sinnt vor allem einer auf Rache: Lewis Hamilton. Im Sprint verlor der Brite seinen im Zeittraining am Freitag mühsam erstrittenen ersten Platz gleich beim Herausbeschleunigen aus der Startbox wieder an Max Verstappen. Dabei ist der Weg bis zur ersten Kurve nicht einmal lang. Nur 239,4 Meter sind von Pole bis zur Anfahrt von Turn eins zurückzulegen. Gebremst wird dort nicht, das geschieht nach dem flüssigen ersten Komplex erst für Kurve drei.

Im Sprint war für Hamilton dort bereits alles lange Zeit verloren. Wheelspin am Mercedes. Ein Wheelspin, den Hamilton sich selbst nicht ankreidet. "Ich lag im Zielbereich, den du bei der Kupplung treffen musst. Es ist das Ziel, immer in diesem Bereich zu liegen und das tat ich", berichtete der 36-Jährige. "Aber aus irgendeinem Grund hat sie [die Technik] nicht geliefert." Wenn das durch einen einfachen Kniff nicht lösen ist, hat Verstappen - jetzt sogar von Pole - praktisch schon gewonnen. Zumal der Niederländer auch noch selbst als ausgesprochen guter Starter gilt.

Formel 1 Silverstone: S wie Strategie

Taktisch - auch das ist eine Folge des neuen Formats - starten diesmal alle Fahrer mit den gleichen Voraussetzungen ins Rennen. Auch die Top-10 genießen freie Reifenwahl, der Reifen der schnellsten Zeit im Q2 am Freitag zählt dieses Wochenende nicht. Damit herrschen dieselben Bedingungen wie im Sprint. Auch dort war der Startreifen frei wählbar. Gibt es wieder mutige Soft-Starter? Das erscheint auf die volle Renndistanz weitaus unwahrscheinlicher - auch wenn alle vier Versuchskaninchen des Sprints alles andere als durchgereicht wurden. Kimi Räikkönen, Fernando Alonso und Esteban Ocon nutzen sogar ihren Traktionsvorteil am Start - und wurden danach nicht ganz so viele Plätze durchgereicht, wie sie zuvor gewonnen hatten.

"Wir haben den Soft im zweiten Training probiert und da war er besser, als ich dachte", berichtet Bottas. "Es gab kein großes Risiko und ich konnte die Position ja auch behalten." Hinter Alonso beobachte Vettel - zu seinem Leidwesen - ähnliches. "Ich dachte, er würde viel mehr mit den Reifen kämpfen, aber das hat er nicht", sagte der viermalige Formel-1-Weltmeister.

Pirelli rät von einem Start auf Soft ebenfalls nicht klar ab. Eine Einstoppstrategie mit Medium-Hard geben die Italiener zwar als theoretisch schnellste Variante an, die 52 Runden auf dem Silverstone Circuit zu bewältigen, doch kommt Soft-Hard gleich danach. Allerdings sei auch das Gegenteil denkbar - starten auf der härteren Mischung, um dann einen Schlussspurt auf einer weicheren Mischung abzufeuern. Zwei Stopps, so Pirelli, seien dagegen immer klar langsamer. Zwei verschiedene Mischungen müssen eingesetzt werden, daran hat sich nichts geändert.

Formel 1 Sprint-Premiere: Was war gut, was schlecht? (15:15 Min.)

Formel 1 Silverstone: S wie Safety Car

Nicht zu unterschätzen bei der Wahl des Startreifens ist die in Großbritannien hohe Wahrscheinlichkeit für ein Safety von 80 Prozent (Trend der vergangenen fünf Ausgaben). Denn wie immer gilt: Je härter der Startreifen, desto länger lässt sich der erste Stint ausdehnen. Das offeriert nicht nur mehr taktische Flexibilität, sondern auch Reaktionsmöglichkeiten auf Bernd Mayländer. Ein Stopp unter neutralisierten Bedingungen kostet bekanntlich besonders wenig Zeit.

Formel 1 Silverstone: S wie Solokämpfer

Gewinnt Max Verstappen den Start, droht ihm dennoch großes Ungemacht. Anders als Lewis Hamilton kann sich der Niederländer in Silverstone keine Schützenhilfe gewiss sein. Sergio Perez startet am Ende des Feldes, Valtteri Bottas direkt hinter den beiden WM-Anwärtern. Das gibt Mercedes vor allem strategische alle Möglichkeiten. "Mit zwei Autos kannst du die Strategien splitten, du kannst lang gehen, du kannst versuchen, zu undercutten, du kannst versuchen zu overcutten, auf verschiedenen Reifen starten, das ist ganz klar ein großer Vorteil", sagt der seit Wochen vom Tiefstapel-Toto zum Optimismus-Wolff transformierte Mercedes-Teamchef.

Formel 1 Silverstone: S wie Sonntagswetter

Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist ein Blick auf den Wetterradar. Silverstone präsentiert sich an diesem Wochenende alles andere als England-typisch - von seiner besten Seite mit strahlendem Sonnenschein und Temperaturen weit jenseits der 20 Grad Celsius. Am Sonntag soll das Quecksilber sogar die 30-Grad-Marke reißen. Wie wirkt sich das auf das Kräfteverhältnis zwischen Red Bull und Mercedes aus? Schon am Freitag schlug das Pendel hier vom wärmeren ersten Training (klarer Vorteil Red Bull) zum kühleren Qualifying am Abend (knapper Vorteil Mercedes) in eine völlig andere Richtung aus. Ein möglicher Vorteil für die Bullen - wenn Verstappen erneut das Untersteuern kontrolliert.

Formel 1 Silverstone: S wie Sieger

Seriöse Rückschlüsse auf die Longrun-Pace lassen sich in Silverstone in diesem Jahr kaum treffen. Das neue Format sorgte in beiden Trainingssitzungen für völlig andere Herangehensweisen der Teams. Vergleichbare Werte zu gleichen Zeiten und Streckenverhältnissen auf gleichen Mischungen existieren deshalb praktisch nicht. Als einziges Indiz dient der Sprint. Hier sah es eng aus. Abhängen wie noch in Österreich konnte Verstappen Hamilton zu keinen Zeitpunkt.

"Lewis war in der Lage, die ersten Runden im DRS zu bleiben und dann eine lange Zeit innerhalb von 1,5 Sekunden", analysierte Toto Wolff am Samstagabend. "Und du hast den Vorteil auf der Geraden", ergänzt der Mercedes-Leiter. Tatsächlich: Mercedes hat hier an diesem Wochenende plötzlich wieder die Nase vorne. Weil Red Bull sich - für Verstappen - mit dem Setup vergriff. "Könnte ich noch einmal wählen, würde ich auf mehr Topspeed gehen", ärgerte sich Verstappen trotz seines Siegs im Sprintrennen.

Stellt sich der Niederländer im Rennen clever, kann er das dennoch kompensieren. "Es ist auch knifflig mit diesen Reifen durch die Kurven nah dranzubleiben", relativierte Wolff die Topspeed-Hoffnungen ein wenig. Das beste Beispiel sah man im Sprint anhand des Duells von Sebastian Vettel und Fernando Alonso. In den Esses verlor der Aston Martin Runde um Runde viel Zeit in der Dirty Air der Alpine - auf der Hangar-Straight war so nie an ein Überholmanöver zu denken, zu groß war der Rückstand.

Deshalb geht Mercedes davon aus, es eher taktisch lösen zu müssen - mit den oben genannten Vorteilen zweier Autos. Sei man einmal vorne, könne man auch gewinnen, glaubt Wolff: "Wenn Lewis am Anfang die Position gehalten hätte, wäre es ziemlich genau dasselbe Rennen gewesen - nur mit einem Mercedes vorne. Das heißt, dass wir die gleiche Performance haben".

Genau diesen Schlachtplan hat sich auch Hamilton bereits zurecht gelegt. "Wenn wir irgendwie mithalten können in den Stints, können wir vielleicht über die Strategie Druck machen. Aber wir werden nicht in der Lage sein, sie [Red Bull] auf der Rennstrecke zu überholen. Sie sind einfach zu schnell, also müssen wir auf Zeit spielen", sagte der Weltmeister über seine Lehren des Sprints.