Seit 2006 ist Franz Tost Teamchef von AlphaTauri (ehemals Toro Rosso). In 14 Jahren hat er beim in Faenza viele Änderungen mitgemacht: Die Motorenpartner Cosworth, Ferrari, Renault und Honda, die Umbenennung, zahllose Fahrerrochaden und ein Hin und Her bei Kundenautos. Motorsport-Magazin.com macht mit ihm die Bestandsaufnahme 2020.

Dieses Interview erschien in der 75. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 29. Oktober 2020.

Honda hat bekanntgegeben, Ende 2021 aus der Formel 1 auszusteigen. Welche Auswirkungen hat das auf AlphaTauri?
Franz Tost: Kurzfristig keine groben. Sie sind bis 2021 weiterhin bei uns und sie wollen nächstes Jahr mit einem verbesserten Power-Unit-Aggregat kommen. Langfristig wird sich das natürlich sehr wohl auswirken, aber da kann ich momentan auch noch keine detaillierte Auskunft geben, weil wir einfach selbst noch nicht wissen, in welche Richtung das Ganze geht. Es gibt bei den Power-Unit-Herstellern derzeit Mercedes, Ferrari und Renault - und da müssen wir schauen, ob es da noch eine Möglichkeit einer möglichen weiteren Zusammenarbeit mit Honda gibt. Da werden momentan verschiedene Fakten analysiert und dann wird man sehen, welches Ergebnis rauskommt.

Welche dieser Varianten ist ihr persönlicher Favorit?
Franz Tost: Am liebsten ist mir, die beste und stärkste Power Unit zu bekommen. Von wem das ist mir dann wurscht [lacht].

Also sehen wir dann einen AlphaTauri-Mercedes?
Franz Tost: Das muss nicht unbedingt sein. Bei Honda fehlt nicht viel und Renault ist auch nicht so weit weg. Die haben in diesem Jahr gewaltige Fortschritte gemacht und alles andere wird man dann sehen.

Franz Tost ist seit den ersten Tagen von Toro Rosso der Teamchef des Rennstalls aus Faenza, Foto: Sutton
Franz Tost ist seit den ersten Tagen von Toro Rosso der Teamchef des Rennstalls aus Faenza, Foto: Sutton

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass wir eine Red-Bull/Honda-eigene Lösung sehen?
Franz Tost: Dazu kann ich momentan keinen Prozentsatz angeben, diese Entscheidung ist noch sehr frisch. Da muss man jetzt einmal alles analysieren und sich genau überlegen was für Red Bull Racing und AlphaTauri das Beste ist. Das dauert noch.

Ausstieg von Red Bull und AlphaTauri möglich

AlphaTauri und Red Bull sind zwei sehr gut finanzierte, stabile Teams. Läuft die Formel 1 nun Gefahr, diese Teams zu verlieren?
Franz Tost: Das ist nicht auszuschließen, weil eines klar ist: Mateschitz und Red Bull stehen für Erfolg und wenn zumindest einmal Red Bull nicht in der Lage ist, Rennen zu gewinnen und um die Weltmeisterschaft mitzufahren, weil die entsprechenden Zutaten fehlen - sprich weil es keine ordentliche Power Unit gibt, die man bekommen kann -, dann ist das Szenario nicht aus der Welt, dass der Mateschitz sagt: "Was soll das? Wir können nicht um Siege mitfahren und die Formel 1 geht in eine falsche Richtung." Das schließe ich nicht aus.

Ist das Risiko für AlphaTauri vielleicht sogar noch größer als für Red Bull?
Franz Tost: Es ist für beide ein großes Risiko, also für AlphaTauri genauso, weil wir ja die Synergien mit Red Bull Racing haben und wir hätten kurzfristig gar nicht die Infrastruktur das alles selbst zu machen, das ist ein langwieriger Prozess.

Wie geht es Ihnen persönlich mit der Entscheidung für Honda? Sie waren ja von Anfang an in das Projekt involviert.
Franz Tost: Eingefädelt hat es Dr. Marko. Aber wir hatten von Anfang an ein sehr, sehr gutes Verhältnis mit Honda. Ich kann mich noch an das erste Meeting erinnern, das wir mit dem Präsidenten Hachigo-san hatten und wie er mich gefragt hat, wie die Erwartungshaltung ist. Ich habe ihm versprochen: A: 2018 wird kein leichtes Jahr werden, aber spätestens 2019 wird er mit Red Bull Racing Rennen gewinnen. In Suzuka wird ein japanischer Fahrer bei uns das Freie Training fahren. Das haben wir auch eingehalten mit dem Naoki [Yamamoto], und drittens, dass Red Bull Racing in den nächsten Jahren um die Weltmeisterschaft mitfahren wird. Da haben wir noch bis 2021 Zeit, um dieses Versprechen einzuhalten.

Naoki Yamamoto bestritt 2019 ein Freies Training in Suzuka für Toro Rosso, Foto: LAT Images
Naoki Yamamoto bestritt 2019 ein Freies Training in Suzuka für Toro Rosso, Foto: LAT Images

Ich persönlich finde das wahnsinnig schade. Unser Team hatte nie einen besseren Motorenpartner, wir haben eine wirklich ganz tolle Zusammenarbeit mit Honda und ich finde es auch deshalb so bedauerlich, weil Honda jetzt wirklich auf einem Weg nach vorne ist. Sie haben dieses Jahr, was die Leistung des Motors anbelangt, große Fortschritte gemacht, sind nicht mehr so weit weg von Mercedes und ich denke, dass da noch einiges an Potenzial in diesem Motor drinsteckt. Und genau jetzt, wo sie eigentlich die Früchte ernten sollten, haben sie sich entschieden, auszusteigen. Das ist natürlich eine Entscheidung, die von uns voll respektiert wird und wir freuen uns auch den Rest dieser Saison und nächstes Jahr mit Honda zusammenzuarbeiten.

Herr Tost, ich bin froh, dass nun endlich ein jahrelanger Streit zwischen uns ausgeräumt ist: Mit der Namensänderung in AlphaTauri sind Sie nun 'offiziell' so etwas wie das 'Schwesterteam' von Red Bull. Wir werden uns nicht mehr über die Bezeichnung Junior- oder B-Team streiten.
Franz Tost: Sagen wir: Von einem Streit konnte man da nie reden. Wir haben einfach darüber diskutiert, über das Junior-Team und was weiß ich, was alles.

Aber Sie waren mir böse, wenn ich Toro Rosso so genannt habe...
Franz Tost: Nein, böse in dem Sinne nicht. Ich habe mich nur gewundert, wie man solche Ausdrücke und Wortwahlen da so in die Waagschale werfen kann. Für AlphaTauri ist es das wichtigste, dass wir Leistung bringen. Ob wir nun Schwester- oder Bruderteam oder was weiß ich, was sind, ist mir vollkommen egal.

Wir müssen Leistung bringen, wir müssen gerade was AlphaTauri betrifft, da vorne mit dabei sein. Weil wir Markenbotschafter von AlphaTauri und viel mehr im Fokus sind. Glücklicherweise ist es uns dieses Jahr gelungen, die Leistungsfähigkeit auf der sportlichen Seite auf einem halbwegs akzeptablen Niveau zu halten und ich hoffe, dass wir die restlichen sieben Rennen da anschließen können.

Formel-1-Teamchef Franz Tost schlägt Alarm: Geht ums Überleben (33:04 Min.)

Hat sich beim Team strukturell etwas verändert?
Franz Tost: Ja, wir versuchen uns natürlich zu verstärken, von der Teamseite her. Wir haben gerade im technischen Sektor einige Umstrukturierungen vorgenommen vor allem im Aerodynamik-Bereich und da haben wir dieses Jahr gute Fortschritte gemacht. Aber auch im Design, vor allem das Bodywork betreffend, haben wir wesentlich bessere Lösungen und es sind alles kleine Puzzlesteine, die da zusammengeführt werden müssen, damit man dann letzten Endes auch ein konkurrenzfähiges Auto an den Start bringt und wir haben da in den letzten Jahren schon Schritte nach vorne gemacht.

Sie haben Copygate rund um Racing Point sehr interessiert verfolgt - auch aus Eigeninteresse. Sind sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Franz Tost: Es ist jetzt alles klar definiert. Es war einfach vorher im Reglement eine Lücke vorhanden. Mercedes und Racing Point haben die sehr elegant und clever ausgenutzt. Es war sicherlich am Rande der Legalität, aber letzten Endes sind sie damit durchgekommen. Wir haben uns eigentlich immer hundert Prozent an das Reglement gehalten und wir haben diesbezüglich keine Kopien seitens der Verkleidung, also seitens der Aerodynamik vorgenommen, weil das meines Erachtens nicht dem Reglement entspricht.

Okay, es gibt jetzt Klarheit. Aber vom Ergebnis an sich müssen Sie doch enttäuscht sein, oder? Sie sind ja seit jeher der Überzeugung, dass nicht jedes Team ein komplett eigenes Auto bauen muss...
Franz Tost: Was heißt enttäuscht, die Meinungen gehen da auseinander. Ich persönlich halte es für falsch, dass zehn Teams eine Infrastruktur am Laufen haben, die Unsummen an Geldern verschlingen. Jeder hat einen eigenen Windkanal. Ich habe letzte Woche eine Order für neue CFD-Hard- und Software mit Kosten von 1,28 Millionen Euro unterzeichnet. Da frage ich mich dann immer: Muss das eigentlich alles sein? Und ich gehe von meiner Meinung nicht ab, und ich sage: Normalerweise sollte die Zusammenarbeit zwischen den Teams ein viel größeres Ausmaß haben als das gegenwärtig der Fall ist, weil ich es einfach für nicht zielführend halte, dass zehn Teams über 100 Leute in Aero-Abteilungen haben, dass zehn Teams einen Windkanal betreiben müssen, dass zehn Teams dazu Hard- und Software haben.

Warum? Weil die Kenntnisse, die wir daraus gewinnen nur in das Rennauto einfließen - und die verkaufen wir nicht. Wenn wir in der Formel 1 dieses Know-how weiterverkaufen würden, würde ich sagen: Ok, jedes Team schaut, dass es sich möglichst viel technisches Know-how aneignet, um das dann weiterzuverkaufen. Nein, das wird nur in das Auto reingesteckt und nach vier, fünf Rennen ist es schon wieder alt, weil es bereits wieder einen neuen Frontflügel gibt. Diese Entwicklung, die da drinnen steckt, diese Kosten sind einfach nicht gerechtfertigt - da bin ich vielleicht zu altmodisch.

Pandemie wird sich verzögert auf Sponsorenmarkt auswirken

Wir haben zwar jetzt die Budgetobergrenze, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir in Zukunft diese Einnahmen von der FOM haben werden, die wir uns alle vorstellen. Und wenn wir diese Einnahmen nicht haben, weiß ich eines sicher: Es ist so schwer, am Sponsorenmarkt Gelder aufzutreiben. Durch Covid-19 haben viele Firmen ganz andere Probleme als jetzt in der Formel 1 Werbung zu betreiben oder die Formel 1 als Marketingpool zu benutzen. Sie müssen erstmal schauen, den Betrieb am Leben zu erhalten. Die Auswirkungen werden wir vielleicht erst 2022 oder 2023 erleben, weil das Sponsoring betreffend sind wir immer ein oder zwei Jahre hinten.

Gegenwärtig gibt es ja noch bestehende Verträge aus den vergangenen Jahren. Klar gibt es da auch Verhandlungen seitens der Sponsoren im Sinne von: Ihr habt weniger Rennen, also zahlen wir weniger. Da muss man dem auch in einem Maß ein wenig zustimmen, aber neue Sponsoren zu finden und diese Summen dann zu decken, das schaue ich mir erst noch an.

Wenn man sich die Industrie betrachtet, zum Beispiel die großen Autohersteller, die arbeiten ja auf verschiedenen Sektoren zusammen. Ob das jetzt die Batterie ist oder die Motoren. Es gibt in verschiedenen Autos Motoren von anderen Herstellern, das ist ein ganz normales Businessmodell und wir in der Formel 1 glauben, wir müssen alles selbst machen. Aber die Teams haben sich so entschieden, die FIA und die FOM hat dem auch zugestimmt.

Man spricht davon, dass das die DNS der Formel 1 ist. Ich sehe die DNS der Formel 1 aber darin, dass wir interessante Rennen liefern müssen, dass wir gute Zweikämpfe und Überholmanöver bieten und nicht, dass wir eine Hightech-Power-Unit haben, die so kompliziert ist, dass viele Ingenieure nicht einmal verstehen, was da vor sich geht. Aber ich glaube nicht, dass das für die Zukunft die einzige DNS der Formel 1 sein sollte. Die DNS der Formel 1 muss darin liegen, dass wir super Entertainment bieten mit Manövern oder Crashes - die gehören auch dazu, es soll sich aber keiner verletzen. Die Leute müssen vor dem Fernseher sitzen, ohne dass sie wissen, wer gewinnt. Das sollten wir liefern und darin sehe ich die Zukunft, aber wir werden sehen.

Pierre Gasly hat nach einem Abstecher zu Red Bull bei AlphaTauri wieder Fuß gefasst, Foto: Red Bull Content Pool
Pierre Gasly hat nach einem Abstecher zu Red Bull bei AlphaTauri wieder Fuß gefasst, Foto: Red Bull Content Pool

Dann sprechen wir doch von den Stars des Sports, den Fahrern. Welchen Zaubertrank geben Sie bei AlphaTauri oder Toro Rosso den Fahrern, damit sie funktionieren? Es zeichnet sich schon ein gewisses Muster ab, dass die Piloten bei Ihnen performen, bei Red Bull dann nicht.
Franz Tost: Nein, wir haben keinen Zaubertrank. Die Fahrer funktionieren auch bei Red Bull. Ob das ein Verstappen ist, oder ein Ricciardo oder ob das ein Vettel war und so weiter und so fort. Aber manchmal sind die Fahrerwechsel nicht unbedingt gewollt. Das haben einfach gewisse Situationen mit sich gebracht, wie damals, als Sebastian Vettel zu Ferrari wechselte und Kvyat zu Red Bull musste - nach gerade einem Jahr bei uns. Und ich betone ja immer wieder, dass wir bei AlphaTauri die Fahrer drei Jahre brauchen, um sie auf ein Niveau zu bringen, damit sie bei Red Bull Racing bestehen.

Red Bull Racing ist in einer anderen Liga, Red Bull Racing fährt um Siege, Red Bull Racing fährt um den WM-Titel, Red Bull Racing muss in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft ganz vorn dabei sein. Das heißt, dass die Fahrer Erfahrungswerte mitbringen müssen, um da vorne mitzumischen und dazu brauchen sie einfach Zeit. Das letzte Beispiel war Pierre Gasly, der aufgrund des Wechsels von Ricciardo von heute auf morgen zu Red Bull Racing musste. Und wenn dann ein paar Zutaten nicht so passen, aus welchen Gründen auch immer, dann sind solche jungen Fahrer einfach überfordert. Und wenn du dann mental nicht hundertprozentig stark bis, läufst du Gefahr, dass du unter die Räder kommst.

Diese Fahrer kommen zu uns zurück und werden wieder aufgebaut. Aber Leistung müssen sie trotzdem bringen und die bringen sie ja mit der Zeit. Dass die Fahrer fahren können, haben sie in den unteren Klassen bewiesen, sonst wären sie ja gar nicht in den Red Bull Driverpool hinein gekommen. Alle Fahrer, die bei uns sind, haben entweder in der GP3 einen Meistertitel gewonnen, in der Formel 2, in der GP2 oder wo auch immer. Das heißt, die wissen schon, wie man das alles macht.

Aber das fahrerische Level in der Formel 1 war noch nie so hoch wie jetzt. Es gibt keinen Fahrer, von dem ich sagen würde, dass er es generell nicht verdient hat, in einem Formel-1-Auto zu sitzen. Es ist toll zu sehen, wie gut momentan alle Fahrer sind und deshalb gibt es auch keine schweren Unfälle. Das ist auch das Resultat davon, weil die Fahrer sehr erfahren sind.

Wenn es eine solche Vakanz bei Red Bull gibt: Würden Sie sich wünschen, dass Red Bull dann auf externe Lösungen zurückgreifen würde, damit Sie die Ausbildung mit ihren Fahrern erst einmal abschließen können?
Franz Tost: Nein, man muss das probieren. Die Entscheidungen, die getroffen wurden, waren alle richtig. Es kann ja genauso gut funktionieren. Es hat eben, wie ich zuvor sagte, in manchen Fällen aufgrund verschiedener Umstände dann nicht gereicht, dass sie sich bei Red Bull Racing sofort durchgesetzt haben. Das muss man probieren.

Ist es dann nicht unfair den Fahrern gegenüber, sie möglicherweise so zu verbrennen? Oder muss man das aushalten?
Franz Tost: Die Formel 1 ist totaler Spitzensport und entweder du überlebst es oder du gehst unter. Und man muss halt schauen, dass man aus der Misere rauskommt, wenn es daneben geht. Aber so ist es. Man kann sich nicht immer alles so wünschen, wie es vielleicht in der Theorie auf einem Blatt Papier wunderbar aussieht. Improvisation ist da gefragt und das kann auch funktionieren.

Alles zu Mick Schumachers Formel 1-Einstieg! MSM Ausgabe 76 (02:21 Min.)

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