Der schwere Vorwurf des ehemaligen Ferrari-Rennarztes Benigno Bartoletti - jeder dritte Formel 1-Pilot würde vor dem Rennen Kokain einnehmen - löste Empörung unter den Formel 1-Experten aus. Der Sportmediziner soll ja unter anderem zwischen 1972 und 1992 als Rennarzt bei der Scuderia Ferrari tätig gewesen sein. Niki Lauda, der mit Ferrari 1975 und 1977 den Weltmeister-Titel geholt hat, müsste ihn daher eigentlich kennen – doch der Mann mit der roten Kappe sagt: "Diesen Bartoletti kenne ich gar nicht. Außerdem gibt es Drogentests. Für uns war das nie und nimmer ein Thema." Für Lauda ist der Kokain-Vorwurf somit ein "absoluter Blödsinn".

Der ehemalige Formel 1-Pilot und nunmehrige DTM-Fahrer Jean Alesi kennt den Mann – gegenüber GP2004 erklärte der Franzose: "Ich kenne Ben recht gut. Ich habe mit ihm während meines ersten Ferrari-Jahres zusammengearbeitet. Wenn man weiß, dass ein Formel 1-Pilot all seine Fähigkeiten aufbringen muss, um ein solch schnelles Fahrzeug zu kontrollieren und es am Limit zu bewegen - wo es um jeden Millimeter und um jede Tausendstelsekunde ankommt - kann man nur lachen über diese aberwitzige Unterstellung. Rennfahrer sind gesunde Menschen, sie müssen es auch sein – und sie würden niemals mit solch gefährlichen Produkten spielen."

Alesi fügt hinzu: "Abgesehen von den gnadenlosen Sanktionen, die einem Fahrer nach einem positiven Drogentest drohen." Dass Bartoletti mit einem solch schweren Vorwurf an die Öffentlichkeit ging, ist für Alesi einfach zu erklären: "Manche Leute brauchen es, solche medialen Bomben zu zünden, wenn sie selbst in eine gewisse Anonymität gefallen sind. So lenken sie die Aufmerksamkeit auf sich selbst..."

Der langjährige Tourenwagenpilot Klaus Ludwig erklärte gegenüber dem Kölner Express: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit Drogen im Blut sein Auto bei diesen hohen Geschwindigkeiten noch kontrollieren kann. Ich halte das für ausgeschlossen. Und wer soll denn in der Formel 1 koksen? Michael Schumacher bestimmt nicht. Das kann ich mir nie und nimmer vorstellen." Und – einleuchtend: "Bei Geschwindigkeiten von mehr als 300 km/h braucht man einen klaren Kopf."

Etwas aggressiver geht Hans Joachim Stuck mit dem italienischen Rennarzt ins Gericht: "Der Mann soll lieber selbst ein paar Tabletten kaufen, damit er sich noch richtig erinnern kann." Für "Striezel" seien Drogen im Rennsport schlicht ausgeschlossen.

Nicht völlig ausgeschlossen scheint das Thema Drogenmissbrauch im Motorsport für Edda Graf, ihres Zeichens Sprecherin von Ralf Schumacher, zu sein – sie erklärte: "Es gab vor einigen Monaten das Gerücht, dass Spuren von Kokain gefunden wurden. Damals rätselten alle, von welchem Fahrer sie stammen könnten."

Porsche-Rennarzt Jürgen Lindemann erklärte gegenüber dem Nachrichteninformationsdienst sid: "Ich halte diese Geschichte für unmöglich. Natürlich kann es immer mal einen Ausreißer geben, wie beispielsweise vor dem zweiten Weltkrieg, als Auto-Union-Fahrer Achille Varzi wegen nachgewiesener Drogeneinnahme sofort aus dem Verkehr gezogen wurde."

Dass Kokain für eine GP-Teilnahme ungeeignet scheint, erklärt allein schon dessen Wirkungsprofil. Denn laut den gängigen Drogeninformations-Sites hält die Wirkung der Droge maximal 90 Minuten, der gefährliche Wirkungsabfall kann aber schon nach nur 30 Minuten einsetzen. Und es gibt zudem ein ganz simples Argument, warum dieser Vorwurf unhaltbar ist: Würde tatsächlich jeder dritte Formel 1-Pilot zu Kokain greifen, wäre das längst schon bei den Dopingkontrollen aufgefallen.

Daher gilt – wie überall – die Unschuldsvermutung: So lange kein einziger Fall von Kokainmissbrauch amtlich bestätigt ist, muss der Vorwurf von Benigno Bartoletti als Nonsens eingestuft werden. Sein Vorhaben, die Öffentlichkeit auf sich zu lenken, ist dem bald Siebzigjährigen jedoch gelungen. So einfach geht das. Irgendwie schäbig – durchaus denkbar, dass sich der Mann mit Verleumdungsklagen auseinandersetzen wird müssen...