Dass ein schwerer Sturz die Karriere eines MotoGP-Piloten massiv beeinflussen kann, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gezeigt. Davon bleiben selbst die Größten des Sports nicht immer verschont. Valentino Rossi war etwa nach seinem Schien- und Wadenbeinbruch in Mugello 2010 nie mehr der Alte oder zuletzt natürlich Marc Marquez, dessen MotoGP-Dominanz durch seinen Crash in Jerez 2020 beendet wurde. Erst vier Operationen später kehrte der achtfache Weltmeister 2023 wieder zu voller physischer Fitness zurück.

Marquez verlor durch seinen Highsider in Turn 3 des Circuito de Jerez, der ersten von zwei schnellen Linkskurven, beinahe drei Jahre seiner zuvor außergewöhnlich erfolgreichen Karriere. Und doch muss der Spanier fast glücklich mit diesem Ausgang sein. Denn an gleicher Stelle erwischte es zuvor schonmal einen Repsol-Honda-Piloten, der dabei deutlich weniger Glück hatte: Mick Doohan. Motorsport-Magazin.com blickt genau 25 Jahre später auf den Horrorcrash des Australiers, der schließlich zu seinem Karriereende führte, zurück.

Mick Doohan wurde fünfmal Motorrad-Weltmeister, Foto: HRC
Mick Doohan wurde fünfmal Motorrad-Weltmeister, Foto: HRC

Mick Doohan in Jerez unter Druck: 1999 noch ohne Sieg

Es ist der 07. Mai 1999 in Jerez. Die Motorrad-Weltmeisterschaft nimmt mit ihrer dritten Saisonstation langsam Fahrt auf. Für den Dominator der vergangenen Jahre läuft es noch nicht rund. Mick Doohan liegt hinter dem aufbrausenden Kenny Roberts jr. nur auf Platz zwei der Fahrer-WM. Der Suzuki-Neuzugang gewann die ersten beiden WM-Läufe im Jahr 1999, während Doohan 'nur' Zweiter und Vierter wurde. Noch ist das natürlich kein Grund zur Sorge für den fünffachen 500ccm-Weltmeister, der sechste Titel in Serie ist noch immer mehr als möglich. Aber das dritte Rennwochenende des Jahres ist auch der perfekte Zeitpunkt, um ein Zeichen der Stärke zu setzen. Um der Welt klarzumachen, dass der 33-jährige Altmeister noch immer auf dem Höhepunkt seines Schaffens operiert.

Die Umstände sind jedoch alles andere als leicht. Nachdem Doohan das 1. Training am Freitagmorgen an der Spitze des Klassements beendet hatte, öffnete sich in der Mittagspause der Himmel über Jerez. Pünktlich zum Start der Nachmittagssession stoppte der Regen zwar wieder, das Asphaltband war aber noch ziemlich nass. Es dauerte weitere 20 Minuten, ehe die Ideallinie weitestgehend aufgetrocknet war. Ein kritischer Zeitpunkt, denn das 2. Training am Freitagnachmittag trug damals noch zur Startaufstellung für den Grand Prix am Sonntag bei. Sollte sich das Wetter am Samstag wieder verschlechtern, könnte das also die einzige Gelegenheit für eine schnelle Rundenzeit und damit auch eine gute Startposition sein.

Doohan, der die ersten 23 Minuten der Session in der Box verbracht und das Geschehen von dort beobachtet hatte, entschied sich nun, auf die Strecke zu gehen und einige schnelle Runden zu fahren. Um die 30-Minuten-Marke startete der Australier dann in seine, wie sich nur wenige Augenblicke später herausstellen sollte, letzte Runde als Motorrad-Rennfahrer. Mit lautem Motorengeheul seiner legendären Honda NSR500 überquerte er die Ziellinie ein letztes Mal und verschwand in Kurve eins. Knapp 30 Sekunden später ertönte im MotoGP-Paddock von Jerez ein mächtiger Schlag gegen die Streckenbegrenzung. Es war der Klang des Endes einer Ära. 1992 in Assen schon einmal schwerverletzt, hatte sich Doohan entgegen aller Vorhersagen zurückgekämpft und die Motorrad-WM von 1994 bis 1998 nach Belieben dominiert. In dieser Zeit gewann er 44 von 72 Rennen, 1997 sogar zehn am Stück, und stand nur zehnmal nicht auf dem Podium. Es waren Resultate, die einzig Valentino Rossi und Marc Marquez in ähnlicher Art und Weise seither nochmal wiederholen konnten. Als Doohan 1998 das Saisonfinale in Argentinien gewonnen hatte, konnte noch keiner ahnen, dass es sein letzter Triumph gewesen sein sollte. Doch es kam eben genau so.

Fataler Fehler: MotoGP streicht Weiße Linien 1999 mit Hausfarbe

"Zu diesem Zeitpunkt begann es, aufzutrocknen. Daher wollte ich rausgehen und mir die Bedingungen anschauen. Ich glaube, es war meine zweite oder dritte fliegende Runde", erinnert sich der Australier in Repsol-Honda-Diensten an die letzten Minuten vor dem folgenschweren Crash. "In diesem und dem Jahr davor hatten sie auf vielen Strecken die weißen Linien mit Hausfarbe gestrichen. Sie waren schon im Trockenen rutschig, vom Nassen ganz zu schweigen. An diesem Wochenende war es diabolisch und mich erwischte es am schlimmsten", begründet er. An jenem Freitag im Mai 1999 waren bereits Niall Mackenzie und Jamie Whitham beinahe schwer gestürzt, weil sie die nasse, glitschige Weiße Linie berührt hatten und auch Doohan selbst hatte in seiner ersten fliegenden Runde schon einen Schreckmoment gehabt.

Umso überraschender, dass ein erfahrener Pilot wie der Australier weiterhin attackierte, war der Wetterbericht für Samstag doch eigentlich vielversprechend. Verbesserungen sollten also noch möglich sein. Doch Doohan war eben ein Vollblut-Rennfahrer und wollte die erstbeste Gelegenheit nutzen. Eine Entscheidung, die dramatische Folgen haben sollte. Nachdem der Honda-Star die Haarnadelkurve Turn 2 passiert hatte, richtete er das Bike wie üblich auf und lenkte in den schnellen Linksknick von Turn 3 ein. Mit Vollgas und knapp 215 km/h donnerte Doohan durch die Kurve. "Ich glaube nicht, dass das Vorderrad die Weiße Linie berührt hat, aber das Hinterrad schon, weil es durchdrehte. Das war es dann", beschreibt Doohan. "Ich mochte es eigentlich, rauszugehen und sofort schnell zu fahren. Ich dachte, dass ich die Breite der Strecke maximal ausnutzen würde, ohne dabei die Weiße Linie zu berühren, aber weil das Heck fünf Zentimeter oder weniger neben meiner üblichen Linie war, wurde ich abgeworfen."

Mick Doohan hatte sich bereits 1992 schwer am rechten Bein verletzt, Foto: Milagro
Mick Doohan hatte sich bereits 1992 schwer am rechten Bein verletzt, Foto: Milagro

"Normalerweise fühlst du, wenn dir das Bike entgleitet und du hast einen Moment Zeit, es noch abzufangen. In diesem Moment habe ich aber erst gemerkt, dass ich vom Bike runtergeworfen wurde, als ich Kopf über in der Luft war und das Motorrad von oben gesehen habe. Dann kann ich mich erst wieder daran erinnern, wie sie versucht haben, mir im Medical Center die Lederkombi aufzuschneiden", blickt Doohan zurück. Ihm war das Heck ausgebrochen, woraufhin das Bike ihn und sich selbst in die Luft katapultierte. Im Kiesbett angelangt wurde der Australier mehrfach heftig durchgerüttelt, ehe er mit hoher Geschwindigkeit in der zu nah an der Strecke befindlichen Barriere einschlug. Dabei riss ihm eine Befestigungsschraube eine tiefe Fleischwunde in die rechte Schulter. Erst dann kam der Honda-Pilot zum Liegen, Stille kehrte ein.

Mick Doohan: Zahlreiche Verletzungen machen Karriereende unumgänglich

Das Verletzungsausmaß Doohans war enorm: Sein linkes Handgelenk war gebrochen und, wie sich später herausstellte, waren auch die Nerven des linken Arms beschädigt. Außerdem war die rechte Schulter gebrochen - zusätzlich zur tiefen Fleischwunde. Am schlimmsten war jedoch, dass auch jenes rechte Bein, dass sich der Australier bereits 1992 fast vollständig zerstört hatte, wieder gebrochen war, diesmal oberhalb der alten Fraktur. Eine erste Prognose sagte zwei Monate Rennpause vorher, eine Rückkehr in Brünn Ende August wurde anvisiert. Doch als dieser Zeitpunkt erreicht war, ging Doohan noch auf Krüken. Er verriet, dass er selbst eine Trinkflasche mit links nur schwer öffnen konnte, weil der linke Arm sowohl langsam als auch schwach reagierte. Außerdem hatten beide Knie noch weitere Male operiert werden müssen.

Doohan kehrte 1999 nicht mehr zurück und musste so von der Couch mit ansehen, wie sein Honda-Teamkollege und Rivale Alex Criville seine fünfjährige Herrschaft in der Motorrad-WM beendete. An eine Rückkehr war aber auch im Jahr 2000 nicht mehr zu denken. Mitte Dezember 1999, also knapp sieben Monate nach dem Horrorsturz, verkündete Doohan offiziell sein Karriereende, auch wenn die Entscheidung bereits früher gefallen war. "Sie sagten mir, dass ich erst 2001 wieder einen Angriff auf den Titel wagen könnte. Ich beschloss dann, dass es ein guter Zeitpunkt wäre, um aufzuhören", erinnert sich Doohan, der sich mit dem Verlauf der Dinge abgefunden hat: "So ist es für mich eben gelaufen. Ich hatte in meiner Karriere viele Highlights. Zu sagen, dass ein Zentimeter meine gesamte Karriere zerstörte, geht an der Realität vorbei. Irgendwann kommt nunmal der Zeitpunk, an dem du aufhören musst. Natürlich wäre es schöner gewesen, dass Bike einfach zu parken, aber wann machst du das am besten? Ich bin gestürzt, aber wer stürzt nicht? Ich hatte während meiner Karriere weniger Stürze als die meisten, insofern war es vielleicht gar kein schlechter Weg, den Sport zu verlassen."

Mick Doohans Teamkollege Alex Criville wurde 1999 500ccm-Weltmeister, Foto: MotoGP
Mick Doohans Teamkollege Alex Criville wurde 1999 500ccm-Weltmeister, Foto: MotoGP

Die Motorrad-WM hatte einen ihrer größten Stars verloren - aber bis zum Beginn der MotoGP-Ära und dem Aufstieg von Valentino Rossi auch an Spannung gewonnen. Durch den Wegfall des Dominators Doohan siegten 1999 erstmals seit sechs Jahren wieder sechs unterschiedliche Piloten, vier von ihnen kämpften um den Titel. Letztlich setzte sich Alex Criville durch und wurde Spaniens erster 500ccm-Weltmeister, aber wie es Carlos Checa einst passend beschrieb: "Es war, als würdest du in einem Orchester ohne Dirigenten spielen."