Jahrzehntelang galt im Motorsport ein Gesetz: Die Formel 1 ist die Königsklasse in jeder Hinsicht, die besten Werke und Rennställe messen sich mit den besten Piloten auf dem höchsten Niveau. Doch in jüngster Zeit ist ein erstaunlicher Wandel eingetreten: Kazuki Nakajima bezeichnete vor kurzem die LMP1-Sportwagen gegenüber Motorsport-Magazin.com als "technisch viel interessanter", auch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Unsere Leser pflichteten Nakajima mit überwältigender Mehrheit bei: 77 Prozent teilen seine Auffassung, dass die Sportwagen der Formel 1 als technischer Königsklasse den Rang abgelaufen haben, nur 14 Prozent sehen die F1 weiter als solche an.

Die Sportwagen machen es vor: Freies Reglement, technische Quantensprünge, Aerodynamik nur einer von vielen Faktoren, Foto: DPPI
Die Sportwagen machen es vor: Freies Reglement, technische Quantensprünge, Aerodynamik nur einer von vielen Faktoren, Foto: DPPI

Wie kam es zu diesem erstaunlichen Wandel? Lange Zeit galt im Motorsport ein stillschweigendes Abkommen: Die Fahrer bieten gute Unterhaltung und die technischen Fortschritte kommen dem Serienbau zugute. Das hat lange Zeit sehr gut funktioniert, bis Anfang der 90er-Jahre die Technik einen so großen Sprung machte, dass Williams fahrende Roboter mit Traktionskontrolle, aktivem Fahrwerk, ABS, CVT-Getriebe und Hybridsystem baute - vieles davon kam Jahre später in den Serienwagen. Manche dieser Innovationen wurden auf der Stelle verboten, andere etwas später. Es war nötig, da der Fahrer völlig an Bedeutung verloren hatte. Das Pendel schlug so sehr in eine Richtung aus, dass es künstliche zurückgeholt werden musste.

Die Formel 1 vollzog dann aber den Weg ins andere Extrem: Show um jeden Preis. Der große Einschnitt erfolgte 2007, als zum ersten Mal in der Formel 1 die maximale Drehzahl begrenzt wurde, um einen engeren Wettbewerb zu gewährleisten. Spätestens seit jener Saison, seit der es auch Einheitsreifen gibt, ist der Raum für technischen Fortschritt komplett eingeengt; einzig und allein die Aerodynamik zählt. Gerade Ferrari steht traditionell mit dieser auf Kriegsfuß. "Es heißt Motorsport und nicht Aerodynamiksport", heißt es gern aus Maranello. Genauso wenig sollte es übrigens Reifensport heißen, was es 2013 überwiegend gewesen ist.

Ein enges Reglement kann den Kostenwahn nicht stoppen

Die Formel 1 ist technisch betrachtet seit 2002, als zum ersten Male 19.000 Umdrehungen erreicht wurden, von der Aerodynamik abgesehen fast stehen geblieben. Die Schaltvorgänge gehen heutzutage noch ein paar Millisekunden schneller vonstatten, die Auspuffabgase können einen Diffusor anblasen und Red Bull brachte fast für jede Strecke einen eigens kreiertes Aerodynamikpaket mit - Serienrelevanz gleich Null. Dabei wäre gerade der Hybridantrieb das große Feld gewesen, in dem die Formel 1 die Entwicklung richtig nach vorne hätte treiben können. Doch man gab sich mit dem Witz eines Energierückgewinnungssystems ab, bei dem alles totreglementiert wurde.

Hightech in der Formel 1 bedeutet heute die Auswahl aus einem halben Dutzend Frontflügeln pro Rennwochenende, Foto: Sutton
Hightech in der Formel 1 bedeutet heute die Auswahl aus einem halben Dutzend Frontflügeln pro Rennwochenende, Foto: Sutton

Das hat zweierlei Gründe: Erstens die Befürchtung, ein Hersteller könnte ein überlegenes System bauen und die Konkurrenz deklassieren, und zweitens die horrenden Kosten. Es ist unbegreiflich, warum es den Formel-1-Teams nicht gelingt, zu elft ein Kollektivgut herzustellen, das die Ausgaben endlich begrenzt. Das RRA scheiterte kläglich, von Kostenreduktion ist keine Rede mehr. Der Koloss steht noch nicht auf tönernen Füßen, doch wenn die Kosten nicht endlich wieder auf ein erträgliches Niveau gedrückt werden können, sieht die Zukunft schlecht aus. Dass sich aber kein Fortschritt abzeichnet, zeigt sich beim Thema Motor.

Der 1,6 Liter V6 Turbo wird der am meisten reglementierte Motor in der Geschichte der Formel 1 sein. Sogar der Zylinderbankwinkel ist vorgeschrieben. Trotzdem werden sich die Preise gegenüber den V8-Motoren verdoppeln. Für einen nahezu standardisierten Motor werden Unsummen verlangt, obwohl die Formel 1 sich entwicklungstechnisch längst in eine Sackgasse manövriert hat: Alles, was ein Formel-1-Auto kann, kann ein LMP1 mit völlig freiem Antriebsreglement besser. Doch keine einzige Einschränkung konnte die Kosten effektiv drücken.

Fahrerisch weiter Königsklasse

Beim V6-Turbo ist fast alles vorgschrieben, trotzdem ist er der teuerste Motor aller Zeiten, Foto: Renault
Beim V6-Turbo ist fast alles vorgschrieben, trotzdem ist er der teuerste Motor aller Zeiten, Foto: Renault

Muss sich die Formel 1 nun deshalb Sorgen machen? Die Antwort ist ja und nein. Fahrerisch bleibt die Formel 1 die Nummer 1; ein Wechsel zu den Sportwagen wird in der Regel noch immer als Abstieg betrachtet. Solang die Fahrer in der Formel 1 zweistellige Millionenbeträge bei den Topteams verdienen können, werden die allerbesten Fahrer dort bleiben. Doch es ist Vorsicht geboten: Der jüngste Trend hin zu Paydrivern nimmt mittlerweile besorgniserregende Ausmaße an, insbesondere was die aufzuwendenden Summen angeht. Das könnte Fahrer leicht unterhalb der Leistungsklasse eines Sebastian Vettel schnell zu den Sportwagen oder in die DTM treiben. Und jenseits des Atlantiks gibt es eine wieder aufstrebende IndyCar-Serie.

Ganz klar die Königsklasse ist die Formel 1 im Bereich der öffentlichen Wahrnehmung. Was über Jahrzehnte aufgebaut wurde, ist so schnell nicht zu verändern. Dem gegenüber eignen sich 6-Stunden-Rennen schlecht für eine gute Show, da Entscheidungen völlig anders fallen und nicht unbedingt der Schnellste gewinnt, was für einen Großteil des Publikums schwer nachvollziehbar ist. Dazu ist "Formel 1" noch immer ein Label, das jeder kennt.

Das Kind ist also bei weitem noch nicht in den Brunnen gefallen, doch die Zeichen der Zeit müssen früh erkannt werden: Macht die Formel 1 so weiter wie bisher, geht es nicht mehr lange gut. 2010 stiegen drei Teams ein, weil ihnen eine Budgetgrenze in Aussicht gestellt wurde, die nie kam. Zuvor gab es zweieinhalb Jahre Super Aguri, doch man muss weit zurückgehen, will man ein Formel-1-Team finden, das in der Formel 1 wirklich den Stempel aufdrücken konnte: Das heutige Red-Bull-Team debütierte 1997 als Stewart GP. Mit anderen Worten: Seit 17 Jahren hat sich kein Team mehr ohne falsche Versprechungen in der Formel 1 dauerhaft etablieren können.

Lösung: Budgetgrenze und freies Reglement

Fahrerisch ist die Formel 1 unangefochten Königsklasse, Foto: Sutton
Fahrerisch ist die Formel 1 unangefochten Königsklasse, Foto: Sutton

Was wäre ein Ausweg aus dem Teufelskreis? An der Budgetgrenze führt kein Weg vorbei. Es wäre das Eingeständnis des völligen Scheiterns des gesunden Menschenverstands. Doch da die Teams unfähig scheinen, die Kosten in den Griff zu bekommen, scheint es nicht anders zu gehen. Großen Teams müsste geholfen werden, das Personal anderswo unterzubringen. Als nächstes müsste das Reglement wieder liberalisiert werden. Insbesondere der Hybridantrieb bietet enormes Entwicklungspotenzial in den kommenden zehn Jahren. Derzeit verschläft ihn die Formel 1 fast völlig und überlässt ihn Le Mans. Die 35. Variante eines Frontflügelhauptelements reißt niemanden vom Hocker, ein innovatives Hybridsystem würde es tun.

Low-Tech-Unterhaltung funktioniert zwar in den USA, doch mit dem europäischen Sportsgeist ist es nur schwer zu vereinbaren. Gerade das gebildete Publikum wendet sich mehr und mehr von der Formel 1 ab, da sie technisch uninteressant geworden ist. Die besten Fahrer in den faszinierendsten Autos, das sollte die Formel 1 sein. Und dort muss sie wieder hin, mit akzeptablen Kosten. Möglich ist es allemal, die Frage ist, ob der Wille da ist. Doch nur so könnte die Formel 1 ihren Rang als Königsklasse in jeder Hinsicht wiederherstellen.