Irgendwann musste die Linke-Spur-Autobahn-Variante herhalten bei Rene Rast. Im kuriosen Sonntagsrennen der DTM auf dem Lausitzring packte der Audi-Fahrer in der Schlussphase die Lichthupe aus, quasi als letztes Mittel gegen Vordermann Jamie Green. Das konnte den Briten mit gleichem Auto, wesentlich älteren Reifen und mehr DRS-Aktivierungen allerdings nur wenig beeindrucken.

"Hab' ich nicht gesehen, ich habe nach vorne schaut", zuckte das DTM-Urgestein mit den Schultern. Wusste auch Rast, der nach dem Rennen anmerkte: "Ich hatte nicht gehofft, dass er mich vorbei lässt, aber dass ein bisschen weniger kämpft, weil es einmal ganz schön knapp war in der ersten Kurve."

Doch Jamie Green verfolgte andere Pläne, als er in der brenzligen Schlussphase über neun Runden lang den Titelfavoriten-Zug bestehend aus Rast, Nico Müller und Robin Frijns mit stoischer Ruhe hinter sich herzog. Der 38-Jährige hatte es stattdessen auf seinen 18. Sieg im 199. DTM-Rennen abgesehen. Nicht ohne Aussichten auf Erfolg, hatte er immerhin mit Lucas Auer und Timo Glock zwei BMW vor sich, die mit ähnlich alten Reifen unterwegs waren.

"Die hatten aber eine gute Traktion am Ende, deshalb konnte ich sie nicht überholen", erklärte Green, den ein später Angriffsversuch auf Glock letztendlich den dritten Platz kostete, weil der heranstürmende Frijns sich in der letzten Runde gegen Rast und schließlich Green durchboxte.

Hätte Green früher auch kämpfen dürfen?

Ob Green in Zeiten vor dem wiedereingeführten Verbot der Teamorder und der Androhung von 250.000 Euro Strafe (ob das juristisch haltbar wäre, steht auf einem anderen Blatt Papier) auch den Audi-Zug hätte anführen dürfen? Schließlich hatte er vor dem sechsten Saisonrennen und dem gleichzeitigen Abschluss des ersten Saisondrittels ganze 86 Punkte Rückstand auf Müller und 53 Zähler weniger als Rast.

Aus Audi-Gesamtsicht wäre es klug gewesen, am Sonntag Rast, Müller und Frijns an Green vorbei zu lotsen, um nach dem saisonübergreifend 13. Sieg in Folge zu greifen. Auer und Glock an der Spitze hatten bereits nach 10 Runden auf Risiko gesetzt und ihre Reifen gewechselt, Green im 11. Umlauf - Rast (Runde 17), Müller (Runde 18) und Frijns (Runde 19) nahmen die Schlussphase mit theoretisch wesentlich besseren Waffen in Angriff.

DTM Lausitzring: Audi-Quartett im Stint-Vergleich

PositionStint 1Stint 2
P3 Robin Frijns19 Rd. (163.567 km/h)15 Rd. (160.961 km/h)
P4 Jamie Green11 Rd. (163.210 km/h)23 Rd. (162.011 km/h)
P5 Nico Müller18 Rd. (163.515 km/h)16 Rd. (161.110 km/h)
P6 Rene Rast17 Rd. (163.436 km/h)17 Rd. (161.325 km/h)

Green: Fand meine Entscheidung gut

Da der berühmte Reifen-Cliff (plötzlich auftretender Verschleiß) diesmal jedoch ausblieb und dank der neuen Regel, dass alle Fahrer, mit Ausnahme des Führenden, DRS und Push-to-Pass nutzen dürfen, kam es zu einer überholarmen Patt-Situation in der Spitzengruppe.

"Ich habe den Zug hinter mir gesehen", sagte Green. "Es war eine knifflige Entscheidung, ob ich es selbst versuchen wollte. Ich hatte viel DRS übrig und fand meine Entscheidung deshalb gut. Leider fehlte mir etwas Grip, um mich in eine Position zu bringen, Auer und Glock überholen zu können."

Rast: Hätte Siegchance gehabt

Greens Vorgehen hat Rast sicherlich nicht gefallen, doch er wollte seinem Rosberg-Teamkollegen keinen Vorwurf machen: "Er ist sein eigenes Rennen gefahren, das war okay. Er hatte noch DRS übrig und das Gefühl, gewinnen zu können." Gleichzeitig sagte der Titelverteidiger: "Wenn ich Jamie überholt hätte, hätte ich eine Chance auf den Sieg gehabt. Als wir mit frischen Reifen ankamen, waren wir deutlich schneller."

Das galt auch für Hintermann Müller, der sich in den vergangenen Jahren mehrfach in den Dienst der Mannschaft hatte stellen müssen und mit Blick auf Green meinte: "Er hat das gute Recht, seine Position zu verteidigen, solange wir uns nicht gegenseitig von der Strecke schießen. Das ist das einzige Limit. Wir dürfen frei gegeneinander fahren, hart aber fair."

DTM 2020 Lausitzring, Rennen 2: Zusammenfassung und Highlights: (04:00 Min.)

Audi-Trio schaut auf Titelkampf

Dass in der Saison 2020 letztendlich erstmals ein anderer Fahrer als Müller (3 Siege), Rast (2 Siege) oder Frijns (5 Poles, 0 Siege) gewinnen konnte, dürfte auf die Strategie des Favoriten-Trios mit späten Boxenstopps zurückzuführen sein. Im direkten Dreikampf wollte keiner der Fahrer einen Nachteil erleiden und so fiel die rennentscheidende Track Position dem Fokus auf den Titelkampf zum Opfer.

"Wir kämpfen vor allem mit Nico und Robin um die ersten drei Plätze in der Meisterschaft", sagte Rast. "Deshalb war es klar, dass der Fokus mehr auf ihnen liegt. Aber wir haben gesehen, was passieren kann, wenn wir uns zu sehr auf uns selbst konzentrieren."

Rast: Zum Glück ging es nicht um den Sieg

Dass Müller ihm kurz vor dem Zielstrich mit 0,011 Sekunden den fünften Platz wegschnappte, war für Rast verschmerzbar: "Das war frustrierend. Ich war aber happy, dass es nicht um den Sieg ging. Dann hätte ich sieben Punkte verloren und er sieben gewonnen." So hielt sich der direkte Schaden mit einer Gesamtdifferenz von vier Zählern (Müller gewinnt durch P5 zwei Punkte, Rast verliert durch den Rückfall auf P6 zwei Zähler) in Grenzen.

Müller wollte nicht von einer falschen Boxenstopp-Strategie sprechen: "Es ist normal, dass man nicht volles Risiko geht, wenn man Rennen anführt. Wir haben nicht alles falsch gemacht, wie manche Leute jetzt vielleicht denken." Nur Frijns haderte trotz des einzigen Audi-Podestplatzes beim Doppelsieg von BMW: "Ich bin hier, um Rennen zu gewinnen. Wer auch immer der Schnellste ist, den muss ich schlagen."