0,089 Sekunden. Vor dem TV-Bildschirm erlebten Zuschauer und Medien im Sonntagsrennen auf dem Lausitzring den engsten Zieleinlauf der DTM-Geschichte. Dieser Wimpernschlag trennte Sieger Rene Rast von Verfolger Nico Müller nach einem spektakulären Rennen.

Verrückt: es war exakt der gleiche Abstand wie beim Norisring-Rennen anno 1996, als Klaus Ludwig vor Opel-Markenkollege Uwe Alzen siegte.

Der Meisterschaftsführende Müller verpasste in der Lausitz seinen vierten Saisonsieg in Folge, während sich Rast erfolgreich für den nachträglich verlorenen Spa-Sieg vor zwei Wochen rächen konnte.

Offen blieb die Frage: hätte Müller seinen Audi-Markenkollegen angesichts des winzigen Rückstandes nicht einholen können, zumal ihm als Zweitplatziertem die Überholhilfen zur Verfügung standen?

"Ich hatte in den letzten drei, vier Runden nur noch für eine Runde DRS über", erklärte der amtierende Vize-Meister. "Ich war nicht sicher, ob ich zu Beginn der letzten Runde alles verschießen sollte. Ich dachte, es wäre cleverer, in Kurve 1 nicht All-In zu gehen. Es hat aber nicht geklappt, später auf den letzten Metern vorbeizukommen."

In der DTM dürfen die Fahrer den DRS-Heckflügel dreimal pro Runde flachstellen, um dadurch eine höhere Geschwindigkeit zu erreichen. Zu Beginn der letzten Runde nutzte Müller das System einmal auf der Start/Ziel-Geraden und konnte sich bei der Einfahrt zur ersten Kurve - der beliebtesten Überholstelle in der Lausitz - knapp neben Rast setzen. Der zweifache Meister machte die Tür allerdings gerade rechtzeitig zu.

"Vielleicht wäre es besser gewesen, in Turn 1 reinzustechen", sagte Müller. "Aber wenn du gegen einen Markenkollegen fährst, ist das nicht so clever. Dann mache ich es lieber schlau, als vielleicht für uns beide das Rennen zu beenden."

Der Verzicht auf dieses riskante Manöver dürfte zumindest Audi-Motorsportchef Dieter Gass am Kommandostand vor weiterer Schnappatmung bewahrt haben, schließlich hatte er während des Rennens einige diskutable Zweikämpfe unter Audi-Fahrern miterleben müssen.

Müller: "Wenn du so früh in der Saison gegen einen Markenkollegen fährst und nicht gegen jemanden mit einem Propeller auf der Haube, gehst du das ein bisschen anders an. Wenn es das letzte Rennen der Saison gewesen und es um den Titel gegangen wäre, dann hätte ich auf jeden Fall mehr riskiert. Aber heute war nicht der richtige Tag dafür."

DTM 2020 Lausitzring, Rennen 2: Highlights und Zusammenfassung: (03:58 Min.)

Nach dem verpassten Überholmanöver in der ersten Kurve der letzten Runde gelang es Müller nicht mehr, sich neben entscheidend neben Rast zu setzen. Beim Zieleinlauf nutzte der Schweizer seinen letzten DRS-Schuss, doch es fehlten die berühmten letzten Meter. "Rene hat mich da ein bisschen ins Gras gedrückt, das war normal", so Müller. "Dann hatte ich Pickup auf dem Reifen und brauchte drei, vier Kurven, um mich zu erholen."

Den vierten Saisonsieg in Folge verlor Müller wohl nicht in der letzten Runde, sondern gleich beim Start: "Den habe ich verkackt." Von Startplatz zwei fiel er auf den ersten Metern hinter Rast und Marco Wittmann zurück und fabrizierte damit das Gegenteil des Samstagsrennens, als er mit einem guten Start direkt die Führung von Abt-Teamkollege Robin Frijns übernehmen konnte. "Ich hatte nicht erwartet, dass der Asphalt so viel Grip bietet, dafür habe ich den Preis bezahlt", erklärte Müller den verpatzten Start.

Dies führte bei der Abt-Truppe zu einer Änderung der Strategie: Müller absolvierte als vorletzter aller Fahrer erst in der 20. Runde seinen Pflicht-Boxenstopp. Aus der Spitzengruppe hatten Frijns und Wittmann (beide Runde 12) sowie Rast in der 13. Runde wesentlich früher einen frischen Satz der Hankook-Slicks aufziehen lassen. Müller lag zum Ende seines ersten Stints deshalb in Führung, musste sich nach der Ausfahrt aus der Boxengasse aber erst einmal auf dem siebten Platz einordnen.

"Die Strategie war nicht schlechter, hat es aber schwieriger gemacht", meinte Audi-Motorsportchef Gass. Müllers ordentliche Outlap (1:48.223 Minuten) leitete die anschließende Aufholjagd ein, innerhalb von vier Runden machte er drei Plätze gut und fuhr erneut auf der vierten Position, allerdings mit einem deutlichen Reifen-Vorteil. In Runde 33 konnte sich zunächst Marco Wittmann nicht zur Wehr setzen und zwei Runden später war Frijns an der Reihe.

Acht Runden hatte Müller am Ende Zeit, seinen Rückstand von 4,7 Sekunden zu Rast aufzuholen. Bis zur vorletzten Runde war der Abstand auf weniger als eine Sekunde gesunken, doch das Sprintlayout des Lausitzring bietet nur wenige 'echte' Überholmöglichkeiten. Bei beiden Gelegenheiten setzte sich Rast erfolgreich zur Wehr.

"Ich wusste, dass Nico kommen würde", sagte Sieger Rast. "Ich habe immer geschaut, wo er auf der Strecke ist. Ich hatte erwartet, dass das Rennen eine Runde kürzer dauert und war überrascht, dass meine Berechnungen nicht ganz stimmten."

Müller mit einem Grinsen: "Ich habe richtig gerechnet. Gestern habe ich gebetet, dass das Rennen früher vorbei sein soll. Heute habe ich um eine weitere Runde gebetet. Hinterher ist man immer schlauer. Rene hat heute einen besseren Job gemacht als wir und in der DTM machen eben die kleinen Details den Unterschied aus."

Nach vier von 18 Saisonrennen führt Müller die Meisterschaft weiter an. In Erwartung der baldigen Geburt seines Kindes reist er mit 100 Punkten für ein paar Tage in die Heimat, bevor am kommenden Wochenende das nächste Rennwochenende auf dem Lausitzring wartet. Rast macht in der Tabelle eine Position gut und belegt den zweiten Platz mit 61 Zählern.