Von "What the fuck" bis hin zu "Sind wir wirklich Champion?" - Rene Rasts Weg zum vorzeitigen Titelgewinn beim DTM-Rennwochenende auf dem Nürburgring war gepflastert mit Fragezeichen. Was am Sonntag zunächst nach einer Spazierfahrt in Richtung seiner zweiten Meisterschaft nach 2017 aussah, entwickelte sich zu einem Eifel-Krimi par excellence.

Nach dem Qualifying am Sonntagvormittag war klar: Nur ein Audi-Fahrer kann die Meisterschaft gewinnen, der lange gefürchtete BMW-Rivale Marco Wittmann war rechnerisch raus aus dem Rennen. Dieser Umstand leitete das wohl packendste Rennen der Saison ein, in dem Rast bis zur zweiten Kurve nach (!) dem Zieleinlauf nicht sicher war, ob die Meisterschaft wirklich im Sack ist.

Letztendlich reichte ihm der dritte Platz hinter seinen Audi-Markenkollegen Jamie Green und Robin Frijns, um für Herausforderer Nico Müller beim Finale in Hockenheim (04.-06. Oktober) nach Punkten nicht mehr einholbar zu sein. Der Schweizer erlebte ein Horror-Wochenende in der Eifel und verlor seine letzte Titelchance am Sonntag in der drittletzten Runde.

Müller überquerte die Ziellinie als Sechster. Ausgerechnet hinter Jonathan Aberdein, der großen Rookie-Überraschung der Saison 2019 und Fahrer des neuen Audi-Kundenteams WRT. Wie alle Audi-Fahrer an diesem Tag, fuhr der junge Südafrikaner sein eigenes Rennen und sorgte mit seinem Überholmanöver gegen Müller dafür, dass der 27-Jährige genau die Position einbüßte, die ihn zumindest theoretisch im Titelrennen gehalten hätte.

DTM-Video Nürburgring: Rene Rast gewinnt zweite Meisterschaft (03:42 Min.)

Müllers Risiko-Plan

Dass sich Müller in der Schlussphase mit seinen alten Reifen (Boxenstopp schon in Runde 10) nicht gegen Aberdein, der zehn Runden später seinen Pflicht-Boxenstopp absolviert hatte, wehren konnte, war keine Überraschung. Nach einem Sensordefekt im Qualifying musste Müller vom 14. Startplatz wie schon am Samstag eine risikoreiche Strategie mit einem frühen Boxenstopp in Hoffnung auf ein Safety Car probieren - an beiden Tagen auf dem Nürburgring ging der Plan nicht auf.

Überraschender verlief hingegen Rasts Rennen. Der 32-Jährige benötigte nach den zwei Extra-Punkten im Qualifying für Startplatz 2 nur sieben Zähler zum vorzeitigen Titelsieg. Mit einem Sieg hätte er den Sack - unabhängig von Müllers Position - aus eigener Kraft zumachen können. Als Rast Pole-Setter und Audi Sport Team Rosberg-Teamkollege Green beim Start überholte und in Führung ging, deutete sich genau dieses Szenario an.

Rast konnte sich im ersten Stint trotz der schnellsten Rennrunde allerdings nicht von Hintermann Green absetzen. In Runde 11 hatte er nur eine halbe Sekunde Vorsprung, bevor er einen Umlauf später seinen Pflicht-Reifenwechsel absolvierte und dabei die Chance auf den Sieg verlor.

Stint-Analyse: Top-6, Rennen 2 Nürburgring

PositionFahrerRunden Stint 1Runden Stint 2
1Jamie Green13 (156.428 km/h)28 (153.954 km/h)
2Robin Frijns17 (155.792 km/h)24 (153.953 km/h)
3Rene Rast12 (156.536 km/h)29 (153.632 km/h)
4Loic Duval15 (155.933 km/h)26 (153.293 km/h)
5Jonathan Aberdein20 (155.793 km/h)21 (152.780 km/h)
6Nico Müller10 (154.909 km/h)31 (153.943 km/h)

Boxenstopp vereitelt Plan

Bei Rast dauerte der Reifenwechsel 8,9 Sekunden - genau 1,5 Sekunden länger als bei Green, der eine Runde später in die Boxengasse abbog und damit praktisch einen Overcut gegen den eigenen Rosberg-Teamkollegen absolvierte. Mit dem Resultat, dass sich Rast nach seiner Outlap in 1:59.071 Minuten direkt hinter dem aus der Boxenausfahrt abgebogenen Green einreihen musste.

Wäre der Radwechsel in Reaktion auf Müllers sehr frühen Boxenstopp bei Rast schneller vonstattengegangen, wäre der Team-Plan wohl erst einmal aufgegangen: Rast hätte seine frischen Reifen nutzen können, während Green dahinter in freier Fahrt seine kalten Hankooks ins richtige Arbeitsfenster hätte bringen und gegen den direkt dahinterfahrenden Müller abschirmen können.

DTM-Champion 2019 Rene Rast im Exklusiv-Interview (09:51 Min.)

Outlap des Lebens

Während die meisten Experten erwarteten, dass Green in Runde 14 Hintermann Rast ähnlich wie zuletzt am Lausitzring kampflos passieren lassen würde, verfolgte der spätere Sieger andere Pläne.

Green fuhr trotz Kampflinien-Einsatz die Outlap seines Lebens! In nur 1:57.487 Minuten umrundete er die 3,629 Kilometer lange Kurzanbindung des Nürburgrings. Nach Loic Duval (1:57.097) gelang Green die zweitschnellste Outlap im gesamten Starterfeld. Der Schlüssel zu seinem 17. DTM-Sieg und dem ersten seit dem Hockenheim-Finale 2017.

Boxenstopp-Vergleich: Green vs. Rast

ZahlenJamie GreenRene RastPunkte
Boxenstopp in Runde1312
Dauer Ein/Ausfahrt Box37,683 Sek.38,979 Sek.
Radwechsel7,4 Sek.8,9 Sek.
Inlap1:28.7911:28.656
Outlap1:57.4871:59.071

What the fuck? What the fuck?

Dass der Rosberg-Plan nicht aufgegangen war, kommentierte Rast zwischenzeitlich deutlich am Teamfunk: "What the fuck? What the fuck?" entglitt es dem sonst so beherrschten DTM-Phänomen der Neuzeit.

Rast nach dem Rennen im Interview mit Motorsport-Magazin.com: "Es kommt selten vor, dass dich der eigene Teamkollege overcuttet. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Normalerweise erwartest du das von einem Konkurrenten. Dadurch habe ich zwei, drei Sekunden verloren. Das war in dem Moment etwas frustrierend."

Greens Gewissensbisse

Nach der kritischen Runde 14 wurde erkenntlich, dass Green an diesem Sonntag über das bessere Paket verfügte und die Pace vorgeben konnte. So konnte der DTM-Veteran guten Gewissens dem Sieg entgegenfahren. Green: "Ich hatte die Pace, um vorne zu bleiben. Es war kein richtiger Kampf gegen Rene, das hat es für mich einfacher gemacht. Trotzdem ist es schwierig, weil ich zwar gewinnen, aber nicht Renes Situation beeinflussen wollte."

Als Rast in Runde 34 - 7 Umläufe vor Schluss - auch noch den zweiten Platz gegen Audi Sport Team Abt Sportsline-Fahrer Frijns nicht halten konnte, wurde es heikel. Gegen den Niederländer mit seinen fünf Runden frischeren Reifen sah Rast kein Land. Er selbst hatte sich zuvor für einen früher als geplanten Boxenstopp entschieden, um im Falle eines Safety-Cars gegen Müller gewappnet zu sein.

Meistermacher: Rosberg-Teamchef Arno Zensen mit Rene Rast und Jamie Green, Foto: Audi Communications Motorsport
Meistermacher: Rosberg-Teamchef Arno Zensen mit Rene Rast und Jamie Green, Foto: Audi Communications Motorsport

Sind wir Champion?

Der Fokus auf den einzig verbliebenen Titelrivalen verringerte Rasts Chancen auf den Sieg deutlich. Schließlich führte ihn nur Aberdein mit seinem späten Überholmanöver gegen Müller zum Meisterschaftstriumph.

Wie eng die Konstellation letztendlich war, zeigte sich in der kurzzeitigen Verwirrung am Rosberg-Teamfunk. "Sind wir Champion?", wollte Rast berechtigterweise wissen. Es dauerte tatsächlich eine halbe Minute, bis Teamchef Arno Zensen für Klarheit sorgte und Rast zum zweiten Titelgewinn mit der Mannschaft gratulierte.

Rast: "Als ich die Zielflagge gesehen hatte, wusste ich nicht, ob wir es geschafft haben. Ich war sogar frustiert, weil ich nur Dritter war. Als ich dann, da war ich schon in Kurve zwei, gehört habe, dass wir doch Meister sind, ist eine Riesenlast von meinen Schultern gefallen."