Als Andrea Dovizioso 2022 als Stammfahrer in die MotoGP zurückkam, war seine Zielsetzung klar. "Ich bin hier und habe einen Vertrag für ein Factory-Bike unterschreiben. Mein Ziel ist deshalb, die Weltmeisterschaft zu gewinnen", sagte er, als der Deal mit Yamaha und dem RNF Racing Team verkündet wurde.

Davon könnte Dovizioso aktuell kaum weiter entfernt sein. In den ersten elf Saisonrennen sammelte der Routinier nur zehn WM-Punkte und liegt damit in der Gesamtwertung auf dem 22. Rang, noch hinter Rookie-Teamkollege Darryn Binder. Von den 24 Stammfahrer der Saison 2022 schnitten bislang nur die Tech3-Neueinsteiger Remy Gardner und Raul Fernandez schlechter ab.

"Für mich ist in diesem Jahr jedes Rennen ein Albtraum", gesteht Dovizioso. "Ich versuche nur, die Rennen irgendwie zu überstehen. Es ist für mich unmöglich, eine Strategie auszuarbeiten und dann dementsprechende Entscheidungen zu treffen. Dafür fehlt es mir einfach am Speed." In der Vergangenheit galt Dovizioso ja als Meister des taktischen Rennfahrens, was ihm zwischen 2017 und 2019 drei Mal in Folge den Rang des Vizeweltmeisters einbrachte.

Seither hat sich in der Königsklasse aber einiges getan. Wer in den Rennen nicht von Beginn an vorne mitmischt, hat praktisch keine Chance auf Spitzenergebnisse. "Wenn du jetzt in der MotoGP weiter hinten im Feld bist, ist es wirklich schlimm", so Dovizioso. "Die Art, wie du das Motorrad fahren kannst, ändert sich völlig. Hinterherfahren ist schwierig, vor allem aufgrund des Vorderreifens."

Windschatten ist in der modernen MotoGP nicht unbedingt ein Vorteil, Foto: MotoGP.com
Windschatten ist in der modernen MotoGP nicht unbedingt ein Vorteil, Foto: MotoGP.com

Die Slicks aus dem Hause Michelin gelten als extrem temperaturanfällig. Wird der Vorderreifen nicht durch frische Luft gekühlt, sondern bekommt stattdessen die Hitze eines anderen Motorrads ab, steigt der Luftdruck rapide an. Die Bikes werden dadurch teils unkontrollierbar. Die MotoGP gibt einen minimalen Reifendruck von 1,9 bar an der Front vor, der in mehr als der Hälfte der Rennrunden erreicht werden muss.

Falsche MotoGP-Reifendrücke: Ist das schon Betrug? (07:36 Min.)

Das Problem: Da es bislang kein einheitliches Messsystem gibt, kommt es bei einer Unterschreitung zu keinen Strafen. Viele Teams und Fahrer unterschreiten deshalb diesen Grenzwert, um im Rennen für alle möglichen Szenarien gerüstet zu sein. "Ich will über diese Thematik gar nicht zu viel sprechen", seufzt Dovizioso. "Die meisten Fahrer bewegen sich unter dem Limit, weil es dafür ja keine Strafen gibst. Wenn du dich da an die Regeln hältst, machst du einen Fehler."

Andrea Dovizioso vor MotoGP-Abschied

Fest steht, dass Doviziosos MotoGP-Comeback nach der Auszeit im Jahr 2021 nur als gescheitert eingestuft werden kann. Vereinzelte Punkteresultate können nicht der Anspruch eines dreifachen MotoGP-Vizeweltmeisters sein. Dass er aktuell keinen Spaß mehr an der Königsklasse hat, ist Dovizioso deutlich anzusehen. Vor Saisonbeginn erklärte er, eine Fortsetzung seiner Karriere über 2022 hinaus hänge ausschließlich von seinen Resultaten ab. Demnach kann es für den 36-Jährigen eigentlich nur eine Entscheidung geben - das Karriereende.