"Ich glaube nicht, dass viele Menschen das haben kommen sehen. Aber es ist phänomenal und für mich als Fahrer ein großer Vertrauensboost. Das BMW-Werkscockpit ist ein echter Beleg für das, was ich während des Auswahlprozesses geleistet habe." Auch Jake Dennis war bewusst, dass die Fahrerwahl des Autobauers aus München für eine Überraschung sorgen würde.

Anstatt nach dem DTM-Ausstieg einen der sechs Werksfahrer ins Formel-E-Cockpit zu hieven, erhielt der hierzulande eher unbekannte Jake Dennis den Vorzug. Der Brite startet im Januar 2021 an der Seite von Maximilian Günther in seine erste Saison in der Elektro-Formelserie. Dennis hatte sich nach einem internen Auswahlprozess mit Testfahrten und Simulator-Sessions gegen mehrere Kandidaten durchgesetzt.

DTM-Fahrer wie Philipp Eng oder Lucas Auer, die ihre BMW-Karriere gern in der Formel E fortgeführt hätten, schauten in die Röhre. "BMW kann ins Auto setzen, wen sie möchten", sagte der Österreicher Eng. "Das entscheide ich nicht. Ich kann nur sagen, dass ich auch gerne in der Formel E gefahren wäre."

Jens Marquardt, der seinen letzten Auftritt als BMW-Motorsportdirektor beim DTM-Finale in Hockenheim hatte, segnete die Fahrerwahl nach interner Empfehlung ab. In der Formel E pflegt BMW seit längerer Zeit eine Partnerschaft mit US-Rennstall Andretti, Teamchef ist der Brite Roger Griffith.

"Wir denken, dass es die beste Entscheidung war", sagte Marquardt und verwies auf ehemalige Formel-E-Fahrer bei BMW wie den amtierenden Champion Antonio Felix da Costa (DS Techeetah) oder Dennis' Vorgänger Alex Sims (jetzt Mahindra). "Unsere Werksfahrer sind alle Profis. Sie wissen, dass die Entscheidung fair und transparent getroffen wurde. Sie haben die Entscheidung akzeptiert."

Wie es mit den bisherigen Werksfahrern um Eng, Auer, Marco Wittmann, Timo Glock, Sheldon van der Linde oder Jonathan Aberdein weitergeht, ist unklar. Während Glock auf die Ungewissheit angesichts der Corona-Krise verwies und Youngster van der Linde auf eine Zukunft im GT-Programm hoffen kann, sind Vertragsgespräche im Gange.

Eng, der mit BMW auch auf zahlreiche Erfolge im GT3-Sport zurückblickt: "Wir haben seit 2016 eine sehr gute und loyale Partnerschaft. Sie haben mir meinen ersten - uns bisher einzigen - Werksvertrag gegeben. Wir hatten zusammen tolle Erfolge und ich sehe keinen Grund, warum sich daran etwas ändern sollte. Ich würde gern mit BMW weitermachen. Ich kann nicht viel sagen, aber es sieht nicht so schlecht aus."

Foto: BMW AG
Foto: BMW AG

Während Auer im März dieses Jahres und Wittmann 2019 bei den offiziellen Rookie-Tests der Formel E in Marrakesch für BMW testeten, erwartet Dennis Neuland. Der 25-Jährige saß vor seinen privaten Testfahrten mit BMW noch nie in einem Formel-E-Auto und hatte im Corona-Jahr 2020 überhaupt keine Renneinsätze. Zuletzt war er als Simulatorfahrer bei Red Bull sowie bei R-Motorsport, mit denen er 2019 in der DTM debütierte, angestellt.

"Ich war auf jeden Fall nervös und der Druck war da, weil es um ein freies Cockpit ging", sagte Dennis nach seinen ersten Erfahrungen mit BMW. "In einem Formelauto saß ich zuletzt beim Formel-1-Test 2018 in Budapest und davor 2017 für Carlin in der Formel 3. Es war eine Kombination, wieder in ein Rennauto zu steigen und mich an einen reinelektrischen Wagen gewöhnen zu müssen, der sehr stark durch die Software bestimmt wird."

Dennis glaubte, dass seine Erfahrung im Formel-Nachwuchsbereich geholfen habe, das BMW-Werkscockpit zu bekommen. Von 2012 bis 2017 fuhr er in der Formel Renault 2.0 sowie der Formel 3 Euro Series, bevor er sich aus finanziellen Gründen in Richtung GT-Sport orientierte. Auf seinen Formel-E-Teamkollegen Günther traf Dennis bereits 2015, als sie bei einem Rennwochenende in der F3 Euro Series gemeinsam für Prema an den Start gingen.

Dennis: "Die Leute nehmen unterschiedliche Wege und wir entschieden damals, dass aus Budget-Gründen der realistischste für mich in den GT-Sport führt. Ich würde jüngere Fahrer ermutigen, mit einem realistischen Blick auf das eigene Budget auch relativ früh Bereiche wie Sportwagen in Betracht zu ziehen. Gleichzeitig denke ich, dass Erfahrungen in hochklassigen Single-Seater-Serien unglaublich wertvoll sein können."

Foto: LAT Images
Foto: LAT Images

BMW war in der Vergangenheit selten bekannt dafür, Fahrer aufgrund ihrer Bekanntheit zu verpflichten. Auch die Nationalität spielte meist eine untergeordnete Rolle. Für die Entscheidung, Felix da Costa zum Ende vergangenen Saison zu DS Techeetah ziehen zu lassen, wo er auf Anhieb die Meisterschaft gewann, ernteten die Münchner international Kritik.

Das Risiko, mit Günther auf einen jungen Fahrer mit begrenzter Formel-E-Erfahrung zu setzen, zahlte sich hingegen aus. Der 23-Jährige zahlte das Vertrauen mit Siegen in Santiago und Berlin zurück und übernimmt nun die Rolle als Team-Leader. Dennis hob Günthers Teamwork in der Vorbereitung hervor und sagte: "Da sich die Stadtkurse nicht mehr so verändern, ist die Herausforderung für Rookies noch größer. Zunächst möchte ich mich mit Max vergleichen, mehr kann ich zu Beginn nicht machen."