Oliver Bearman hat das erste Formel-1-Qualifying seiner Karriere abgeschlossen. Für Ferrari. Mit einer mehr als beachtlichen Leistung. Und als Elfter mit nur 36 Tausendstel Rückstand auf Lewis Hamilton. Es war ein Wahnsinns-Tag für den Ersatzmann von Carlos Sainz, der sechs Stunden davor noch keinen blassen Schimmer hatte, was auf ihn zukam.

"Als ich ihn angerufen habe, war es gerade zwei Uhr", verrät Ferrari-Teamchef Fred Vasseur auf 'F1TV'. "Ich bat ihn zu kommen." Carlos Sainz war mit einer Blinddarmendzündung im Krankenhaus. Bearman, der keine 24 Stunden davor seinen Prema-Boliden auf die Formel-2-Pole gestellt hatte, war plötzlich Mann der Stunde. Ein Portrait des Nachwuchs-Stars könnt ihr hier lesen:

"Ich war voll in der Formel-2-Vorbereitung", meint Bearman. Zweieinhalb Stunden vor Beginn des 3. Trainings erfuhr der erst 18-jährige Brite, dass er im Formel-1-Ferrari das restliche Jeddah-Wochenende bestreiten würde.

Bearman völlig gelöst: Keine Zeit für Nervosität im Qualifying

Nervös will Bearman in den darauffolgenden sechs Stunden nie gewesen sein: "Ich hatte keine Zeit! Ich habe mich nur darauf konzentriert, was los war, was zu tun war. Keine Zeit, um den Ernst der Lage zu erfassen. Vielleicht war das gut." Kein Blick aufs Handy, nicht einmal ein Wort mit seinem Vater wechselte er, obwohl der das Qualifying in der Ferrari-Garage verbrachte: "Ich habe ihn gar nicht gesehen! Ich bin nur zum Auto, zu den Ingenieuren, zum Auto."

Ferrari-Ersatzfahrer Oliver Bearman
Oliver Bearman in seinem ersten F1-Qualifying, Foto: LAT Images

Bis auf zwei Freie Trainings im letztjährigen Haas, 110 Runden im Young-Driver Test von Abu Dhabi 2023 und einen Test im 2022er-Ferrari hatte Bearman am Freitagmorgen keine Formel-1-Erfahrung. Ihm blieb nur ein Training, um sich auf sein erstes Qualifying einzuschießen, und in FP3 gab es auch noch eine Unterbrechung durch eine rote Flagge.

Bearman matcht sich mit Hamilton um Top-10-Startplatz

Mit 22 Runden im SF-24 startete Bearman daraufhin um 18:00 Uhr Ortszeit in das erste Qualifying seiner Formel-1-Karriere. Erste Hürde: Q1. Schaffte er mit einem guten neunten Platz und knappen zwei Zehnteln Puffer noch recht locker. Die richtige Herausforderung kam danach.

Auf dem Papier hatte der Ferrari locker die Pace für die erste Reihe, wie Teamkollege Charles Leclerc mit Startplatz zwei bewies. Aber beim brutal engen Verfolgerfeld der Formel 1 bezahlt man Fehler teuer. Auf dem entscheidenden Versuch mit dem zweiten Soft-Reifensatz patzte Bearman. Am Eingang zur letzten schnellen Schikane war er zu gierig, musste über den Kerb räubern.

Ein letzter Reifenwechsel war nicht mehr möglich, also musste Bearman auf der Strecke die Reifen abkühlen und dann noch einen Versuch auf dem alten Satz wagen: "Die Reifen waren für die zweite Runde nicht im besten Fenster. Mein Fehler. Die zweite Runde war recht gut, aber die Lücken sind so eng. Ich sehe Kleinigkeiten hier und da."

36 Tausendstel hätte er gebraucht, um einen mit der Balance hadernden Lewis Hamilton dann noch aus Q3 zu kicken. Gerade mit den alten Reifen eine große Leistung. "Ganz ehrlich, ein fantastischer Job", lobt Teamchef Fred Vasseur. "Er hat mehr geschafft, als wir erwartet haben. Jetzt muss er das auch morgen machen."

Bearman fast unvorbereitet auf das erste Formel-1-Rennen

Das Rennen wird für Bearman noch einmal eine andere Hausnummer. Einen einzigen Probestart bekam er in FP3, das nimmt er mit Humor: "Einer ist besser als keiner!" Auch das Boxenstopp-Prozedere hat er fast gar nicht geübt. Und es ist das bisher längste Rennen seiner jungen Motorsport-Karriere. Eineinhalb Stunden im Formel-1-Auto durch die Betonschlucht von Jeddah ist dafür ein harter Auftakt.

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Körperlich fühlt er sich fit: "Es ist ein großer Schritt von F2, aber ich bin immer bereit für den Fall, dass die F1-Chance kommt." Punkte sind nicht das erste Ziel, aber sicher auf dem Radar: "Keine Fehler. Langsam aufbauen. Ins Ziel kommen. Chaos vermeiden. Erfahrung für mich sammeln. Und hoffentlich springen am Ende ein paar Punkte dabei raus."

Wirklich verarbeitet hat er die Situation aber auch nach dem Qualifying noch nicht. Dass er etwa sein Rookie-Debüt für Ferrari gibt. Etwas, das es seit Arturo Merzario 1972 nicht mehr gab. "Am Montag werde ich es sicher realisieren, und recht stolz sein. Jetzt will ich erst einmal nur alles maximieren, dem Team Punkte bringen." Mehr zum Qualifying gibt es hier: