Die Formel 1 erlebte ein bizarres Szenario in Katar. Weil offenbar Kerbs in schnellen Passagen die Struktur der Reifen beschädigten, fühlten sich FIA und Pirelli dazu genötigt, eine maximale Stintlänge von 18 Runden im Rennen einzuführen und damit den GP effektiv zu einem Dreistopp-Rennen zu machen. Was die Reifen schützte, sorgte aber im Cockpit für Stress. Denn diese Pflichtstopps lösten eines der schnellsten Rennen der Turbo-Hybrid-Ära aus.

Dabei geht es nicht um die Gesamtzeit des Rennens. Die war nach einem frühen Safety Car mit einer Stunde und 27 Minuten nichts Besonderes. Es geht um das tatsächliche Tempo auf der Strecke. "Ich denke, es wurde zu einem Rennen, in dem wir voll pushen konnten, oder beinahe konnten, was ich in der Formel 1 wohl noch nie sagen konnte", erklärt der zweitplatzierte Oscar Piastri danach.

Reifen-Grenze ermöglicht Formel-1-Fahrer einen Vollgas-GP

Wie genau kam es dazu? Die Reifen-Sorgen liefen primär auf die strukturelle Integrität hinaus. Es ging aber nicht um einen übermäßigen Abbau. Daher kamen die Strategie-Abteilungen der Teams nach Simulations-Nachtschichten und Überstunden vor dem Rennen zu einem einfachen Schluss: Wenn wir die Reifen sowieso nach spätestens 18 Runden wieder abgeben müssen, dann können wir das übliche Reifensparen sein lassen.

Denn eigentlich läuft jedes Formel-1-Rennen darauf hinaus. Die von Pirelli stets als verschleißintensiv designten Reifen sind ein massiv limitierender Faktor. Weil ein Boxenstopp auf fast allen Strecken 20 Sekunden oder mehr kostet, wird in den Strategie-Simulationen gegengerechnet: Können wir uns durch langsamere Pace einen Boxenstopp sparen?

Das wird ergänzt durch Benzin-Management, erst recht mit den schweren Hybrid-Autos: Wie wenig Benzin können wir einfüllen, um mit einem leichteren Auto situative Vorteile zu haben? Konsequenz: Die Rennpace ist in praktisch jedem Rennen in der Hybrid-Ära nicht nur eine, sondern mehrere Sekunden langsamer. Zwischen Australien 2014 und Japan 2023 gab es kein einziges trockenes Wochenende, bei dem die schnellste Rennrunde bis auf eine Sekunde an die Pole-Zeit herankam.

2023 war die schnellste Runde vor Katar im Schnitt 3,883 Sekunden langsamer. Rechnet man es auf Prozent um, um die variierenden Distanzen miteinzubeziehen, ist eine schnellste Rennrunde im Schnitt um 4,68 Prozent langsamer. "Vor Katar" ist bei allen diesen Statistiken ein wichtiger Zusatz. Denn in Katar war Max Verstappens Pole eine 1:23,778. Seine schnellste Runde war eine 1:24,319, nur eine halbe Sekunde langsamer.

Wie schnell war Katar 2023 wirklich?

Es handelt sich auch nicht um einen Zufall, etwa durch einen Reifen-Vorteil bei Verstappen ausgelöst. Die Top-3 waren im ersten Stint mit vollen Tanks schon bis auf weniger als sechs Sekunden im Schnitt an ihren Qualifying-Zeiten dran. Im vierten und letzten Stint schmolz ihr durchschnittlicher Rückstand auf knapp eine Sekunde.

Ein Vergleich mit Japan illustriert, wie es sonst läuft. Japan, das war das genaue Gegenteil, mit extremem Reifensparen wegen der hohen Belastungen. Dennoch wollte niemand mit einem dritten Boxenstopp Zeit verlieren. Die Top-3 dort - wieder Verstappen, Lando Norris und Oscar Piastri - waren im ersten Stint im Schnitt gar über neun Sekunden langsamer als im Qualifying. Auch im letzten Stint zwang sie das Reifenmanagement noch immer, an die sieben Sekunden rauszunehmen.

Auch der Vergleich mit Katar 2021 - beim Debüt der Strecke war es ein konventionelles Zweistopp-Rennen - zeigt ein ähnliches Bild. Die damaligen Pacesetter Verstappen und Lewis Hamilton kamen über die Renndistanz im Schnitt nur bis auf sechs Sekunden an ihre Quali-Zeiten heran, waren im Schnitt sieben Prozent langsamer.

Reifen-Krise führt in Katar so zu Hitze-Krise

Unbewusst sorgte die Lösung der Reifen-Gefahr für ein anderes Problem. Die Fahrer mussten bei über 30 Grad Lufttemperatur und über 70 Grad Luftfeuchtigkeit plötzlich über eine ganze Renndistanz Tempo machen wie seit Jahren nicht mehr. "Das hat es wohl etwas härter gemacht", analysiert Max Verstappen. "Wir mussten richtig hart pushen da draußen."

Ob man das Auto durch die schnellen Passagen in Katar trägt, oder ob man es ernsthaft am Limit bewegt, macht dann eben noch einmal einen deutlichen Unterschied. Nicht zuletzt deshalb waren die Fahrer am Ende des Rennens körperlich so am Ende, dass gleich mehrere das Medical Center aufsuchten.

Pflichtstopps als Lösung für den Reifen-Bummelzug?

Abgesehen vom Hitzeproblem - welches letztendlich primär auf die Umgebung zurückzuführen ist und bei fast allen anderen Rennen nicht auftreten würde - hinterlässt die Feststellung, dass die Formel 1 zum ersten Mal seit Jahren eine ganze Renndistanz ernsthaft gepusht hat, natürlich Fragen. Immer wieder beschweren sich schließlich alle, von Fans bis Fahrer, über das extreme Reifenmanagement im Rennen.

Hitze-Albtraum in Katar: Formel-1-Fahrer fast ohnmächtig! (10:00 Min.)

Wären also Pflichtstopps oder Maximal-Stintlängen eine Lösung, um den Speed wieder in die Grands Prix zurückzubringen? Strategen im Paddock zweifeln daran, dass die Idee wirklich echtes Potenzial hätte. In Katar war viel Bewegung im Feld - aber wohl nur, weil die Strategie-Abteilungen mit minimaler Vorbereitungszeit improvisieren mussten. Die finale Entscheidung, die Stint-Längen zu beschränken, kam erst Sonntagmittag.

Weil solche Limits so restriktiv sind, glaubt niemand so recht dran, dass langfristig Spannung dadurch entstehen würde. Haben sich die Teams erst einmal eingegroovt, würden alle nur mehr Optimal-Strategien fahren. Die Luft wäre draußen.