Lando Norris war nach dem Formel-1-Rennen in Katar niedergeschlagen. Der vierte Podest-Platz in Serie (inklusive Sprint) war nur ein schwacher Trost für den McLaren-Fahrer. "Ich hätte um zwei Poles und zwei Siege kämpfen können", war er sich sicher. Dass Norris im Sprint mit einer besseren Startposition und einem besseren Start auch an der Stelle von Oscar Piastri hätte stehen können, steht außer Frage. Auch, dass er in beiden Qualifying-Sessions sein Potenzial nicht maximieren konnte. Aber war im Rennen tatsächlich der Sieg drin?

Ein Blick auf das Ergebnis legt nahe, dass der Vorsprung von Verstappen in Katar bei weitem nicht so eklatant war wie bei vielen anderen Rennen in dieser Saison. Der Niederländer überquerte die Ziellinie nur 4,8 Sekunden vor Oscar Piastri und 5,9 Sekunden vor Norris, der im Renntrimm klar der Schnellere der beiden McLaren-Piloten war.

Reifen-Drama: Red Bull verliert größten Trumpf

Red Bull konnte aufgrund der maximal vorgeschriebenen Stintlänge seine größte Trumpfkarte nicht voll ausspielen: Das Reifenmanagement. Normalerweise lässt der RB19 im Vergleich zur Konkurrenz immer dann seine Muskeln spielen, wenn die Reifen älter werden. In Katar reichten die 18-Runden-Stints nicht aus, um diesen Vorteil voll zur Geltung zu bringen. Die Pace-Steigerung am Ende eines jeden Stints lieferte aber einen klaren Hinweis darauf, dass Verstappen immer noch mehr im Köcher hatte als Norris.

Doch auch abgesehen davon ist das Ergebnis von beiden Seiten etwas verfälscht. Zunächst einmal musste sich Lando Norris durch den Verkehr arbeiten, nachdem er sich am Freitag nur auf der zehnten Position qualifiziert hatte. Am Ende seiner ersten beiden Stints hatte er so einen Rückstand von etwa 16 Sekunden aufgebaut. Piastri lag zu diesem Zeitpunkt acht Sekunden hinter dem späteren Rennsieger.

Max Verstappen defensiv: Red Bull setzt absichtlich auf schlechtere Strategie

Auf der anderen Seite gaben McLaren und Red Bull jeweils unterschiedliche strategische Ziele aus. Red Bull setzte auf Risiko-Minimierung und kalkulierte Verstappens Stintlänge so, um möglichst keine bösen Überraschungen in Form eines Safety Cars auf den letzten Runden zu erleben.

"Wir fuhren über die optimale Strategie hinaus, um sicherzustellen, dass wir in diesem Fall abgedeckt waren. Falls die Fahrer hinter uns einen gratis Boxenstopp hatten, gaben wir Max so die bestmöglichen Reifen", erklärte Teamchef Christian Horner. So dauerten Verstappens erste drei Stints jeweils 17 Runden (zweimal entsprach dies dem erlaubten Maximum). Der letzte Stint ging über gerade einmal sechs Runden.

McLaren viertelt das Rennen: Verkehr-Nachteil beim 1. Stopp

McLaren hingegen teilte sich das Rennen in vier ähnliche lang Stints ein. Nur vor dem dritten Boxenstopp orientierten sich Piasri und Norris mit 17 und 18 Runden am Limit. Dazu war man zum Teil auch gezwungen, da die gebrauchten Medium-Reifen des Teams aus Woking bereits mehr Runden abgeleistet hatten und so die ersten beiden Stints regelbedingt kürzer ausfallen mussten.

Nach dem ersten Stopp war das noch ein klarer Nachteil, da sowohl Norris als auch Piastri in den Verkehr fielen und dort viel Zeit liegen ließen. Außerdem zog Verstappen zu diesem Zeitpunkt erst so richtig das Tempo an. Zuvor war er permanent tiefe 1:29er-Zeiten gefahren, vor seinem Boxenstopp steigerte er sich bis auf eine Rundenzeit von 1:27,8.

Verstappen denkt, dass diese Rennphase schon früh den Unterschied machte: "Der erste Stint hat das Rennen entschieden. Nachher konnte ich meine Pace managen und musste nur darauf achten, dass die Reifen immer in einem guten Fenster waren."

Der Vergleich: Piastri lag vor seinem ersten Stopp 2,9 Sekunden hinter dem Weltmeister. Nachdem Verstappen fünf Runden später gestoppt hatte, war der Rückstand des Australiers auf über acht Sekunden angewachsen. Norris verlor ähnlich viel Zeit, nur mit dem Unterschied, dass er für den Großteil des ersten Stints sowieso im Verkehr unterwegs war.

2. Rennhälfte: McLaren mit Undercut-Vorteil

Norris und Piastri hatten dadurch gegen Max Verstappen in der zweiten Rennhälfte jedoch jeweils einen klaren Undercut-Vorteil und durch den großen Vorsprung lag die Priorität bei dem Dreifach-Champion auch fahrerisch auf Reifenmanagement und Verwaltung. "Ich denke wir hatten immer ein bisschen mehr Pace in der Hinterhand, wenn wir sie benötigt hätten", sagte Verstappen.

Die McLarens machten vor allem auf dem letzten Stint viel Zeit auf den Niederländer gut. Red Bull verlängerte Verstappens Rennabschnitt auf dem unbeliebteren harten Reifen, um sich auf den letzten Runden mit den Mediums notfalls verteidigen zu können. Das kostete ihm bis zu eine Sekunde pro Runde. Nach seinem Wechsel in Runde 51 auf die gelb markierten Pneus lag der Fokus auf der schnellsten Rennrunde. Das bedeutete: Batterie laden und auf der vorletzten Runde dann den Zeitangriff starten. Dass der letzte Red-Bull-Stopp mit einer Dauer von 4,1 Sekunden auch nicht ganz aufging, kommt noch dazu.

Norris: Waren phasenweise schneller als Verstappen

Lando Norris betonte in der Pressekonferenz: "Zu einigen Zeiten im Rennen waren wir sogar schneller als Max." Doch die Daten-Analyse legt nahe, dass er das praktisch nur immer dann war, sobald das Reifendelta McLaren in die Hände spielte. Am Ende jedes Medium-Stints war Verstappen deutlich schneller als es Norris oder Piastri ihrerseits am Ende eines Stints zu einem vergleichbaren Zeitpunkt im Rennen waren - auch auf älteren Reifen.

Fazit: Es ist schwierig einzuschätzen, ob Norris tatsächlich mit einer besseren Startposition Verstappen unter Druck hätte setzen können. Schon alleine deshalb, weil dann Red Bull eine etwas aggressivere Strategie eingeschlagen und Verstappen mehr angegast hätte. Die Rundenzeiten legen nahe, dass der Champion immer noch ausreichend im Köcher hatte, um auf einen McLaren-Angriff zu reagieren. Red Bull managte sich zum Sieg und konnte sich dabei den Luxus leisten, den großen Vorsprung für die Minimierung des Safety-Car-Risikos zu opfern. Norris war zwar nahe dran, aber schneller als der Red Bull war er wohl kaum.