Nun ist die Katze aus dem Sack: Andretti soll, wenn es nach der FIA geht, das elfte Formel-1-Team werden. Der Automobilweltverband hat den US-Amerikanern nach einem ausführlichen Auswahlverfahren attestiert, bereit für die Königsklasse des Motorsports zu sein. Der Einstieg ist damit aber noch nicht fix, weil Andretti auch noch den Segen des Kommerziellen Rechteinhabers braucht. Drei weitere Bewerber um einen zusätzlichen Startplatz hat die FIA abgelehnt.

Bei den abgelehnten Bewerbern handelt es sich um Hitech26, hinter dem Oliver Oakes und das Hitech-Team stecken, Rodin Carlin, ebenfalls ein bekanntes Team aus dem Nachwuchssport und um LKYSUNZ (sprich Lucky Sun, Glückliche Sonne) aus Südostasien, dem ursprünglichen Panthera Team Asia.

Im Februar 2023 hatte die FIA bereits mit Phase 1 im Bewerbungsprozess begonnen. Sieben Interessenten fragten daraufhin binnen einer zweiwöchigen Frist nach näheren Details und bezahlten die dafür fällige Verwaltungsgebühr von 20.000 US-Dollar.

In Phase 2, dem eigentlichen Bewerbungsprozess, mussten die Bewerber bis zum 30. April einen extrem umfangreichen Fragenkatalog beantworten. Nur noch vier potenzielle Neueinsteiger waren in diesem Stadium involviert. Dafür wurde eine Bewerbungsgebühr von 280.000 US-Dollar fällig. Die hatte drei der sieben ursprünglichen Interessenten abgeschreckt.

Neue Formel-1-Teams werden zur großen Streitfrage

Eigentlich wollte die FIA bis zum 30. Juni eine Entscheidung darüber getroffen haben, ob und wie viele zusätzliche Startlizenzen für die Formel-1-Saison 2025, 2026 oder 2027 ausgestellt werden. Allerdings verzögerte sich der Prozess immer weiter, weil es im Hintergrund bereits rumorte.

Längst waren nicht alle im Fahrerlager von der Idee begeistert, das Starterfeld zu vergrößern. Seit 2021 die Budget-Obergrenze in Kraft trat und der Sport zu boomen begann, wurde aus der Geldverbrennungsmaschine Formel 1 ein Businessmodell. Waren vor einigen Jahren Teams noch schwer verkäuflich, stiegen ihre Werte nun in unermessliche Höhen.

Deshalb wollen die zehn bestehenden Teams lieber unter sich bleiben und die Antritts- und Preisgelder, die vom Kommerziellen Rechteinhaber Liberty Media ausgeschüttet werden, untereinander aufteilen.

Das Argument, dass mit zusätzlichen Teams der Kuchen größer wird und die einzelnen Stücke so zumindest nicht kleiner werden, fand im Zirkus nur bedingt Gehör. Deshalb forderten die Teams stets, dass ein neues Team auch einen entsprechenden Mehrwert bieten müsse. Daraufhin spannte sich Andretti mit Cadillac zusammen, um mit General Motors einen der größten Autokonzerne der Welt hinter sich zu wissen. Einem Automobilgiganten könnte sich die Formel 1 doch nicht verschließen?

Etablierte Formel-1-Teams: Heftige Gegenwehr im Fall Andretti

Im Hintergrund versuchten und versuchen die Teams noch immer alles, um den Einstieg zu verhindern. Zuletzt soll man sogar versucht haben, Alpine dazu zu bewegen, doch keine Liaison mit Andretti einzugehen. Denn mit einem eigenen Motor können Andretti und Cadillac nicht dienen. Das Triebwerk und noch weitere technische Komponenten sollten von Alpine kommen.

Ohne Motor kein Team, so dachten viele im Zirkus. Dass das Reglement einen Passus hat, der eine Belieferungspflicht vorsieht, war ihnen egal. Das Reglement kann man vergleichsweise einfach ändern, sobald sich alle Teams und die Formel 1 einig sind.

Man ließ nichts unversucht, um Andretti Cadillac zu verhindern. Auch einen Keil wollte man zwischen das US-amerikanische Gespann treiben. Vergeblich. Andretti und Cadillac zogen das Projekt gemeinsam durch - und erhielt von der FIA nun die Lizenz.

Hier liegt die größte Hürde für Andrettis Formel-1-Einstieg

Allerdings steht nun Phase 3 bevor. Und hier wartet die größte Hürde. Dass die FIA Andretti gerne in der Formel 1 hätte, ist ein offenes Geheimnis. Präsident Mohammed Ben Sulayem stellt in einer Presseaussendung klar: "Unser Ziel war, nach rigoroser Prüfung in der Bewerbungsphase nur Einstiegsinteressenten zu bestätigen, welche die Kriterien erfüllten und illustrierten, dass sie Mehrwert für den Sport mitbringen."

Denn in Phase 3 warten zehn gierige Teams und Liberty Media darauf, einen Grund zu finden, um den Einstieg noch zu verhindern. Als das aktuelle Concorde Agreement - das die kommerziellen Verträge zwischen F1 Teams abdeckt - unterschrieben wurde, hatte man dafür die Hürde von 200 Millionen US-Dollar vorgesehen. Das Geld sollte ein Neueinsteiger als Anti-Verwässerungsgebühr bezahlen. Quasi als Entschädigung dafür, dass der Kuchen nun in elf statt wie bisher zehn Stücke geteilt werden muss.

Als das Concorde Agreement unterschrieben wurde, hatte aber niemand damit gerechnet, dass sich die Formel 1 so entwickeln würde. Damals schien die Gebühr wie eine Garantie dafür, dass kein Neuer kommt. Als absehbar war, dass sich die Zeiten ändern, wollte man die Gebühr schnell auf 600 Millionen US-Dollar erhöhen.

Die Erhöhung soll in einem neuen Concorde Agreement festgeschrieben werden, das 2026 in Kraft tritt. Deshalb gilt der Einstieg zur Saison 2025 als magische Grenze. In der Ausschreibung sprach die FIA von einem Start 2025, 2026 oder 2027. Aus sportlicher Sicht würde es Sinn machen, 2026 einzusteigen, weil dann ein komplett neues Technisches Reglement in Kraft tritt.

Aus finanzieller Sicht macht aber der Start 2025 Sinn. Allerdings gibt es durchaus auch Stimmen, die Anti-Verwässerungsgebühr wäre gar nicht mit geltendem EU-Recht im Einklang. Manche sehen darin ein Kartell, andere zumindest einen Widerspruch zu einer EU-Direktive aus dem Jahr 2000, die den Zugang zu Motorsportveranstaltungen erleichtert.

Tatsächlich ist auch FIA-Präsident Ben Sulayem nicht verlegen im Rahmen der Andretti-Bestätigung hervorzuheben: "Die FIA ist dazu verpflichtet, jene Bewerbungen zu akzeptieren, welche den Vorgaben der Interessensbekundung entsprechen. Wir haben das Verfahren befolgt, um zu entscheiden, dass Andretti Formula Racing LLC in die nächste Stufe des Bewerbungsprozesses vorrückt. Mit dieser Entscheidung handelt die FIA im Sinne der EU-Direktiven zur Motorsport-Teilnahme und Entwicklung."

FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem und F1-CEO Stefano Domenicali in der Startaufstellung von Singapur
FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem und F1-CEO Stefano Domenicali, Foto: LAT Images

Trotzdem lautete das Ziel potenzieller Neueinsteiger stets 2025, um dieses Problem von vornherein zu verhindern. Deshalb wurden bereits im Vorfeld, auch ohne die ausgestellte FIA-Lizenz, Millionen investiert.

Auch Formel-1-Management eine Hürde für Andretti

Nur Andretti Cadillac hat das Geld nicht versenkt. Aber sicher ist der Einstieg des US-Duos eben auch noch nicht. Neben den Teams wehrt sich nämlich auch Liberty Media gegen die Idee, das Starterfeld zu vergrößern. Im Gegensatz zu den Teams hat der Kommerzielle Rechteinhaber bei der Angelegenheit auch offiziell und formell etwas zu sagen.

Denn Andretti braucht für das vollständige Concorde Agreement auch Liberty Media. Die Idee, ohne kommerziellen Vertrag zu fahren, dann aber auch nicht im TV gezeigt zu werden, funktionierte einst. Manor nahm diesen Schritt vor einigen Jahren ins Visier. Man hatte die Starterlaubnis, aber keinen kommerziellen Vertrag. Damals drohten die Manor-Bosse, zu denen auch Graeme Lowdon gehörte, gegen die da noch von Bernie Ecclestone geführte FOM (Formula One Management) klagen zu wollen, sollten ihre Boliden im TV zu sehen sein.

Manors F1-Anwesenheit war einst ein Streitfall, Foto: Sutton
Manors F1-Anwesenheit war einst ein Streitfall, Foto: Sutton

Es kam einer Erpressung gleich, die Erfolg hatte. Zumindest am Start würde man die Autos immer sehen. Manor bekam seinen Vertrag. Dieser Kniff funktioniert heute nicht mehr, im Concorde Agreement wurde die Lücke geschlossen. Andretti muss sich mit Liberty Media einigen.

Andretti-Einstieg wird zur Millionen-Frage

Warum sich Stefano Domenicali als Formel-1-Boss so schwer mit einem Neuling tut, ist nicht ganz klar. Der Gewinnanteil, der vom Kommerziellen Rechteinhaber an die Teams ausgeschüttet wird, ist von der Teamanzahl unabhängig. Aber die Verhandlungen zum neuen Concorde Agreement für 2026 laufen bereits. Wie immer wollen die Teams mehr Geld aus der F1-Schatulle. Je mehr Teams, desto schwieriger werden die Verhandlungen. Darauf, dass ein US-Team das gesamte Produkt und damit den Kuchen merklich vergrößert, setzt Domenicali offenbar nicht.

In dem Wissen, dass die wahre Hürde für Andretti erst Phase drei sein würde, wollte die FIA in ihrer Phase 2 besonders gründlich sein. Man wollte dem Kommerziellen Rechteinhaber nicht den Hauch einer Chance geben, einen plausiblen Grund zu finden, Andretti abzulehnen. Deshalb verschob sich die geplante Bekanntgabe mehrfach.

Das brachte die abgelehnten Bewerber wieder auf den Plan. LKYSUNZ wollte bei der Bewerbung noch einmal nachlegen und verkündete öffentlich, auf einer mehr oder weniger professionellen Website, dass man auch bereit wäre, die 600 Millionen US-Dollar zu bezahlen. Insgesamt hätte man ein Investment von 1,5 Milliarden in der Hinterhand. Allerdings war der Kandidat längst aus dem Rennen, die ursprünglichen Bewerbungen konnten nach der Deadline auch nicht mehr aufpoliert werden.

Michael Andretti zu Gast auf der Startaufstellung des Miami-GPs
Michael Andretti zu Gast beim Miami-GP, Foto: LAT Images

Während sich nun Andretti Cadillac mit der Formel 1 'rumärgern' darf, geht es der FIA mit den abgelehnten Bewerbern ähnlich. Alle haben bereits viel Geld investiert. Sie wollen von der FIA eine gute Erklärung, warum sie abgelehnt wurden. "Andretti Formula Racing LLC war die einzige Organisation, welche die Auswahlkriterien in allen materiellen Aspekten erfüllte", bemüht sich Präsident Ben Sulayem zu unterstreichen.

"Ich gratuliere Michael Andretti und seinem Team zu einer vollumfänglichen Einreichung, und ich möchte auch allen interessierten Teams für ihre Teilnahme danken", ergänzt Ben Sulayem.

"Wir schätzen das strenge, transparente und vollständige Bewertungsverfahren der FIA und freuen uns sehr über die Möglichkeit, an einer so historischen und prestigeträchtigen Meisterschaft teilnehmen zu können", teilte Andretti Cadillac am Abend in einer Presseaussendung mit. "Wir freuen uns darauf, mit allen Beteiligten in der Formel 1 zusammenzuarbeiten, während wir unsere Planungen fortsetzen, so bald wie möglich in die Formel 1 einzusteigen."

Jetzt liegt Andrettis Bewerbung beim Formel-1-Management. Dort hält man sich am Montag mit einem Minimal-Statement öffentlich zurück: "Wir nehmen die Schlussfolgerungen der FIA bezüglich der ersten zwei Phasen des Prozesses zur Kenntnis und werden jetzt unsere eigene Beurteilung des Wertes der verbleibenden Bewerbung vornehmen." Der Ausgang ist offen.