Die Formel 1 befindet sich in der Saison 2022 in der Sommerpause. Grund genug für Motorsport-Magazin.com, die erste Saisonhälfte der einzelnen Teams genauer unter die Lupe zu nehmen. Heute: Alpine wechselt von einem Langzeit-Plan zum nächsten, macht kaum Fortschritte und verliert reihenweise Fahrer.

Ziel vs. Realität: Alpine ruderte im Vorjahr zurück. Hatte das Team einst bei der Formel-1-Rückkehr (als Renault) 2016 das Ziel ausgegeben, ab 2021 um Siege zu kämpfen, so musste man im sechsten Jahr revidieren. Nach Cyril Abiteboul verabschiedete sich im Winter auch Marcin Budkowski nach einem Jahr als Quasi-Teamchef. Der erfahrene Otmar Szafnauer soll die in den letzten Jahren unter dem neuen Markenchef Laurent Rossi neu aufgestellte Mannschaft jetzt endlich raus aus der Stagnation führen.

Alonso auf P2 im Kanada-Qualifying, ein Ausreißer, Foto: LAT Images
Alonso auf P2 im Kanada-Qualifying, ein Ausreißer, Foto: LAT Images

Daher wurde im Winter ein neuer "100-Rennen-Plan" ausgegeben, um zum regelmäßigen Sieganwärter zu werden. Davon sind jetzt noch immer 87 Rennen übrig. So gesehen liegt das Team also im Plan, wenn es momentan mit McLaren um den Titel vierte Kraft kämpft. Real beurteilt befindet es sich aber wieder in etwa auf dem gleichen Platz, auf dem es sich seit Jahren bewegt. An der Spitze des Verfolgerfeldes. Diesen Platz hatte es schon 2018 erreicht. Die Sieger sind eine Sekunde weiter weg.

Entwicklung: Verglichen mit dem Vorjahr ist der neue Alpine A522 vor allem in Sachen Gesamtpaket ein Fortschritt. Er hat ein großes Arbeitsfenster, ist einfacher abzustimmen und berechenbarer in Q3 und in den Punkten zu finden. Das Team versteht das Auto gut und tut sich relativ leicht, jedes Wochenende Performance nahe dem Optimum zu extrahieren. Das war aber auch die Erwartung - denn eigentlich hatte Alpine sogar schon nach 2018 einst aufgehört, das damalige Chassis zu entwickeln, um sich für die Regel-Revolution 2022 (damals noch für 2021 geplant) vorzubereiten. Der A522 ist jetzt das kompletteste Auto des Teams seit dem Comeback, nur bei einem Rennen gingen sowohl Esteban Ocon als auch Fernando Alonso leer aus.

Ist dieser Fortschritt nun aber ausreichend? Für das Team ist er auf jeden Fall ein gutes Signal. Ein Paket zu bauen, das auf Setups und Updates immer so reagiert wie erwartet, zeugt von dem dringend nötigen Fortschritt in der davor oft in Zweifel gezogenen und inzwischen neu strukturierten Technik-Abteilung. Sich vom Rest des Mittelfeldes zu lösen und konstant Punkte einzufahren bedeutet aber nicht, dass die Lücke zu den Spitzenteams kleiner ist. Der Zeitrückstand lügt nicht, und beträgt im Schnitt im Rennen immer noch meistens über eine Sekunde pro Runde.

Während Mercedes nach schwachem Saisonstart schnell wieder davonfuhr und McLaren in den letzten Rennen aufholte, blieb Alpine auch mit soliden Upgrades immer in der gleichen Performance-Tasche. Vierte Kraft. Gelegentlich poppen Defekte auf, und beide Fahrer haben bereits das Power-Unit-Kontingent ausgeschöpft, technische Ausfälle gab es aber nur einen, und zumindest die Motor-Baustelle scheint inzwischen unter Kontrolle zu sein.

Der Höhepunkt: Frankreich
Während Esteban Ocon 2021 zu einem glücklichen Sieg in Ungarn kam, fehlt 2022 das große Ausreißer-Ergebnis. Fernando Alonso zog im verregneten Montreal mit Startplatz zwei eine große Show ab, doch aufgrund eines Defekts entglitt dem Team ein starkes Ergebnis. Die beste Team-Performance lieferten Alonso und Ocon in Frankreich ab, wo sie McLaren gut im Griff hatten und wo das Auto in allen Phasen das viertschnellste war.

In Frankreich fuhr Alonso McLaren deutlich davon, Foto: LAT Images
In Frankreich fuhr Alonso McLaren deutlich davon, Foto: LAT Images

Der Tiefpunkt: Imola
Nur in einem Rennen, nämlich Imola, blieben beide Fahrer ohne Punkte. Alonso wurde im Startgetümmel von Mick Schumacher touchiert, wonach sich sein Seitenkasten auflöste, während Ocon nach einem schwachen Qualifying nur mühsam nach vorne kam. Fairerweise muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass das Team konstant punktet und sonst keine Totalausfälle zu vermelden hatte.

Der Fahrermarkt-Tiefpunkt
Dafür gab es direkt im Anschluss an das Ungarn-Wochenende eine ganz andere Art von Tiefpunkt. Innerhalb von eineinhalb Tagen sprang überraschend Fernando Alonso, der davor noch über einen Vertrag für das nächste Jahr verhandelt hatte, zu Aston Martin ab, und dann weigerte sich Nachwuchskader-Pilot Oscar Piastri, die Beförderung anzunehmen. Addiert man Daniel Ricciardo, der 2020 darauf verzichtete, einen neuen Vertrag zu unterzeichnen, hat Alpine damit innerhalb von zwei Jahren drei hoch eingeschätzte Fahrer verloren.

Esteban Ocon:
Nur Esteban Ocon hält Alpine die Treue. Der Franzose fährt eine solide, wenngleich unauffällige Saison im Mittelfeld. Selten, aber doch, setzt er nach wie vor ein Qualifying komplett und ohne vollends schlüssige Erklärung in den Sand, und muss sich danach zurück durch das Feld kämpfen. Weniger Pech und anfangs bessere Umsetzung von guten Positionen brachten Ocon jedoch intern die Führung nach Punkten ein, hier steht es 58 zu 41.

Durchschnittsnote MSM-Fahrerranking: 2,86

Fernando Alonso:
Es ist eine turbulente Saison für Alonso. Gleich in den ersten Rennen wurde er von einer Pechserie heimgesucht, flog in Australien auf einer starken Quali-Runde ab, begann dann nach mehreren Strafen in Miami einen Kleinkrieg mit der FIA, an dessen Ende er in Barcelona nach harten Aussagen zurückrudern musste. Seitdem allerdings fährt er in bestechender Form, mit dem Highlight des zweiten Startplatzes in Kanada. In den letzten Rennen begann er sich etwas von Ocon abzusetzen, den Punkterückstand reduziert er langsam.

Durchschnittsnote MSM-Fahrerranking: 2,42

Kommentar: Alpine minimal besser - aber wirklich auf Kurs?

Motorsport-Magazin.com meint: Von einem langfristigen Comeback-Plan zum nächsten - dass Alpine nach dem Reglementwechsel trotzdem wieder nur im Mittelfeld fährt, ist an sich schon kein gutes Zeichen. Dass seit 2020 Daniel Ricciardo, Fernando Alonso und Oscar Piastri die bewusste Entscheidung trafen, das Team zu verlassen, ist erst recht kein gutes Zeichen. Dass das seit Jahren umgebaute Technik-Team in seiner 2022er-Fassung aber endlich einmal ein Auto hingestellt hat, das bisher bei jedem Rennen schnell war, ist wiederum ein gutes Zeichen. Wird der 100-Rennen-Plan je Erfolg haben, jetzt, wo das gesamte Management ausgetauscht wurde? Dafür ist es zu früh. Wenn der Erfolg je kommt, wird er wohl wirklich 100 Rennen dauern.