In der Formel 1 ist 2022 eine neue Ära der Boxenstopps angebrochen. Mit dem neuen technischen Reglement kamen fundamental andere Autos und neue 18-Zoll-Felgen, und nach den ersten 13 Rennen des Jahres lässt sich sagen: Es hat das Kräfteverhältnis bei den Boxenstopps, und die Stopps selbst, signifikant verändert. Nur nicht bei Red Bull, das sich von keiner Regeländerung aufhalten lässt.

Nach wie vor ist Red Bull in der Boxenstopp-Welt der Maßstab. Es gibt aber einen großen Aufsteiger, nämlich McLaren. Und einen Absteiger, nämlich Mercedes. Statistisch gibt es jedoch mit den neuen Regeln keinen, der sich abgesetzt hat. Aber ein Team, das so schlecht ist wie noch nie. Und die Analyse enthüllt noch viele Probleme.

Der erste Blick auf die Daten zeigt: Die Stopps sind wie erwartet langsamer. Zwei Faktoren überragen: Einmal wurden 2021 schon diverse Automatisierungsschritte im Freigabeprozess verboten. Und dann kommen natürlich die neuen Autos mit schwereren Felgen und komplett neuen Designs. Der schnellste Stopp des Jahres dauerte 2,19 Sekunden. Das ist weit weg vom F1-Weltrekord von 1,82 aus dem Jahr 2019. Im Gesamt-Schnitt gingen aber trotzdem nur knapp weniger als drei Zehntel verloren.

Red Bull hat sich an der Spitze gehalten. 70 Prozent ihrer regulären Boxenstopps dauern drei Sekunden oder weniger. Dass Ferrari - strategisch oft gescholten, aber in den Stopp-Prozessen seit dem Vorjahr top - die 60-Prozent-Quote ebenfalls schafft, überrascht nicht. Eher schon, dass McLaren den Anschluss hält. Die Truppe von Andreas Seidl wurde in den letzten Jahren oft gescholten.

"Letztendlich braucht es Zeit, um die Herausforderung Boxenstopp in der Formel 1 zu meistern", bewertet Seidl den lang ersehnten Durchbruch. "Da spielen die Mannschaft, das Equipment wie die Schlagschrauber, und auch das Material wie Radnabe, Schraube, Mutter, Bremskühlung und so weiter mit rein. Wir haben da viel Energie reingesteckt, besonders über den Winter, um in all diesen Bereichen wettbewerbsfähig und so schnell wie die besten im Sport zu sein." Auch den Schritt der FIA, die Automatisierung der Stopps einzuschränken und menschliche Reaktion zu verpflichten, lobt Seidl.

Im DHL Fastest Pit Stop Award, wo für die besten Stopps in jedem Rennen Punkte vergeben werden, liegt McLaren sogar hinter Red Bull auf dem zweiten Platz. "Das ist einfach eine gute Belohnung für alle, nach ein paar schwierigen Jahren", meint Seidl. Nur an der Konstanz mangelt es manchmal noch, doch McLaren arbeitet hart weiter.

Mercedes nur Mittelmaß, Haas 2022 noch tiefer

Ein Team aus der oberen Hälfte der WM-Tabelle fehlt in der Stopp-Wertung vorne, nämlich Mercedes. Das Team war eigentlich, klammert man ungewöhnliche und absurde Situationen wie Valtteri Bottas' Ewig-Stopp von Monaco 2021 aus, stets verlässlich hinter Red Bull anzutreffen gewesen. 2022 hat das Team bisher keinen einzigen Stopp unter 2,5 Sekunden geschafft. Red Bull hat davon 18, McLaren 11. 61 Prozent der Mercedes-Stopps dauern über 3 Sekunden. Mit diesen Werten ist man in schlechter Gesellschaft, nur Alfa Romeo und Haas stehen länger.

Einzige Rettung für Mercedes: Sie haben weniger Totalversagen. So sehen sie im Gesamtschnitt besser aus. Nur ein Stopp dauerte länger als 4,5 Sekunden. Wenn man diese Ausreißer aus der Statistik entfernt, wird Mercedes' ganzes Defizit bei einem durchschnittlichen Stopp deutlich sichtbar. Sechs Zehntel gehen verglichen mit dem Vorjahr verloren, das ist mehr als doppelt so viel als der Durchschnitt.

Die zweifelhafte Ehre der meisten groben Fehler wird Alfa zuteil. 24 Prozent der Stopps des Teams dauern länger als 4,5 Sekunden, ohne dass es dafür einen ersichtlichen Grund gibt. Haas ist das zweite schwache Team. Zwar sind die Stopps des Teams sogar berechenbarer als im Vorjahr - aber sie sind bloß berechenbar langsam. Eine 2-Sekunden-Standzeit ist für Mick Schumacher und Kevin Magnussen bisher unvorstellbar, der schnellste Stopps des Teams dauerte 3,14 Sekunden.

Boxenstopps in der Formel 1 2022 weniger berechenbar

Dass es mehr Fehler gibt, das gilt 2022 allerdings für alle. "Wenn du dir die Stopps im Rennen anschaust, dann siehst du schnelle Stopps von 2,2 oder 2,3 Sekunden, und dann von den gleichen Teams, einschließlich uns, 3,5 bis 5 Sekunden", merkt Andreas Seidl an. "Ich schätze, mit der neuen Hardware, der neuen Form der Bremskühlung und Trommeln, da gibt es nur wenig Spielraum und man ist schnell nicht perfekt."

Das Design der 2022er-Autos ist für die Reifenwechsler noch neu, Foto: LAT Images
Das Design der 2022er-Autos ist für die Reifenwechsler noch neu, Foto: LAT Images

"Dann ist man schnell um eine Sekunde langsamer", sagt Seidl. Hier spielt die Übung eine große Rolle. Da die neuen Autos erst zu Beginn des Jahres fertig waren, stand den Teams auch nicht viel für Übungen bereit. Den Mechanikern fehlt Anwendungserfahrung mit neuen, leicht veränderten Handgriffen. Das provoziert mehr Fehler.

"Das löst sich sicher mit der Zeit und mit mehr Übung in Luft auf", glaubt Ferraris Sportdirektor Laurent Mekies. Seidl ergänzt: "Ich denke, auch die Belastung unserer Jungs könnte eine Rolle dabei spielen, dass wir uns schwertun, berechenbarere Boxenstopps abzuliefern. Damit kämpfen wir alle." Während der Saison gibt es bei 22 Rennen nur mehr wenig Zeit für die Mechaniker, um zu üben.

Formel 1 untersucht neue Technologie für Boxenstopps

Langsam kommen die Teams wieder in den Rhythmus. "Die Räder sind schwerer, die Autos sind etwas schwerer, aber wir bemerken das bei der Stopp-Performance nicht wirklich", meint Alpines Einsatzleiter Alan Permane.

Für die Zukunft plant die Formel 1 inzwischen weitere Änderungen. "Mit der FIA zusammen arbeiten wir von den Teams an elektrischen Schlagschraubern", verrät Permane. Momentan operiert die Formel 1 mit Druckluft. Von einer Umstellung erhofft man sich ökologische Fortschritte sowie einfacherer Handhabung. Vor allem beim Thema Transport - bei der hohen Anzahl an Rennen ein wichtiges Thema - wäre es ein Vorteil. "Davon sind wir aber noch etwas weiter weg", urteilt Permane. Es wäre der größte Schritt bei Stopps seit Jahren.