"Um ehrlich zu sein, ich hätte nicht gedacht, dass die FIA so schnell reagiert", zeigte sich Carlos Sainz über die Technische Direktive TD039 verwundert, die der Automobilweltverband vor dem Kanada GP an alle Formel-1-Rennställe schickte. Sainz war der erste Pilot, der sich öffentlich über die neue Fahrzeuggeneration beschwerte. Durch starkes Porpoising und die bretthart eingestellten Fahrwerke befürchtet er langfristig Rückenprobleme.

Der Spanier war mit seinen Bedenken nicht allein, nur wenige Fahrer aber äußerten ihre Bedenken öffentlich. Das Problem: Die Teams können ihre Auto sehr wohl komfortabler abstimmten, nur geht das dann zulasten der Performance. "Für uns ist es schwierig, zum Team zu gehen und zu sagen, dass wir Performance verlieren, weil wir Schmerzen haben", erkannte Fernando Alonso ganz richtig.

Fahrer und Teams würden niemals einen Wettbewerbsvorteil für den Komfort opfern - selbst wenn langfristige Schäden zu erwarten sind. "Wir Fahrer haben deshalb bei der FIA um Hilfe gebeten", verrät Alonso. Durch die Technische Direktive werden die Fahrer nun zu ihrem Glück gezwungen.

Hamilton gesteht: Nicht schnell genug aus Cockpit

Am Donnerstag vor dem Kanada GP schickte FIA-Technik-Chef Nikolas Tombazis die neuen Regeln aus. Kurz gefasst: Melden die Sensoren zu starke Schläge, muss das Team das Setup entsprechend anpassen - sonst droht sogar die Disqualifikation. Schafft es ein Team nicht, die geforderten Werte zu erreichen, darf es starten, muss aber die Bodenfreiheit an der Hinterachse um 10 Millimeter anheben - um zumindest guten Willen zu zeigen.

Lewis Hamilton gesteht: Wäre nicht schnell genug aus dem Cockpit gekommen, Foto: LAT Images
Lewis Hamilton gesteht: Wäre nicht schnell genug aus dem Cockpit gekommen, Foto: LAT Images

Besonders nach dem letzten Rennen in Baku war die Thematik in den Fokus gerückt. Lewis Hamilton hatte extrem mit dem bockigen Mercedes zu kämpfen. Während des Rennens funkte er: "Mein Rücken bringt mich um." Die Szenen, wie sich der erfolgreichste Formel-1-Pilot der Geschichte nach Rennende aus seinem Cockpit hievte, gingen um die Welt.

Die Szene rückte die Sicherheitsdebatte noch einmal in ein ganz anderes Licht. Hätte es Hamilton im Zweifel überhaupt geschafft, sich binnen zehn Sekunden aus dem Auto zu befreien? Diese Anforderung stellt das Reglement, damit ein Pilot bei Ausbruch eines Feuers schnell aus der Gefahrenzone ist.

"Ich glaube nicht, dass ich das geschafft hätte. Es war damals extrem schmerzhaft. Ich war froh, als ich dann aus dem Auto konnte, aber ich hätte es nicht in der Geschwindigkeit machen können, in der ich es eigentlich machen sollte", gestand Hamilton vor dem Rennen in Montreal. Bis zu 10 G soll die vertikale Beschleunigung bei ihm betragen haben. "Bei uns in Barcelona war es sehr stark, ich glaube es war sogar doppelt so schlimm wie bei Mercedes in Baku", meint Alonso.

Formel-1-Piloten uneins: Neue FIA-Direktive gut?

Entsprechend froh sind einige Piloten über das Einschreiten der FIA. "Ich glaube nicht, dass es viel bringt aber es ist trotzdem gut, dass es gemacht wird. Wir werden noch vier weitere Jahre mit diesen Autos fahren, und wir wollen nicht, dass Fahrer in Zukunft Probleme mit dem Rücken haben werden", so Hamilton.

Sebastian Vettel sieht es ähnlich: "Es ist unmöglich zu schaffen, dass sich alle Teams einig sind, deshalb ist es gut, dass die FIA eingreift. Es kann nicht sein, dass wir Fahrer langfristige Schäden für den Rest unserer Leben haben. Es ist gut, dass die FIA die Gesundheit über die Performance stellt."

FIA greift durch! Mercedes großer Verlierer? | Formel 1 2022 (15:06 Min.)

Aber nicht alle Piloten können den Schritt des Regelhüters nachvollziehen. Vor allem bei den jungen Piloten im Feld stößt der Vorstoß auf wenig Gegenliebe. "Ich gehe damit nicht d'accord", meint Charles Leclerc. "Es liegt in der Verantwortung des Teams, mir ein Auto zu geben, das okay zu fahren ist. Ich hatte bislang kein Problem damit. Ja, das Auto ist härter als letztes Jahr, aber ist es für mich unfahrbar oder zu hart deswegen? Nein."

Max Verstappen wird sogar noch deutlicher: "Regeländerungen mitten im Jahr sind nicht korrekt. Wir müssen auch körperlich ein Limit finden, mit dem wir umgehen können. Es gibt viele Sportarten, bei denen der Körper geschädigt wird. Wenn du deine Karriere beendest, bist du körperlich nicht mehr wie mit 20. Fußballer haben Knieprobleme, Motorradfahrer brechen sich viele Knochen. Da kannst du dich immer fragen, ob es das sicherste ist. Das ist es definitiv nicht, aber wir wollen auch die Risiken."

Mercedes und Ferrari die großen Verlierer?

"Dazu ist es auch schwierig zu überwachen", warnt Verstappen. Denn die Regeländerung bringt eine zentrale Frage mit sich: Wer wird dadurch Performance verlieren? In der Theorie sollte die Anpassung Red Bull sogar helfen. Ausgerechnet Mercedes, das am lautesten nach Regeländerungen rief, könnte die neu formulierte Regel am härtesten treffen.

Die Mercedes-Piloten halten sich aber mit Kritik (noch) zurück. "Ich glaube, es macht keinen großen Unterschied, ich bin mir aber nicht sicher", meint George Russell, der sich als GPDA-Direktor auch für das Thema stark machte. Hamilton stimmt zu: "Ich glaube nicht, dass es viel bei der Performance ändern wird."

Bei Ferrari ist die Sache delikater. Die Scuderia war fast so stark von Porpoising betroffen wie Mercedes. Während Sainz früh Bedenken äußerte, hielt sich Leclerc komplett zurück. Fürchtet der Monegasse nun um die Konkurrenzfähigkeit seines Ferrari, mit dem er bislang so viel besser zurechtkam als Sainz? Auch Leclerc gibt sich unwissend: "Ich weiß nicht, was sich ändern wird. Für mich ist das nicht ganz klar."