Für Aserbaidschan steht am Wochenende das sechste Formel-1-Rennen in der noch jungen Geschichte des Baku City Circuit auf dem Programm. 2022 geht der schon heute für spektakuläre Rennen berüchtigte Grand Prix allerdings mit gleich zwei Hypotheken über die Bühne. Erstens beeinträchtigt der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Ticketverkäufe. Für die Fans beider Länder war Baku wegen der geografischen Nähe ein besonders beliebter Austragungsort für ein Live-Erlebnis an der Strecke. Zweitens kollidiert der Aserbaidschan-GP 2022 (Zeitplan, TV-Programm und Live-Streams und Formel 1 Rennen in Baku hier) terminlich mit dem Jahreshighlight der Sportwagen-Szene, dem legendären 24-Stunden-Rennen in Le Mans.

So fallen im Kernmarkt für das TV-Geschäft, Mitteleuropa, die Startzeit der 24h Le Mans und das Qualifying der Formel 1 in Baku exakt zusammen (beides 16 Uhr MESZ). Am Sonntag fällt daraufhin der mit 13 Uhr bewusst ungewöhnlich frühe Start in Baku zwar längst nicht mit dem Zieleinlauf an der Sarthe (16 Uhr) zusammen, allerdings noch immer mit der Schlussphase des Rennens. Bei in Baku immer zu erwartenden Verzögerungen - etwa durch rote Flaggen wegen größerer Unfälle - droht im schlimmsten Fall dennoch ein paralleles Finish beider Rennen.

Baku-Boss: Qualifying-Ende sowieso wichtiger

Den GP-Organisator in Baku lässt das allerdings kalt. "Der wichtigste Teil von Le Mans ist der Rennstart", meint Executive Director Arif Rahimov. "Aber der wichtigste Teil des Qualifyings ist das Ende. Deshalb denke ich, dass das TV-Publikum so noch immer beides sehen kann. Den Start von Lew Mans und das Ende des Qualifyings."

Mit der Formel 1 oder FIA habe es unterdessen kaum Austausch über diese Thematik gegeben, berichtet der Baku-Boss. "Der Zeitplan wurde nach mehreren Faktoren gestaltet. Und da sind auch interne Faktoren bei uns dabei und all die anderen Dinge, die wir am Samstag machen müssen, wie das Formel-2-Rennen", sagt Rahimov. Schlechte TV-Quoten fürchtet der Aserbaidschaner nicht. "Wie gesagt: Ich wäre enttäuscht, wenn der Start von Le Mans mit dem Ende des Qualifyings kollidieren würde. Aber da es mit dem Start kollidiert, können wir noch immer alle Zuschauer ansprechen."

Formel 1: Russlands Krieg in der Ukraine trifft Aserbaidschan-GP

Größere Sorgen bereiten dem Promoter dagegen die Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Beide Länder waren in der Vergangenheit große Märkte für den Grand Prix im nahen Aserbaidschan. Einzig der Russland-GP lag näher, für den westlichen Teil der Ukraine noch der Ungarn-GP. Doch nun hat der Krieg Flugreisen erheblich erschwert - mit naheliegenden Folgen für die Ticketverkäufe in Aserbaidschan. Zumal auch andere europäische Fans Flugrouten in der Nähe Russlands und der Ukraine abschrecken.

"Es war generell ein sehr beliebtes Rennen bei den russischen Fans. Die fehlen uns wegen der Schwierigkeiten, dass jetzt weniger Flüge aus Russland kommen", klagt Rahimov. "Auch sonst ist es schwer, hierher zu gelangen - selbst wenn du aus Europa fliegst. Zuvor hatten wir zwei Haupt-Umschlagplätze: Moskau und Istanbul. Jetzt haben wir im Grunde nur noch Istanbul."

Baku 2022: Volles Haus oder nicht?

Dennoch liefen die Ticketverkäufe zufriedenstellend, so Rahimov. "Es kommt sehr unerwartet, aber es ist sehr erfreulich, dass wir dieses Jahr zwischen 25 und 30 Prozent internationale Zuschauer [nicht aus Aserbaidschan] erwarten können. Das ist mehr als die 22 Prozent 2019", behauptet der Baku-Organisator. 2021 war das Rennen wegen der Corona-Pandemie noch ohne Zuschauende über die Bühne gegangen.

Wegen der genannten Prognose geht Rahimov davon aus, ohne den Krieg in der Ukraine und mit der nun fehlenden Russen-Gruppe "alle Rekorde brechen" zu können. "Doch selbst mit den Schwierigkeiten ist die Performance bei den internationalen Zuschauern noch immer besser. Das ist sehr erfreulich. Darauf kann man schließen, dass es viel mehr Fans aus Europa sind als in der Vergangenheit. Damit bin ich sehr zufrieden", sagt der GP-Chef. Für den Grand Prix wäre das tatsächlich alles entscheidend. Das Rennen dient der Regierung in erster Linie als Werbemaßnahme für die Touristik in Aserbaidschan.

Insgesamt sei man in Sachen Ticketverkäufe wieder etwa auf dem Stand der Jahre vor Corona angekommen, so Rahimov weiter. "Und es gibt noch den Last-Minute-Markt", hofft Rahimov. Vor allem auf die lokalen Fans an der Tageskasse setzt der Organisator jetzt also. "So sehen wir, dass wir ab Freitag ausverkauft sein können. Direkt vor dem Event kommen noch Leute und kaufen Tickets. Ein paar Tribünen sind schon ausverkauft und einige sehr nah an voller Kapazität. Ich denke, dass wir dieses Wochenende ausverkauft sind.

Nach MSM-Infos ist beim Aserbaidschan-GP - anders als bei den bisherigen Rennen im Kalender - dennoch längst kein volles Haus zu erwartet. Im Gegenteil: Tatsächlich liegt die Prognose aktuell eher bei 20.000 Fans pro Tag. In den Vorjahren waren es zehntausend mehr. Eine mögliche Problematik: Erst im März bestätigte die Regierung vor dem Hintergrund der Corona-Politik, dass Zuschauende überhaupt zugelassen sein werden. Das verkürzte zum einen das Buchungsfenster und erschwerte zum anderen die rechtzeitige Buchung von Entertainment-Events wie Konzerte im Rahmenprogramm, die zusätzliche Fans generieren können.

Neue Tribünen und Sicherheitsmaßnahmen in Baku kaum möglich

Langfristig bietet der Straßenkurs von Baku ohnehin kein allzu großes Potenzial für weitere Tribünen. Die Kapazität wird durch die bauliche Situation massiv eingeschränkt. So führen Teile der Strecke sogar durch die enge Altstadt der aserbaidschanischen Hauptstadt. Hinzu kommen logistische Probleme. "Wir könnten noch auf ein paar Kreuzungen Tribünen aufstellen und die Straßen dort blockieren. Das ginge in Kurve zwei oder Kurve drei, aber dann wird es logistisch schwierig, die Fans von dort in die Verkaufszone auf dem Boulevard [südlich Start-Ziel] zu bekommen", schildert Rahimov.

Ebenfalls aus Platzgründen seien größere Sicherheitsmaßnahmen für die 2022 neue Boliden-Generation kaum möglich, so Rahimov. "Die FIA weiß auch, dass wir die breitesten und längsten Auslaufzonen geschaffen haben, die in diesen Kurven möglich sind. Die einzige Möglichkeit, sie zu verlängern, wäre es, ein Gebäude abzureißen. Das wird nicht passieren", scherzt Rahimov. An ihn herangetreten sei die FIA wegen Änderungswünschen allerdings ohnehin nicht.

Baku will neuen Formel-1-Vertrag und Traditionsrennen werden

Ähnliches gilt für die Zukunft des Rennens in Baku. Noch verfügt Baku über einen Vertrag bis 2024 - über die Zeit danach hat man noch nicht näher verhandelt. Einzig das Rahmenwerk wird allmählich abgesteckt. Klar ist: Baku will die Formel 1 in jedem Fall behalten. Trotz immer größer werdender Konkurrenz, auch von neuen Stadtkursen wie Jeddah, Miami und ab 2023 Las Vegas, macht sich Rahimov hier keine Sorgen. "Wir haben der F1 sehr viel mehr anzubieten als nur ein Teil ihres Umsatzes zu sein. Wir haben etwas, das die Leute feiern und im TV sehen wollen", meint der Baku-Boss.

Baku sei beliebt bei den Fans, argumentiert Rahimov auf Grundlage eines Eigenstudiums in den Sozialen Medien. "Die harten Motorsport-Fans lieben dieses Rennen. Sie leben den Faktor des Unerwarteten", sagt Rahimov. "Es gibt sogar ein paar Kommentare, die uns schon mit traditionellen Rennen gleichsetzen. Da fehlt uns mit sechs Rennen tatsächlich nur noch etwas Geschichte! Wenn wir die Chancen haben, längerfristig einen GP auszutragen, dann wird Baku sicher eine traditionsreiche Super-Strecke!"