Warum Max Verstappen und Red Bull beim vierten Lauf zur Formel-1-Weltmeisterschaft 2021 den Sieg verloren, ist schnell zusammengefasst: Der RB16B war im Renntrimm schlichtweg langsamer als der Mercedes F1 W12. Aber ganz so einfach ist es nicht: Lewis Hamilton und Mercedes mussten beim Spanien GP tief in die Trickkiste greifen, um Red Bull zu schlagen.

Verstappen: Besserer Start reicht nicht

Mercedes war heute schneller, aber Red Bull war vorne. Verstappen ging nach dem Start in Kurve eins mit einem knallharten Manöver in Führung. Damit war klar, dass es ein echtes Rennen geben würde. Wäre Hamilton vorne geblieben, hätte der Weltmeister wohl einen relativ ungefährdeten Start/Ziel-Sieg eingefahren.

So aber war die Ausgangslage ideal: Das langsamere der beiden Rennautos führte auf einer Strecke, auf der Überholen nahezu unmöglich ist. Dass Hamilton schneller konnte, wurde schnell klar. "Es ist meist kein gutes Zeichen, wenn dir ein Auto auf dieser Strecke einen gesamten Stint im Getriebe klebt", freute sich Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin.

Selbst auf den sensiblen Soft-Pneus konnte sich Hamilton bis zum Schluss stetig in der Nähe des DRS-Fensters halten. Für ein Überholmanöver war die Performance-Differenz aber zu gering.

In Runde 24 nahm das Rennen Fahrt auf. Hamilton hing Verstappen nun komplett im Getriebe. Die Gefahr eines Undercuts stieg. "Wir hätten Lewis aber nie reingeholt, weil er hinter Sergio rausgekommen wäre", verriet Mercedes Motorsportchef Toto Wolff nach dem Rennen.

Verstappen kommt versehentlich zum Stopp

Stattdessen kam Verstappen zum Reifenwechsel. Wollte sich Red Bull mit aller Gewalt gegen einen Undercut wehren? Nein, die Pitwall rief den Niederländer gar nicht zum Stopp. Ein Missverständnis sorgte dafür, dass Verstappen plötzlich in die Boxengasse abbog.

Die Red-Bull-Mechaniker reagierten famos. In den gewohnten zwei Sekunden konnten sie ihren Star-Piloten nicht mehr abfertigen, aber rund vier Sekunden sind in Anbetracht der Umstände eine starke Leistung. Dennoch war Verstappen nun erst einmal in der Defensive. Würde der Undercut durch den langsamen Stopp für Mercedes zum Overcut?

Die Mercedes-Strategen wollte Hamilton zunächst zum Stopp holen. Die Boxenmauer verfolgte die Verstappen-Runde und die Abstände aber mit Adleraugen. Auf den frischen Medium-Reifen fuhr Verstappen auf seiner Outlap schnell genug, um Mercedes den Overcut zu versauen. "Als Lewis in etwa in Kurve zehn war, haben wir den Stopp gecancelt", verrät Shovlin.

Mercedes ließ den Briten vier Runden länger draußen, in denen er sukzessive auf Verstappen verlor. Als Hamilton in Runde 28 auf Medium wechselte, lag er rund sechs Sekunden hinter seinem Konkurrenten. Vor den Stopps fuhr er im DRS-Fenster.

"Wir wären direkt hinter Verstappen rausgekommen und dann wären wir in der gleichen Situation gewesen wie im ersten Stint", erklärt Shovlin. "Wir wollten ein Offset, deshalb haben wir vier Runden gewartet."

Binnen vier Runden war Hamilton bereits wieder in Verstappens Getriebe. Nun hatte er aber den Vorteil von vier Runden frischeren Reifen. Trotzdem konnte der Brite keine ernsthafte Attacke starten. Dann begann das Rennen richtig interessant zu werden.

In Runde 42 holte Mercedes Hamilton erneut zum Stopp. Dabei war eine Einstopp-Strategie rechnerisch die schnellste Variante. Mercedes und Red Bull rechneten vor dem Rennen mit lediglich einem Reifenwechsel. Doch der Reifenverschleiß war höher als angenommen. "Hätten wir das vor dem Rennen gewusst, wären wohl alle Teams von Anfang an auf zwei Stopps gegangen", glaubt Shovlin. Das Problem: Durch die auf eine Stunde verkürzten Trainingssitzungen bleibt nicht genügend Zeit für Longruns.

Von nun an war Red Bull machtlos. "Wenn wir ebenfalls gestoppt hätten, hätten wir die Position verloren. Und sie hatten das schnellere Auto. Alles, was wir versuchen konnten war, es auszusitzen", erklärt Red Bull Teamchef Christian Horner.

Aber hätte Red Bull Mercedes nicht zuvorkommen können, um den Undercut zu verhindern? Verstappen hätte damit auf jeden Fall zunächst die Trackposition hergegeben. Mercedes hätte Hamilton als Reaktion darauf draußen lassen können. Wäre das Rennen dann umgekehrt verlaufen?

Red Bull mit weniger Medium-Reifen als Mercedes

Nein. Denn einerseits hatte Mercedes das schnellere Auto. Das konnte Hamilton nach seinem Stopp in freier Fahrt voll ausspielen. Und es gibt noch einen entscheidenden Unterschied: Hamilton wechselte bei seinem zweiten Stopp von Medium auf Medium. Das aber wäre bei Red Bull gar nicht mehr gegangen, denn die Bullen hatten keinen Satz der Medium-Pneus mehr übrig.

Das Problem beginnt im 3. Freien Training. Mercedes und Red Bull hatten nach den Freitagstrainings für beide ihrer Piloten noch jeweils zwei Sätze Medium übrig. Red Bull nutzte einen Satz davon im Training. Der Satz muss anschließend zurückgegeben werden. Mercedes hingegen fuhr im Training ausschließlich auf den Soft-Reifen und hob sich beide Sätze Medium auf.

War das der Schlüssel zum Erfolg? "Vermutlich ja", glaubt Wolff. "Auf dem Soft hätte Lewis wahrscheinlich nicht so lange attackieren können, er wäre uns vermutlich drei Runden vor Ende auch eingegangen." Hätte Mercedes im 3. Training den Medium-Reifen nicht aufgespart, hätte Lewis Hamilton das Rennen womöglich nicht gewonnen.

Red Bull hat das Rennen nicht dadurch verloren, indem man einen Satz Mediums zu wenig mit ins Rennen nahm, Mercedes hat das Rennen aber dadurch gewonnen. Denn auch wenn die Bullen einen Satz mehr gehabt hätten, es hätte nichts gebracht: Wäre Verstappen als Erster zum zweiten Stopp gekommen, hätte er nicht die Pace gehabt, um Hamilton einzuholen, wenn der draußen geblieben wäre. Eine Reaktion auf den Hamilton-Stopp hätte ebenfalls nichts gebracht.

"Was immer wir gemacht hätten, sie hatten ein schnelleres Auto mit weniger Reifenverschleiß als wir", fasst Christian Horner passend zusammen. Außerdem konnte Mercedes das Risiko eingehen. "Wenn Du Zweiter bist, hast du nichts mehr zu verlieren, dann kannst du den Stopp machen", so Wolff.

Perez keine Hilfe für Verstappen

Eine Sache ist für Red Bull aber ärgerlich: Man hätte das Rennen durchaus auch mit dem langsameren Auto gewinnen können. Dafür hätte man aber auch Sergio Perez benötigt. Der Mexikaner konnte sich nach seinem schwachen Qualifying aber nicht gut genug nach vorne arbeiten.

Beim ersten Stopp wäre Hamilton noch hinter den Mexikaner zurückgefallen, beim zweiten Stopp war Perez aber bereits zu weit weg. Wäre Perez näher am Spitzentrio dran geblieben, hätte er den Hamilton-Block spielen können. "Wir brauchen ihn zwingend in dieser Lücke, damit Mercedes die strategischen Optionen nicht hat, die sie heute hatten", weiß auch Horner.

Bottas hält Hamilton auf

Dabei war es Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas, der dem Weltmeister das Leben fast noch etwas schwermachte. Eigentlich hätte der Finne dem Briten schön platzmachen sollen. Doch ganz so einfach ging es nicht. "Ich bin auch mein eigenes Rennen gefahren", verteidigte sich Bottas. Er blickte auf die Lücke zu Charles Leclerc, um noch einen Boxenstopp machen zu können.

Hamilton fuhr fast eine Runde direkt hinter Bottas her, ehe er vorbeigehen konnte. In Kurve zehn sah es mehr nach einem Überholmanöver, denn nach einem freundlichen Vorbeilassen aus. Rund anderthalb Sekunden verlor er so in Runde 52. Am Ende war es aber egal, Hamilton erwischte Verstappen schon in Runde 59 von 66.