"Es ist wichtig, einen Reifen zu haben, der die hohen Belastungen in der Steilwand aushält." (Sam Michael, Technischer Direktor WilliamsF1)

"Die überhöhte Kurve stellt trotz der Last und den hohen Geschwindigkeiten bei weitem nicht so hohe Anforderungen an die Reifen, wie viele vielleicht glauben. Dennoch müssen wir unsere Reifenwahl darauf ausrichten, da zu weiche Reifen die Anforderungen nicht überstehen würden." (Pierre Dupasquier, Michelin-Motorsportdirektor)

Wie schnell sich Aussagen aus dem Vorfeld eines Formel 1 Grand Prix Wochenendes bestätigen oder gar rächen können, bewiesen diese beiden Statements von Sam Michael und Pierre Dupasquier. Und während der Williams-Technikchef bereits am Freitag in seiner Aussage bestätigt wurde, muss Dupasquier derzeit jene medialen Prügel einstecken, welche bislang in dieser Saison seine Kollegen von Bridgestone bezogen haben.

Der Auslöser

Ralfs Unfall schürte die Angst., Foto: Sutton
Ralfs Unfall schürte die Angst., Foto: Sutton

Der Auslöser für die seit Samstagmorgen nicht mehr enden wollende Reifendiskussion in Indianapolis waren zwei Michelin-Reifenschäden an den Toyota-Boliden von Ricardo Zonta und Ralf Schumacher am gestrigen Freitag. Während dies beim Brasilianer glimpflich endete, flog Ralf - ähnlich wie im Vorjahr - mit hoher Geschwindigkeit in die Mauer des Indy-Ovals und muss er in Folge dieses High-Speed-Crashes aus Sicherheitsgründen den Rest des Wochenendes pausieren.

Und obwohl es für den nun die Heimreise antretenden Deutschen ein "komisches Gefühl" ist, den Kollegen beim Fahren zuzusehen, ist es Ralf "fast lieber nur zuschauen zu müssen, als unter diesen Bedingungen fahren zu müssen."

Was die Reifenschäden hinten links an den beiden Toyota verursacht hat und warum es nur die beiden TF105 von Zonta und Schumacher und keine der anderen Michelin-Piloten betraf, wird derzeit noch in einer ausführlichen Analyse aller gestern und heute Morgen eingesetzten Pneus untersucht. Zu einem Ergebnis kamen die Franzosen dabei allerdings noch nicht. Deshalb wurden den Teams genaue Setup-Anweisungen und Rundenbeschränkungen für die beiden Samstagstrainings auferlegt, in welchen es glücklicherweise zu keinen weiteren Problemen kam.

Die Gerüchteküche hat unterdessen natürlich bereits einige Problemfelder ausgemacht. Beispielsweise eine zu weiche Reifenmischung eines bestimmten Michelin-Reifentyps, den neuen, äußerst aggressiven Asphaltbelag im Bereich der Steilwandkurve, welcher vor allem für die Indycar-Rennen gedacht ist, oder einen zu niedrigen Reifendruck an den spezifischen Gummis des Toyota Teams.

Pierre Dupasquier und Michelin stehen unter Erklärungsnotstand., Foto: Sutton
Pierre Dupasquier und Michelin stehen unter Erklärungsnotstand., Foto: Sutton

Die Toyota-Annahme von gestern, dass man sich unter Umständen an zu hohen oder scharfkantigen Kurbs die Reifen beschädigt haben könnte, scheint hingegen nicht zuzutreffen.

Wie geht es weiter?

Nachdem das dritte Freie Training mit durch die Boxengasse anstatt durch die Steilwand fahrenden Boliden zu einer Art Farce verkam, normalisierte sich das Bild im letzten Freien Training wieder und gingen dann wieder alle Fahrer auf Zeitenjagd.

Dennoch überwiegt natürlich der Sicherheitsgedanke, weshalb sowohl Flavio Briatore als auch Norbert Haug jeglicher Anweisung von Michelin Folge leisten und nur Ron Dennis kurz durchblicken ließ, dass es an den eigenen Reifen bislang keine Probleme gegeben habe und die Anweisungen der Franzosen vielleicht etwas übervorsichtig gewesen wären.

Die Varianten für den weiteren Verlauf des neunten Rennwochenendes dieser Saison sind dabei ganz einfach beschrieben: Erstens: Das Rennen wird aufgrund akuter Sicherheitsbedenken abgesagt. Diese Variante erscheint als höchst unwahrscheinlich und dürfte wohl wirklich nur im äußersten Notfall zur Anwendung kommen.

Alle Michelin-Pneus werden eingehend überprüft., Foto: Sutton
Alle Michelin-Pneus werden eingehend überprüft., Foto: Sutton

Zweitens: Die Michelin-Teams fahren, wie von Sir Jackie Stewart vorgeschlagen, mit einem stark erhöhten Reifendruck, da angeblich ein zu niedriger Reifendruck in den Pneus von Ricardo und Ralf zu deren Drehern führte. Diese Variante dürfte bevorzugt werden, wenn Michelin keine anderen Erklärungen oder Problemfelder findet.

Und Drittens: Michelin setzt seinen Vorschlag neue, standfeste Reifen aus der Heimat einfliegen zu lassen in die Tat um und tritt im morgigen Rennen mit diesen neuen Pneus an. Hierfür müssten allerdings nicht nur logistische und produktionstechnische Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, sondern auch reglementspezifische Fragen gelöst werden.

Denn laut dem FIA-Reglement müssen die Reifenmischungen für einen Grand Prix in der Woche vorher festgelegt werden und dürfen die Reifen zudem seit diesem Jahr nach dem Qualifying nicht mehr gewechselt werden. Sollte Michelin also tatsächlich diesen Weg beschreiten wollen oder müssen, dann benötigt man nicht nur die Zusage der FIA für eine solche Ausnahmeregelung, sondern auch jene von Reifenkonkurrent Bridgestone und dessen drei Teams.

Und obwohl es nicht nur für Ralf Schumacher als "logisch" erscheint, dass man einen für alle Seiten brauchbaren Kompromiss finden wird, dürfte die japanisch-italienische Allianz davon wenig begeistert sein, dass ausgerechnet bei jenem Rennen, bei dem nicht sie, sondern ihre Rivalen einen - eindeutig groben - Fehler bei der Reifenwahl begangen haben, eine Sonderregelung ihren Vorteil zunichte machen soll. Die Reifenfrage wird also auch weiterhin über allen anderen Themen im Nudeltopf stehen. Hoffentlich steht noch eine Stufe darüber die Sicherheit der Piloten.

Für Flavio Briatore ist dies auf alle Fälle so. Denn sollte die FIA die von Michelin aus Europa eingeflogenen und in dieser Spezifikation bereits beim Spanien GP verwendeten Reifen ablehnen, dann werden morgen maximal 18 Autos am Start sein. "Sollte die Benutzung der neuen Reifen nicht erlaubt werden, dann werden wir nicht am Rennen teilnehmen", erklärte Flavio Briatore. "Die Sicherheit unserer Fahrer bleibt unsere oberste Priorität."