Wer Michael Schumacher in den letzten Jahren die Frage nach dem Zeitpunkt seines Karriereendes befragt hat, der hat – je nach Stimmungslage – gelangweilte Ignoranz oder bissige Repliken geerntet.

Seit jenem denkwürdigen Tag in Magny Cours 2002, als er den Allzeitrekord von Juan Manuel Fangio von 5 WM-Titeln egalisierte, ist die Headline "Schumi hört auf!" offensichtlich auf der Wunschliste vieler Kollegen ganz oben. Pech nur, dass der Kerl keinerlei Anstalten dazu macht...

Gerade jetzt, da der Ferrari (respektive die vier schwarzen runden Dinger an jeder Ecke des Autos) mit Mühe für 7. Plätze gut ist, werden die schadenfrohen Rufe wieder lauter, die meinen, der Champion hätte den Zeitpunkt zum Ausstieg wohl verpasst.

Die bisherige Laufbahn war eine Bilderbuchkarriere nach dem "veni, vidi, vici"-Prinzip: Ein Übernatürlicher, der alte Feldherren mit einem Handstreich erledigt, um selbst von Sieg zu Sieg zu eilen – kleine Kriegsverletzungen wie in Silverstone 1999 inklusive.

Der richtige Zeitpunkt, den Thron einer neuen Generation zu überlassen wird Michael Schumachers schwierigstes taktisches Manöver der nächsten Jahre. Denn wer eine Epoche so dominiert hat, der braucht auch einen außergewöhnlichen Abgang von der Bühne.

Früheren Formel 1-Champions fiel diese Entscheidung wesentlich leichter. Grand Prix-Sport war ein Höllenritt zwischen Ruhm und Tragödie, jeder Fehler konnte der letzte sein. Daher galt bis in die 90er-Jahre: "Wenn Du das erste Mal Angst verspürst, ist es Zeit aufzuhören!"

Ayrton Senna hat am 30. April 1994, dem Samstag des tragischen Imola-Wochenendes unter dem Eindruck des Ratzenberger-Todes ernsthaft in Erwägung gezogen, das Rennen nicht zu fahren. Prof. Sid Watkins, der ehemalige Rennarzt, hat mir das vor einiger Zeit bestätigt. Ich habe damals mit ihm in London ein Porträt fürs Fernsehen gedreht. Sid war mit Senna gut befreundet und sagte mir: "Ich habe ihn nie so aufgewühlt gesehen. Er meinte, er hätte ein ungutes Gefühl, und ich riet ihm: Ayrton, dann fahr nicht! Du hast alles erreicht. Setz einfach ein Rennen aus!" 24 Stunden später war Senna tot.

Die Angst als Warnsignal zu akzeptieren, hat John Surtees, Jackie Stewart und einigen anderen Champions wohl das Leben gerettet.

Die Angst ist heute kein wesentlicher Faktor mehr. Als Formel 1-Pilot lebt man heute im Straßenverkehr wesentlich gefährlicher als im Rennen.

Nelson Piquet beispielsweise war ein Jahr zu lange dabei. Dass dem dreifachen Weltmeister statt des bequemen Roberto Moreno plötzlich ein wahnsinnig schneller Deutscher als Nr. 2 ins Team gesetzt wurde, hat ihm den Herbst seiner Karriere gründlich vermasselt. Der sportliche Rehabilitationsversuch endete mit über 350 an einer Mauer in Indianapolis. Monatelang konnte er nur mit Krücken gehen, Piquet fuhr nie wieder professionell Rennen.

Nigel Mansell, der impulsive Volksheld der Briten wäre wohl besser ein paar Monate früher abgetreten. Er hatte alles erreicht: WM-Titel 1992, als Rookie fuhr er 1993 bei den Indycars den arrivierten amerikanischen Bleifusspiloten um die Ohren, dass es nur so rauchte und war am Ende sensationell Indycar-Meister.

1994 sprang er für vier Rennen bei Williams ein, und siegte als Eigentlich-schon-Pensionist sogar noch im letzten Rennen in Adelaide (für die älteren motorsport-magazin.com-User: Ja, jenes Rennen mit dem berühmten Rammstoß von Michael gegen Damon Hill, der ihm den ersten Titel sicherte...).

Doch dann hatte irgendwer die Idee, dass Nigel Mansell 1995 gut zu den ehemaligen Erzfeinden von McLaren passen würde. Nigel passte nicht mal ins Cockpit und die Karriere endete nach ein paar Rennen mit lauten Misstönen.

Auch Damon Hill hat den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören klassisch verpasst. Anstatt nach einem historischen ersten Triumph für Jordan zusammenzupacken, betrieb er eine komplette weitere Saison Rufschädigung an seiner eigenen Marke. Zu Saisonmitte wollte er alles hinwerfen, hatte aber nicht mit dem Kleingedruckten im Jordanvertrag gerechnet. Also spulte er lustlos eine halbe Saison herunter, um seinen vier Kindern auch weiterhin etwas unter den Weihnachtsbaum legen zu können.

Jacques Villeneuve hat seit sieben Jahren kein Rennen mehr gewonnen, ist bei seinem eigenen Team in Unfrieden rausgeflogen und liefert nun der geifernden Sensationspresse laufend Stoff, der ihn der Lächerlichkeit preisgibt.

Alain Prost hat als Rennfahrer zum besten Zeitpunkt den Helm an den Nagel gehängt. Er hat 1992 ein ganzes Jahr pausiert, um 1993 im besten Auto locker den Titel einzufahren und dann erhobenen Hauptes durch die Hintertür zu verschwinden. Heute schleicht er jedoch höchst selten und eher verdeckt durchs Fahrerlager.

Denn der gute Ruf war schneller beim Teufel als gedacht, da Alain als Teamchef nicht mal ansatzweise das Talent wie als Racer hatte, und mit seinem Rennstall in kürzester Zeit Schiffbruch erlitt.

Vielleicht sollte sich Michael Schumacher aber an Mika Häkkinen orientieren. Er hat den Entschluss zum Aufhören plötzlich und aus einer Laune heraus gefasst. Der zweifache Silberpfeil-Champion entschied sich nach seinem Ausfall in Monaco für die Pension. Ansatzlos und ohne Vorzeichen ging er sichtlich entnervt zu Ron Dennis in die McLaren –Hospitality und sagte nur "Ron, ich höre auf". Dem McLaren-Teamchef ist es zu verdanken, dass Mika überhaupt noch einstieg und in Indianapolis zu Saisonende eines seiner größten Rennen fuhr.

Der Zeitpunkt war goldrichtig. Und dass nach dem Karriereende und der Babypause nun aus dem Stand DTM-Siege in seinem Lebenslauf stehen, hat seinen Marktwert wohl nicht gerade geschmälert.

Michael ist noch nicht reif für die Rente, da bin ich mir sicher. Entgegen allen Beteuerungen sind ihm Rekorde und Statistiken auch nicht egal. Worte lügen nicht und ich habe ihn in den letzten Jahren immer wieder dabei ertappt, dass er bei unseren Interviews sehr genau über die aktuellen Rekordzahlen Bescheid wusste.

So gesehen hat er sich sicher noch zwei Ziele gesteckt: Den Pole Position Rekord von Ayrton Senna zu überbieten. Die fehlenden zwei Bestzeiten sollten vielleicht noch heuer mit etwas mehr gelösten Hausaufgaben von Bridgestone drin sein.

Schwieriger wird wohl die andere Rekordmarke zu knacken sein, nämlich als erster Fahrer der Geschichte 100 Grand Prix zu gewinnen. Da fehlen noch 17 und das könnte bei derzeitigem Stand etwas dauern.

Das Aufhören steht also im Moment nicht wirklich zur Debatte. Vielleicht wartet darüber hinaus auf Michael Schumacher aber eine noch viel wichtigere Entscheidung. Was macht man mit knapp 40, wenn man nie wieder Geld verdienen muss und für den Rest seines Lebens eigentlich immer nur an seiner eigenen Vergangenheit gemessen werden wird. Michael hat darüber sicher auch schon nachgedacht, und sich vielleicht den einen oder anderen Rat eingeholt.

Wie wär´s mit Niki Lauda zum Beispiel...?